Die drittgrößte Demokratie der Welt am Scheideweg

Indonesiens bisheriger Präsident Joko Widodo im Hintegrund
Indonesiens derzeitiger Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, darf nicht mehr zur Wahl antreten. Er unterstützt die Kandidaten Prabowo Subianto (unten links) und dessen jungen Vizekandidaten Gibran Rakabuming Raka (unten rechts), seinen Sohn. (Foto: Nadja Ritter)

Am 14. Februar wählen rund 205 Millionen Wahlberechtigte in Indonesien einen neuen Präsidenten sowie neue Parlamente. Das Land hat sich in den vergangenen 25 Jahren zu einer stabilen Demokratie entwickelt. Doch Beobachter fürchten nun zunehmend autokratische Tendenzen.

Von Christina Schott

Eine Woche vor der wichtigsten Wahl in der Geschichte Indonesiens haben rund ein Dutzend indonesischer Universitäten vor Rückschritten für die Demokratie gewarnt. Ein Drittel der Wähler ist jünger als 30 Jahre alt – und kann sich somit nicht mehr an die Gewaltherrschaft des Diktators Suharto erinnern, der 1998 zurücktrat. Doch es gibt Befürchtungen, das Land kehre zurück zu autoritären Strukturen.  

Hochschullehrer aus dem ganzen Land appellierten an den amtierenden Präsidenten Joko Widodo (genannt Jokowi), für faire und freie Wahlen zu sorgen. Sie werfen seiner Regierung unter anderem vor, die einst starke Antikorruptionsbehörde KPK geschwächt und die Bildung neuer politischer und wirtschaftlicher Eliten ermöglicht zu haben. 

Diese kontrollierten nun die Entscheidungsfindung im Parlament sowie die natürlichen Ressourcen im Land. Zudem sei die Meinungsfreiheit zunehmend in Gefahr, etwa durch neue Gesetze, die Kritik am Präsidenten und staatlichen Institutionen unter Strafe stellen.  

"Wir haben gesehen, wie politische Eliten Gesetze ausnutzen, um problematische politische, soziale und wirtschaftliche Entscheidungen zu legitimieren“, erklärte Professor Ganjar Kurnia, Senatsvorsitzender der Padjadjaran Universität in Bandung, in einem öffentlichen Statement. Juraprofessor Rachmad Safa'at von der Brawijaya Universität in Malang geht in einem Interview mit der Nachrichtenplattform inews.id noch weiter: "Das Problem ist, dass Jokowi ein autoritäres System aufbaut. Er hat das Verfassungsgericht (MK), das Parlament, die Armee und die Polizei politisch im Griff. Das nennt man persönliche autoritäre Oligarchie“.  

Duo für die Präsidentschaftswahl Verteidigungsminister Prabowo Subianto (links) und sein junger Vizekandidat Gibran Rakabuming Raka
Duo für die Präsidentschaftswahl: Verteidigungsminister Prabowo Subianto (links) und sein junger Vizekandidat Gibran Rakabuming Raka, 36 Jahre alt (Foto: Tatan Syuflana/AP Photo/picture alliance)

Familienherrschaft auch in Indonesien?

Tatsächlich hat das Verfassungsgericht im vergangenen Oktober das Mindestalter für Präsidentschaftskandidaten von 40 Jahren so weit heruntergesetzt, dass der 36-jährige Sohn Jokowis, Gibran Rakabuming Raka, als Stellvertreter des amtierenden Verteidigungsministers Prabowo Subianto in den Wahlkampf ziehen durfte. 

Der oberste Verfassungsrichter, ein Schwager Jokowis, wurde wegen des umstrittenen Urteils suspendiert. Auf die Kandidatur Rakas hat dies aber keine rechtliche Auswirkung – genauso wenig wie ein Ethikverstoß der Wahlkommission, die Rakas Kandidatur registrierte, noch bevor sie das Mindestalter für eine Bewerbung angepasst hatte.  

Gemeinsam mit Raka, der vor allem die jungen Wähler überzeugen soll, könnte der 72-jährige Subianto laut der letzten Umfragen schon im ersten Wahlgang eine knappe Mehrheit von rund 51 Prozent erreichen. Seine Anhänger feiern den Ex-General als starken Mann, der Stabilität verspricht und die Politik der aktuellen Regierung fortsetzen will.

Seine Gegner werfen ihm jedoch vor, für zahlreiche Menschenrechtsverbrechen während des Suharto-Regimes verantwortlich zu sein – darunter die Entführung und Ermordung Oppositioneller sowie die Massenvergewaltigungen chinesischstämmiger Frauen.

Wahlvorbereitungen sind eine logistische Herausforderung. Pakete mit Stimmzetteln in Surakarta
Wahlvorbereitungen sind eine logistische Herausforderung in einem Inselstaat, der sich über drei Zeitzonen erstreckt. Pakete mit Stimmzetteln in Surakarta (Foto: Garry Andrew Lotulung/Anadolu/picture alliance)

Enttäuschung über Widodo

Subianto trat bereits bei den Wahlen 2014 und 2019 an, unterlag aber beide Male seinem damaligen politischen Gegner Jokowi. Dieser holte den früheren Erzfeind ins Kabinett und machte den Ex-General so zum Verbündeten. 

