
Präsidentschaftswahlen in ÄgyptenUngeschminkter Autoritarismus
Autoritäre Herrschaft muss nicht notwendigerweise gesetzlich verankert sein: Das Einparteiensystem und die ganz offiziell in die Verfassung eingeschriebene Willkürherrschaft verschwinden schon seit längerem schrittweise von der Bildfläche. Genauso wenig ist autoritäre Herrschaft lediglich ein System der Unterdrückung und Repression, das sich auf die Verängstigung der breiten Bevölkerung und alltägliche Einschüchterung stützt.
Vielmehr gründet jede autoritäre Herrschaft zumindest in Teilen auch auf dem Versprechen, im Gegenzug für beschnittene Rechte für ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Insofern basiert autoritäre Herrschaft nicht bloß auf einem durch die Propagandamaschinerie verbreiteten Geflecht aus Lügen, das die Realität übertünchen soll. Denn schenken die Menschen derartigen Propagandafiktionen nur lange genug Glauben, werden sie für sie zu einer neuen Realität, die dann den Rahmen für ihre Erwartungen an die Regierung und ihr Handeln bildet.
Wechselspiel von Angst und Sicherheitsgefühl
Autoritäre Herrschaft spiegelt sich daher eher im Spannungsverhältnis von Gegensätzen verschiedener Art wieder: dem Dualismus von Legalität und Informalität, dem Wechselspiel von Angst und Sicherheitsgefühl, aber auch in der Diskrepanz zwischen dem, was die Regierung sagt und ihrem tatsächlichen Handeln. Autoritäre Herrschaft findet ihren Ausdruck zudem im Zusammenspiel zwischen dem, was öffentlich stattfindet und dem, was hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, auch wenn trotzdem alle wissen, was dort vor sich geht.
Die Grauzone zwischen den genannten Gegensätzen und die gewollte Unberechenbarkeit, in der der Staatsapparat und seine Repräsentanten selektiv das Gesetz anwenden und formal vorhandene Rechte auch in der Praxis gewähren, bilden den Kern des autoritären Herrschaftssystems und halten es effektiv und langfristig am Laufen.
Die Beherrschten gehen derweil in diesem undurchschaubar strukturierten Zwischenraum unter, während sie versuchen im Blindflug zwischen den Polen zu manövrieren, in der Hoffnung auf beiden Seiten herauszuholen, was herauszuholen ist, und sei es durch Zufall. Die Mutigsten unter ihnen möchten die Kluft zwischen den Rändern dieser Grauzone verringern. Sie versuchen, die Regierung dazu zu bringen, nur zu sagen, was sie auch tatsächlich beabsichtigt umzusetzen und öffentlich zu verhandeln, was sich bisher im Verborgenen vollzog, so dass letztlich beides übereinstimmt.
Mubaraks Spiel der Herrschaftssicherung

Dank drei Jahrzenten Erfahrung beherrschte das Regime Hosni Mubaraks dieses Spiel der Herrschaftssicherung – und es gelang ihm, alle Teile der Gesellschaft in dieses System hineinzuziehen. Jede Aktivität, jeder Diskurs und jede Institution wanderte immer auf dem schmalen Grat zwischen Legalität und Informalität.
Die in der Ära Mubaraks aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen sind ein gutes Beispiel für die paradoxe Wirkung des Zusammenspiels dieser Pole: Ihre rechtliche Agenda zwang sie dazu, sich auf das Rechtssystem, die Verfassung und den Diskurs des Regimes zu stützen, um es dazu zu bringen, die Kluft zwischen eben diesen und ihrer Umsetzung zu verringern. Das Regime seinerseits hielt die zivilgesellschaftlichen Organisationen unnachgiebig in der Schwebe zwischen Legalität und Informalität. So arbeiteten die meisten Menschenrechtsorganisationen in der Ära Mubaraks zwar im Prinzip auf gesetzlicher Grundlage, ihr rechtlicher Status wurde aber absichtlich im Unklaren belassen.