Die neue Welle der Medienrepression

Die autoritären Machthaber in der arabischen Welt haben nach den Aufständen von 2011 verstanden, die Medien für ihre politischen Zwecke zu manipulieren und instrumentalisieren, um ein neuerliches demokratisches Beben rechtzeitig zu verhindern. Von Lydia Khalil

Von Lydia Khalil

Seit 2018 hallen große regierungsfeindliche Proteste – einige sprechen vom Arabischen Frühling 2.0 – durch den Nahen Osten. Die Demonstranten prangern die Korruption, das Sektierertum und die wirtschaftliche Stagnation an. Wie die arabischen Volksaufstände vor einem Jahrzehnt haben diese Proteste zum erfolgreichen Sturz politischer Führer geführt: Im Libanon, im Irak und in Jordanien sind die Ministerpräsidenten zurückgetreten, und im Sudan und in Algerien wurden langjährige Diktatoren gestürzt.

2011 ebbten die Proteste nach derartigen, von den Protestierenden erzwungenen Rücktritten ab. Diesmal aber gehen sie weiter und beleuchten so die Regierungs- und Staatsbürgerschaftskrise in der Region, die sich durch bloße Auswechslung des Regierungschefs eines dysfunktionale Staatswesens nicht angemessen beheben lässt.

Regierungstruppen und mit diesen verbündete Milizen im Irak und im Libanon haben versucht, die Proteste durch Gewalt und Einschüchterung zu unterdrücken, doch haben sich die Demonstranten davon nicht abschrecken lassen. Infolgedessen orientieren sich die dortigen Behörden inzwischen am Beispiel der stärker autoritären Regierungen der Region, wie denen Ägyptens und Saudi-Arabiens. Beide sind durch aggressive Unterdrückung der Medien und Manipulation von Informationen sowie durch gewaltsame Repressionen und Verhaftungen erfolgreicher dabei, aktives Abweichlertum zu unterdrücken – zumindest für den Augenblick.

Al-Sisis Krieg gegen alle unbequemen Wahrheiten

Aus Sicht der Regierungschefs dieser Länder war das freizügige Medien- und Informationsumfeld für die Proteste verantwortlich, die die arabische Welt 2011 erschütterten. In Ägypten etwa führt Präsident Abdel Fattah al-Sisi Krieg gegen alle Fakten oder Analysen, die den Interessen seines Regimes auch nur entfernt zuwiderlaufen, und hält die Medien durch umfassende Verfassungs- und Gesetzesänderungen erfolgreich unter Kontrolle.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi; Foto: Getty Images
Düstere Aussichten für Ägyptens unabhängige Medien: Präsident Abdel Fattah al-Sisi führt Krieg gegen alle Fakten oder Analysen, die den Interessen seines Regimes auch nur entfernt zuwiderlaufen, und hält die Medien durch umfassende Verfassungs- und Gesetzesänderungen erfolgreich unter Kontrolle.

Die ägyptische Regierung hat Verhaftungen durch weitreichende Mediengesetze erleichtert, die die Verbreitung von "Falschnachrichten" (d.h. eine den offiziellen Regierungserklärungen widersprechende Berichterstattung) zum Straftatbestand machen.

Diskutiert wird zudem ein Gesetzesentwurf, der die Verbreitung von Gerüchten kriminalisieren würde, wobei ein vom Kabinett beaufsichtigtes Gremium dafür verantwortlich sein soll, zu analysieren, was die Leute einander zuflüstern.

Die Razzia bei Mada Masr, Ägyptens letztem verbleibenden bedeutenden unabhängigen Medienunternehmen, vom vergangenen November ist nur ein Beispiel für den umfassenden Angriff des Landes auf die Medien. Vertreter der Sicherheitsorgane verhafteten drei Journalisten und behaupteten, dass Mada Masr Falschinformationen verbreitet habe und Beziehungen zu der (von der Regierung als Terrororganisation eingestuften) Muslimbruderschaft unterhalte.

In Wirklichkeit führte die Regierung die Razzia aus, um Mada Masr in Misskredit zu bringen, nachdem das Medium einen wenig schmeichelhaften Artikel über Al-Sisis Sohn Mahmoud veröffentlicht hatte. In diesem Fall wurden die verhafteten Journalisten wieder freigelassen; viele andere jedoch hatten weniger Glück.

Bin Salmans rücksichtslose Kampagne gegen Abweichler

Tatsächlich werden nur in China und in der Türkei mehr Journalisten eingesperrt als in Ägypten und Saudi-Arabien, wo die Zahl der inhaftierten Journalisten und Dissidenten seit 2011 stetig gestiegen ist. Seit er 2017 an die Macht kam, steht Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) einer rücksichtslosen Kampagne gegen Abweichler vor. Beispielhaft hierfür steht der Mord an dem saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi, der seinen ständigen Wohnsitz in den USA hatte, im Konsulat des Königreichs in Istanbul.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS); Foto: Getty Images/AFP
Der Tyrann aus Riad: Seit er 2017 an die Macht kam, steht Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) einer rücksichtslosen Kampagne gegen Abweichler vor. Beispielhaft hierfür steht der Mord an dem saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi, der seinen ständigen Wohnsitz in den USA hatte, im Konsulat des Königreichs in Istanbul.

MBS macht dabei nicht bei den Journalisten Halt; wer als politischer Gegner gilt ist Freiwild. Im letzten November verhaftete die Polizei acht Schriftsteller und Unternehmer, von denen die meisten keine aktiven Dissidenten waren. Zwei von ihnen, die Schriftsteller Abdulmajeed al-Buluwi und Badr al-Rashed, hatten MBS' wirtschaftliche Reformagenda in dem Bemühen, ihre frühere Kritik wieder gutzumachen, sogar öffentlich unterstützt.