Nun hat sich Jokowi als amtierender Präsident im Wahlkampf hinter Subiantos Bewerbung gestellt – anstatt wie üblich als Präsident Neutralität zu bewahren oder zumindest formal den Kandidaten seiner eigenen Partei PDI-P, Ganjar Pranowo, zu unterstützen. Dieser rangiert in den Umfragen infolgedessen nur an dritter Stelle hinter dem früheren Gouverneur von Jakarta, Anies Baswedan. 

Beide gelten als sozial orientierte Demokraten und hoffen auf die Anhängerschaft des jeweils anderen in einer möglichen zweiten Wahlrunde, sollte Subianto nicht schon in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreichen. Anders als in vergangenen Wahlen spielen religiöse Themen in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle, wobei Baswedan allerdings auch von radikalislamischen Gruppen unterstützt wird. 

Nichtregierungsorganisationen warnen eindringlich vor Beeinflussung und Betrugsversuchen bei der Wahl. In den sozialen Medien rufen sie dazu auf, gemeinsam mit Freunden in die Wahllokale zu gehen, dort bis zur Auszählung zu bleiben und diese sogar per Handy zu dokumentieren. Menschenrechtler und Umweltaktivisten, die Präsident Joko Widodo vor zehn Jahren noch mit großer Hoffnung gewählt haben, sind heute tief enttäuscht.

Anstatt wie versprochen die unter der Suharto-Diktatur begangenen Verbrechen aufzuarbeiten, kooperiert Widodo mit Prabowo Subianto, der selbst ein führender Akteur des Militärregimes war. Anstatt wie versprochen Indonesiens einzigartige Natur zu schützen und indigenen Völkern zu mehr Rechten zu verhelfen, hat die aktuelle Regierung den Plantagenbau ausgeweitet und zum Beispiel den Nickelabbau ohne Rücksicht auf die Umwelt hochgeschraubt – unter anderem um Batterien für deutsche E-Autos herzustellen. 

Dabei hat der frühere Möbelunternehmer Jokowi durchaus beachtliche politische Erfolge vorzuweisen: Die Infrastruktur wurde in seiner zehnjährigen Amtszeit signifikant ausgebaut, der Bürokratieapparat deutlich effizienter und die indonesische Wirtschaft hat sich zu einem hochattraktiven Markt für internationale Investoren entwickelt. Auf internationaler Ebene ist Indonesien heute ein angesehenes G20-Mitglied und nimmt eine wichtige Position als Vermittler im Konflikt zwischen China und den USA ein.  

Zudem ist das Land Partner zahlreicher umweltbezogener Entwicklungsprojekte wie etwa bei der Just Energy Transition Partnership der Vereinten Nationen. Doch die Wirtschaft bleibe trotz allem fragil ohne mehr soziale Gerechtigkeit, erklärt die Vorsitzende der Nationalen Frauenrechtskommission, Andy Yentriyani: "Es ist fraglich, ob man anhand der Makroökonomie eines Landes den tatsächlichen Zustand einer Gesellschaft widerspiegeln kann.“ 

Auf die nächste Regierung Indonesiens wartet daher ein schwieriger Balanceakt. Einerseits muss sie die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorantreiben, um der stetig wachsenden Bevölkerung ausreichend Arbeitsplätze zu verschaffen und die Armut im Land zu reduzieren.  

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Bildung und soziale Gerechtigkeit sind zentral

Dazu sind vor allem eine Reform des maroden Bildungssystems sowie mehr soziale Gerechtigkeit – insbesondere für Frauen, religiöse Minderheiten und indigene Volksgruppen notwendig. Zugleich muss der Staat die unkontrollierte Ausbeutung natürlicher Ressourcen stoppen sowie die an vielen Orten untragbare Luft- und Wasserverschmutzung bekämpfen, um einen baldigen Umweltkollaps mit verheerenden sozialen Auswirkungen zu verhindern. 

Auch muss die künftige Regierung den geplanten Mega-Umzug der Hauptstadt Jakarta auf die Urwaldinsel Borneo – das vielleicht größte Vermächtnis von Jokowi – entweder realisieren oder verwerfen.

"Ich hoffe immer noch, dass aus den jetzigen Politikern Staatsmänner werden, die Interessen priorisieren, die größer sind als sie selbst und ihre eigene Partei. Die sich für langfristige Anliegen einsetzen, um sinnvolle Verbesserungen der Gesellschaft herbeizuführen und nicht nur für kurzfristige eigene Vorteil“, sagt die Menschenrechtlerin Andy Yentriyani. "Angesichts der aktuellen Lage erscheint diese Hoffnung allerdings eher utopisch.“ 

Christina Schott 

© Qantara.de 2024

Christina Schott hat 20 Jahre lang als freie Journalistin in Indonesien und Südostasien gelebt und gearbeitet.