"Iran wird keine Kapitulationsverhandlungen führen"

Der Politikwissenschaftler Volker Perthes über die Strategie der Amerikaner im Atomstreit mit Iran, die Chancen auf einen Regimewechsel und die Frage, ob Europa das Abkommen noch retten kann. Mit ihm sprach Paul-Anton Krüger

Von Paul-Anton Kruger

Herr Perthes, die Europäer haben das Ultimatum des iranischen Präsidenten Hassan Rohani zurückgewiesen, dem Land binnen 60 Tagen Schutz vor den amerikanischen Sanktionen zu verschaffen. Wenn Iran seine Verpflichtungen nicht mehr einhalte, seien auch in der EU Sanktionen unumgänglich, heißt es. Ist das der Anfang vom Ende des Atomabkommens?

Volker Perthes: Es sieht ein bisschen so aus, als sei es der amerikanischen Regierung geglückt, das Atomabkommen zu ruinieren. Die Europäer und auch die Russen und Chinesen haben versucht, es aufrechtzuerhalten. Man muss auch sagen: Die Iraner haben sich bemüht, es aufrechtzuerhalten und sind ihren Verpflichtungen nachgekommen. Aber in dem Moment, in dem Iran anfängt, einzelnen seiner Selbstverpflichtungen bezüglich des Atomprogramms nicht mehr nachzukommen, ist das Abkommen für die Europäer nicht mehr interessant.

Iran wirft den Europäern vor, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, dem Land wirtschaftliche Vorteile zu ermöglichen. Wie könnte die EU denn diese Forderungen erfüllen, wenn sie es wollte?

Perthes: Die EU kann das tun, was sie ja schon angefangen hat zu tun: Sie kann Unternehmen sagen, dass europäische Firmen sich nicht an amerikanische Sanktionen halten sollen oder dürfen. Das hat nur leider keinen Effekt. Sie kann sagen, dass sie Importe aus Iran nicht sanktioniert und Banken erlaubt, sie zu finanzieren. Aber sie kann Unternehmen nicht dazu zwingen. Das zu tun, was die Iraner erwarten, nämlich ihre Ölexporte abzusichern, dafür hat die EU die Mittel nicht.

Woran die EU arbeitet, ist Instex, eine Art Verrechnungsmechanismus, der Handel mit Iran ermöglichen soll, ohne dass Dollars oder Euros fließen. Aber die Erwartung, dass sich viele Firmen daran beteiligen, ist gering. Die Amerikaner werden das als Umgehung ihrer Sanktionen einstufen und genauso gegen beteiligte Firmen vorgehen, als würden sie direkt in Iran Öl kaufen. Dabei ist es ganz essenziell, dass London, Paris und Berlin weiter eine gemeinsame Linie vertreten. Dazu gehört auch, den USA sehr deutlich zu sagen, dass eine Politik, die Iran aus dem Atomabkommen herausdrängt, europäischen Interessen zuwiderläuft.

Das heißt aber auch, dass die amerikanische Strategie, das Atomabkommen nach und nach auszuhöhlen und Iran in die Enge zu treiben, ganz gut funktioniert.

Perthes: Ja, das muss man leider so sagen. Die amerikanische Strategie hat funktioniert. Und der EU bleiben nur Maßnahmen, zu denen die Iraner dann sagen: Das sind nur Worte. Worte sind schon wichtig. Die Europäer könnten da schon noch ein Stück weit die Lautstärke hochdrehen und den Amerikanern erklären, dass sie die US-Politik für unsinnig und gefährlich halten und dass wir es wichtig finden, diese Abkommen zu erhalten, auch wenn wir an anderer Stelle die iranische Politik genauso kritisch sehen wie sie.

USS Abraham Lincoln; Foto: picture-alliance/US Navy/J. Sherman
Drohende militärische Eskalation: Das Pentagon verlegte vor wenigen Tagen den Flugzeugträger "USS Abraham Lincoln" und eine Bomberstaffel Richtung Iran und begründete dies damit, dass es Hinweise darauf habe, dass das Land Angriffe auf US-Truppen unternehmen könne. Zudem wurde die Verlegung der "USS Arlington" und eines Patriot-Systems in die Region angekündigt.

Wenn Iran keine Öleinnahmen mehr hat und keine Konsumgüter mehr importieren kann, führt das zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in Iran, an denen wir kein Interesse haben können.

Die US-Regierung sagt, die Sanktionen würden ihre Wirkung erzielen. Sie führen an, dass Iran den Verteidigungshaushalt und das Budget der Revolutionsgarden habe kürzen müssen und auch von Iran kontrollierte Milizen und Verbündete jetzt weniger Geld bekommen. Sitzt Trump am längeren Hebel, um Iran zum Einlenken zu zwingen?

Perthes: Washington sitzt am längeren Hebel und schafft es tatsächlich, Geldflüsse nach Iran und den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung einzuschränken. Das ist richtig. Die Frage ist, ob das tatsächlich zu einer Verhaltensänderung führt und Iran jetzt etwa Gespräche mit den USA sucht. Iran wird keine Kapitulationsverhandlungen führen. Ich sehe nicht, dass es den Amerikanern gelingen wird, Iran zu einer grundsätzlichen Änderung seiner Politik zu bringen und den grundsätzlichen Charakter des Regimes zu verändern, etwa indem es auf die zwölf Forderungen eingeht, die Außenminister Mike Pompeo formuliert hat.

