
20 Jahre nach 9/11Wie der "Krieg gegen den Terror" den Nahen und Mittleren Osten destabilisiert
Da ist es wieder, dieses Wort: "Totalversagen“. Der Westen habe in Afghanistan auf ganzer Linie versagt, resümieren Intellektuelle, Journalisten, Politikerinnen und Wissenschaftler einhellig, genau wie zuvor in Syrien und im Irak, in Libyen und im Jemen. Ein rhetorischer Rundumschlag – so gerechtfertigt wie irreführend. Denn das Scheitern des Westens in den Krisen der vergangenen zwanzig Jahre beruht nicht auf der immer gleichen falschen Strategie, sondern ist das Ergebnis höchst unterschiedlicher Ansätze.
Die USA und Europa verfolgten hegemoniale Interessen und missachteten lokale Gegebenheiten, heißt es. Mal intervenierten sie zu stark, mal zu wenig. Mancherorts wollten sie zu viel in zu kurzer Zeit, andernorts verhielten sie sich planlos und zögerlich. Am Ende fehlten entweder Entschlossenheit und Mut zum Einsatz oder es mangelte an Geduld und am langen strategischen Atem. Kurzum: Egal wie sich Amerikaner und Europäer in Nahost, Nordafrika und Zentralasien engagierten, es lief immer schief. Der Westen stabilisierte korrupte, autoritäre Herrscher, ließ lokale Partner im Stich und verlor an Glaubwürdigkeit.
Wie kann es sein, dass sämtliche Versuche, die Region positiv zu beeinflussen, so kläglich gescheitert sind? Dass es den meisten Menschen dort so schlecht geht wie noch nie?
Grassierende Armut und das Elend Flüchtender, Staatsversagen und -zerfall, mafia-ähnliche Strukturen und Extremismus, Ungerechtigkeit, Unterwerfung und Angst vor staatlicher wie nicht-staatlicher Gewalt bestimmen den Alltag von Millionen Menschen zwischen Mittelmeer und Hindukusch. Dabei sollten sie doch längst in Freiheit und Demokratie leben, unter pro-westlichen Regierungen und mit gleichberechtigten Chancen auf Bildung und Wohlstand.
Der war on terror basiert auf falschen Einschätzungen
So plante es nicht nur US-Präsident George W. Bush (2001-2009) mit seiner Logik von Regimewechsel und Demokratieexport, so versprach es auch sein Nachfolger Barack Obama (2009-2017) mit militärischem Rückzug und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. So forderten es die Bevölkerungen ab 2011 selbst ein, indem sie mutig demonstrierten, ihre verhassten Eliten zum Teil stürzten und demokratisch wählten. Und so tönte selbst America-first-Präsident Donald Trump (2017-2021), der dafür mehr amerikanische Waffen verkaufen und den Rest seinen buddies vor Ort überlassen wollte.
Sie alle verfolgten das gleiche Ziel, nur mit unterschiedlichen Mitteln. Und alle versagten. Der Grund dafür liegt tiefer – es ist das Konzept des war on terror, das auf falschen Einschätzungen basiert und so zu strategischen Fehlentwicklungen führte.
Blicken wir zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges dachte der Westen, sein siegreiches Modell – Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft – würde sich über kurz oder lang weltweit durchsetzen. Kein Grund mehr, in Asien Stellvertreterkriege zu führen oder in Südamerika Generäle zu installieren. Doch dann kam Al-Qaida und bestätigte scheinbar die These des US-Politologen Samuel Huntington vom clash of civilizations, dem Kampf der Kulturen – der Islam stieg zum neuen Weltfeind des Westens auf, der Krieg gegen den Terror wurde seine außenpolitische Doktrin.

Statt die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern, galt es fortan, den militanten Islamismus einzuhegen. Leider wählte der Westen dafür die gleichen falschen Mittel – militärische Feuerkraft, zweifelhafte Verbündete und moralische Worthülsen – eine Kombination, die sich gegenüber weltweit vernetzten Terroristen als ineffektiv erwies. Denn der neue Feind ließ sich nicht so leicht lokalisieren und machte sich ideologisch die Heuchelei des Westens zunutze. Und dieser verriet im Streben nach Sicherheit und Stabilität seine freiheitlichen Werte – nach innen und nach außen. Wie konnte es so weit kommen?