Wie in Ägypten behaupteten die saudischen Behörden, die Inhaftierten hätten im Auftrag einer ausländischen Macht daran gearbeitet, die Regierung zu destabilisieren. Dies war die Kernaussage von durch MBS' Medienberater Saud al-Qatani betriebenen Kampagnen in den sozialen Medien, um Journalisten und Dissidenten in Misskredit zu bringen.

Länder wie Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei waren wegen ihrer Unterdrückung und Manipulation der Medien nicht mit größeren Folgen oder einer internationalen Gegenreaktion konfrontiert. Dies hat ihre repressiven Regime nicht nur weiter ermutigt; es hat auch andere Regierungen, die sich gegenwärtig Protesten ausgesetzt sehen, überzeugt, ähnliche Methoden anzuwenden.

Unterdrückung unerwünschter Zwischentöne im Irak

Im Irak hat die Regierung die Medien beschuldigt, die öffentliche Frustration zu fördern, die die umfangreichen Demonstrationen gegen die weit verbreitete Korruption, hohe Arbeitslosigkeit, schlechten öffentlichen Dienstleistungen und die iranische Einmischung antreibt. Im November 2019 sperrte die Medienaufsicht Übertragungen von Dijlah TV, einem irakischen Rundfunkanbieter mit Sitz in Jordanien, und schloss dessen Bagdader Niederlassung – wie auch die Niederlassungen von elf anderen Medienanbietern – wegen angeblicher Verstöße gegen die Lizenzbestimmungen. Sie verwarnte zudem fünf weitere Organisationen, sie sollten "ihren Diskurs" über die Proteste den Rundfunkregeln "anpassen".

Auch wurden Journalisten von den Sicherheitsdiensten festgenommen und gerieten ins Visier der mit ihnen verbündeten Milizen. Letztes Jahr überfielen unbekannte Bewaffnete die Bagdader Niederlassungen von vier Rundfunkanbietern, verwüsteten Studios und Büros, stahlen Ausstattung und griffen die Mitarbeiter tätlich an. Die Regierung hat den Internetservice während der Proteste mehrmals unterbrochen, was der irakischen Wirtschaft erhebliche Kosten auferlegt hat.

Infografik zeigt Zahl der inhaftierten Journalisten in Ägypten, Saudi-Arabien, China, der Türkei und Vietnam auf; Quelle: Reporter ohne Grenzen
Saudi-Arabien und Ägypten als traurige Rekordhalter in der arabischen Welt: Nach Informationen von "Reporter ohne Grenzen" sitzt die Mehrzahl der Inhaftierten in beiden Ländern ohne Urteil oder Anklage im Gefängnis. Kommt es doch zum Prozess, werden die Journalistinnen und Blogger dort oft in grob unfairen Verfahren zu sehr langen Haftstrafen verurteilt. Selbst wer aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist dort oft massiven Repressalien ausgesetzt.

Zwischen Einschüchterung und Inhaftierung – das Beispiel Libanon

Im Libanon, der oft als Oase medialer Offenheit in der Region gilt, lässt die Regierung in dem Bemühen, die seit Oktober 2019 anhaltenden Demonstrationen zu unterdrücken, ihre Kritiker zunehmend einschüchtern und verhaften. Die Beschwerden der Demonstranten über das Versagen der Regierung – und über deren Vereinnahmung durch die politische Elite des Landes – lassen sich leicht in Anklagen wegen Anstiftung zum Sektierertum verdrehen, die laut Verfassung ungesetzlich ist. Ein anderer Vorwurf, der genutzt wird, um Demonstranten und Journalisten in Misskredit zu bringen, ist der der Verleumdung.

Die Anhänger der herrschenden Parteien des Landes haben ihre Kräfte mobilisiert, um die Demonstranten einzuschüchtern und Serviceanbieter unter Druck zu setzen, die Accounts der Anführer der Proteste sowie prominenter Journalisten in den sozialen Medien zu sperren. Diese Accounts sind enorm wichtig, weil die von den Parteien kontrollierten etablierten libanesischen Medien bisher kaum über die Proteste berichten. Politisch kontrollierte Nachrichtenmedien verbreiten zudem Desinformationen und behaupten, ausländische Medien hätten die Proteste unterstützt, um den Libanon zu schwächen.

Doch hatten die libanesische und die irakische Regierung mit ihren Taktiken zur Informationsunterdrückung deutlich weniger Erfolg, ihre Bürger auf Linie zu halten, als ihre autoritären Nachbarn. Bis heute scheinen die Demonstranten entschlossen, den Kampf fortzusetzen, bis ihre Regierungen wirklich auf ihre Forderungen eingehen. Auch hat die Unterdrückung der Medien bislang lediglich dazu geführt, alternative Medien und Kommunikationskanäle bekannter zu machen.

Autokratische Regime haben längst erkannt, dass es einfacher und wirksamer ist, die Presse in Misskredit zu bringen oder zu unterdrücken, als sich durch Einsatz von Gewalt an der Macht zu halten, selbst wenn diese Kontrolle zulasten der Offenheit und wirtschaftlichen Dynamik geht, die diese Länder verzweifelt brauchen. Doch die Erfahrungen im Irak und im Libanon legen nahe, dass dieser Ansatz seine Grenzen hat. Obwohl beide Länder vor tiefen strukturellen Herausforderungen stehen und Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle weiterhin Risiken ausgesetzt sind, hat die Abhängigkeit der politischen Systeme dieser Länder von Übereinkünften zur Machtteilung verhindert, dass abweichende Stimmen komplett zum Schweigen gebracht werden konnten.

Lydia Khalil

© Project Syndicate 2020

Aus dem Englischen von Jan Doolan