Es hat ja Gesprächsangebote von Trump gegeben und auch Avancen zumindest von Außenminister Mohammad Jawad Zarif, über einen Gefangenenaustausch zu reden. Könnte das zu einem umfassenden amerikanisch-iranischen Abkommen führen, mit dem der Konflikt zwischen den beiden Ländern nach 40 Jahren beigelegt wird?

Perthes: Wenn es auf beiden Seiten die Bereitschaft zu bilateralen Verhandlungen gäbe, über die gesamte Bandbreite von Themen, bei denen es Dissens gibt, dann können wir als Europäer das nur unterstützen. Ich sehe das aber nicht als wahrscheinlichste Variante an.

Meine Einschätzung und auch die der Verhandler des Atomabkommens war, dass wir es nicht schaffen, mit den Iranern über die ganze Bandbreite von Themen zu sprechen. In dem Moment, wo die Amerikaner die Bewaffnung der Hisbollah oder Unterstützung für die Huthis auf den Tisch bringen, werden die Iraner sagen, ja da reden wir darüber. Dann reden wir aber auch darüber, was Saudi-Arabien in Jemen macht oder darüber, was Israel im Gazastreifen macht oder im Westjordanland - und über Jerusalem. Diese Liste lässt sich fortsetzen. Das führt dann zu nichts, das hatten wir in 13 Jahren Verhandlungen schon mal.

Das andere Szenario ist ja noch mehr Druck, noch mehr Sanktionen. Was ist denn Ihrer Einschätzung nach das Ziel dieser Kampagne der Amerikaner?

Perthes: Die Amerikaner wollen einen Regimewechsel in Iran, ohne ihn so zu nennen. Trump hat sich ja durchaus deutlich von der Regimewechsel-Politik von George W. Bush distanziert. Wenn man nach anderen Begriffen sucht, könnte man sagen, die Amerikaner wollen einen Regimekollaps in Iran herbeiführen. Und die Europäer sollten gegenüber Washington ganz klar sagen, dass sie eine auf "Regimekollaps" in Teheran gerichtete Politik in keiner Weise unterstützen werden.

Irans Präsident Rohani trifft Vertreter der politischen Elite des Landes in Teheran; Foto: Etemadonline
Den Zusammenbruch der Führung in Teheran ökonomisch erzwingen: "Die Amerikaner wollen einen Regimewechsel in Iran, ohne ihn so zu nennen. Trump hat sich ja durchaus deutlich von der Regimewechsel-Politik von George W. Bush distanziert. Wenn man nach anderen Begriffen sucht, könnte man sagen, die Amerikaner wollen einen Regimekollaps in Iran herbeiführen", meint Volker Perthes.

Ist das realistisch, das Regime in einen Zusammenbruch zu treiben?

Perthes: Es ist nicht auszuschließen, aber ich würde es für eine sehr gefährliche Strategie halten und eine, die aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Erfolg verspricht. Wenn es etwa zu Brotunruhen käme, würden die Sicherheitskräfte der Islamischen Republik stark genug sein, das in den Griff zu bekommen. So etwas würde eher zu einer Verhärtung des Systems führen und nicht zu einem demokratisch-liberalen System oder dazu, dass Iran Amerika gegenüber freundlich gesonnen ist.

Es gibt noch ein anderes Szenario, das durch die Verlegung eines amerikanischen Flugzeugträgers Richtung Persischer Golf wieder in den Blickpunkt gerückt ist: eine militärische Auseinandersetzung. Ist das Eskalationspotenzial schon wieder so hoch, dass die Region in einen neuen Krieg schlittern könnte?

Perthes: Die Gefahr für Zwischenfälle wächst gerade enorm, die Gefahr von Missverständnissen. Wenn ein amerikanischer Flottenverband im Golf unterwegs ist und dort auf die Revolutionsgarden trifft, dann kann das ganz schnell gehen. Da fährt ein iranisches Schnellboot zu nah an eine amerikanische Fregatte heran, dann fühlt sich jemand bedroht und eröffnet das Feuer, und dann folgt eine Antischiffsrakete. Das ist nicht ein Szenario, wo irgendjemand bewusst einen Krieg will. Aber wir haben unheimliche Spannungen und zwei Seiten, die nicht miteinander reden. Und dann können solche Vorfälle eskalieren. Das gilt etwa genauso für den Irak. Dort sind 5.200 amerikanische Soldaten stationiert, und wir haben dort Revolutionsgarden und schiitische Milizen, die loyal zu Iran sind. Aus solchen Vorfällen kann sich eine Eskalationsspirale ergeben. Was Trump sicher nicht will, das muss man auch sagen, ist eine Invasion in Iran wie Bush im Irak. Seine Strategie ist, so viel Druck zu machen, bis Iran einknickt. Aber auf dem Weg dorthin kann sehr viel schiefgehen, was dann zu militärischen Auseinandersetzungen führen kann. Und beide Seiten riskieren das durchaus bewusst.

Paul-Anton Krüger

© Süddeutsche Zeitung 2019

Professor Volker Perthes, 60, leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er berät die Bundesregierung und war im Auftrag der UN an Vermittlungsbemühungen für Syrien beteiligt. Er gilt als Kenner des Nahen Ostens und hat bei der SWP die entsprechende Forschungsgruppe geleitet, bevor er die Leitung übernahm.