Vielschichtiger Konflikt

Der Streit um den Leiter des Münsteraner Zentrums für Islamische Theologie spitzt sich zu. Im Kern geht es nicht nur um die "richtige" Islamlehre, sondern darum, dass die Islamverbände der Politik gegenüber ihre Stärke demonstrieren wollen – mit fatalen Folgen für das junge Fach der Islamischen Theologie. Von Canan Topçu

Von Canan Topçu

Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich inhaltlich auseinanderzusetzen. Das Thema der Konferenz hätte es hergegeben. "Islam in Deutschland – Herausforderungen zur Etablierung einer Islamischen Theologie", so lautete der Titel der Veranstaltung am Sonntag vor einer Woche. Eingeladen hatte dazu die "Schura Hamburg" und das "Islamische Zentrum Hamburg".

Auf dem Podium sollten unter anderem Professor Mouhanad Khorchide und Vertreter der Islamverbände sitzen. Die Funktionäre des organisierten Islams erschienen aber nicht – weil sie nicht an einer Veranstaltung mit Khorchide teilnehmen wollten. Dieses demonstrative Fernbleiben drückt einmal mehr aus, wie vertrackt die Causa Khorchide inzwischen ist.

Der Streit um den Leiter des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Münster wird vor allem über die Medien ausgetragen. Außenstehende überblicken aber kaum mehr, worum es in der Auseinandersetzung tatsächlich geht.

Ungeliebte Islamdeutung

Vordergründig sorgt Khorchides Interpretation des Islams für Aufregung. Die Kritik der Verbandsfunktionäre mündet in schweren Vorwürfen: Khorchide verstoße mit seiner Koran-Auslegung gegen theologische Grundsätze der Muslime und biedere sich der Mehrheitsgesellschaft an.

Bekir Alboga; Foto: dpa/picture-alliance
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Zudem werden seine theologischen Kompetenzen und seine akademischen Abschlüsse infrage gestellt sowieseine wissenschaftliche Arbeitsweise kritisiert. "Wir brauchen erst einmal eine gute, solide Theologie, die an den Universitäten aufgebaut wird. Auf der Grundlage dieser guten Basis sollten dann die Meinungen aufeinander prallen", erklärte Bekir Alboga unlängst in einem Fernsehinterview. Der Ditib-Funktionär und derzeitige Sprecher des "Koordinierungsrats der Muslime" (KRM) sieht Khorchide nicht als Theologen, sondern als Soziologen.

Warum aber stellen die Verbände erst vier Jahre nach Khorchides Berufung an eine deutsche Hochschule dessen Qualifikationen in Frage? Warum beanstanden sie erst nach mehr als ein Jahr nach Erscheinen von "Islam ist Barmherzigkeit" Khorchides theologische Lehre? Und: Warum schweigt der akademische Kreis in den Islamischen Zentren zu den Vorwürfen des KRM gegen einen Kollegen, während sich christliche Theologen öffentlich zu Wort melden?

Antworten auf diese Fragen sind, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand zu bekommen. Während ein Teil des akademischen Personals auf Anfragen gar nicht reagiert, reden andere erst nach der Zusage auf Anonymität. Zu groß ist bei so manchem die Sorge, bei den Verbänden in Ungnade zu fallen.

Ein Großteil des Lehrpersonals hat eine befristete Stelle und will sich mit Äußerungen zur Causa Khorchide nicht die eigene akademische Laufbahn gefährden. Geschwiegen wird aber auch, wie zu hören ist, "weil viele selbst keine islamischen Theologen sind". Auf den Punkt bringt es ein Nachwuchswissenschaftler so: "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen."

In der Causa Khorchide vermischen sich mehrere Ebenen. Zum einen sind da die Islamverbände, die auf dem Rücken des Professors der Politik gegenüber ihre Stärke demonstrieren wollen. "Die Verbände sind größenwahnsinnig geworden und wollen, dass sie behandelt werden wie die katholische Kirche", erklärt der Nachwuchswissenschaftler. Eben dazu habe die Politik beigetraten, in dem sie den Verbänden mehr Bedeutung beigemessen habe als ihnen eigentlich zustehe.

Wenn Verbandsvertreter erklärten, Khorchides Koran-Auslegung widerspreche den Vorstellungen der Muslime in Deutschland, dann gebe das nicht die Realität wieder. "Es gibt sehr viele Muslime, die das Bild des barmherzigen Gottes, wie Khorchide ihn beschreibt, als eine Wohltat empfinden."

Kein revolutionärer Ansatz

So revolutionär, wie es in der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werde, sei Khorchides Ansatz nicht, sondern finde sich auch bei islamischen Theologen wie Ömer Özsoy von der Universität Frankfurt, ist immer wieder aus dem akademischen Umfeld zu hören. Doch Özsoy lege keinen Wert auf Publicity, heißt es.

Khorchide habe es übertrieben mit seiner Medienpräsenz, meinen auch diejenigen, die mit seiner Theologie keine Probleme haben. Seine mediale Präsenz und seine Koran-Auslegung sind manch einem ein Dorn im Auge.

"Als Angestellter an einer deutschen oder jeder anderen Universität der Welt muss man als Wissenschaftler auftreten und nicht als Medienstar. Und die absolute Voraussetzung, um Islamische Theologie zu lehren, sind entsprechende Qualifikationen wie Studium, Promotion und Habilitation. Solide ausgebildete Wissenschaftler zeichnen sich durch Bescheidenheit aus", erklärt Ibrahim Salama.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück fasst in einem Satz zusammen, was Khorchides Kritiker an den Zentren für Islamische Theologie denken, aber nicht öffentlich aussprechen. Salama ist einer der wenigen.

Canan Topçu; Foto: Christoph Boeckheler
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Dass Khorchide Rückendeckung von christlichen Theologen bekommt, die Expertisen zum KRM-Gutachten oder zu dem jüngst geäußerten Plagiatsvorwurf verfassten, bestätigt Salama sowie andere Kritiker in ihrer Annahme, Khorchide biedere sich bei den Christen an.

Von Intrigen gegen seine Person spricht inzwischen Khorchide selbst. Unlängst erhob Abdel-Hakim Ourgh, Studienleiter des Arbeitsbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Plagiatsvorwürfe gegen Khorchide. Er habe die Ideen des syrischen Intellektuellen Muhammad Shahrour übernommen, erklärte Ourgh.

Auf diese Anschuldigungen reagierte prompt der Heidelberger Islamwissenschaftler und Shahrour-Kenner Thomas Amberg und erklärte, dass dieser Vorwurf mit Blick auf die diffusen und wenig überzeugenden Argumente "nichts als böswillig" sei. "Inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Khorchide und Shahrour liegen einzig darin begründet, dass deren Anliegen recht ähnlich sind." Khorchide will die Diffamierung seiner Person nicht mehr hinnehmen und kündigte inzwischen rechtliche Schritte ein.

Machtkampf auf mehreren Ebenen

Doch was ist der eigentliche Kern der Causa Khorchide? Die theologische Positionierung oder die akademische Position des Professors?

Die Frontlinie im Machtkampf verläuft nicht nur zwischen den Islamverbänden und dem Zentrum für Islamische Theologie in Münster, sondern auch zwischen Münster und Osnabrück: Es ist kein Geheimnis, dass sich die beiden Leiter der nur nach außen als ein Zentrum manifestierenden Standorte nicht grün sind. Professor Bülent Ucar steht für eine konservative und damit den Verbänden genehmere islamische Theologie, auch wenn er sich zu Causa Khorchide nicht äußert. Dass sein Institut Mitte Januar Aiman Mazyek vom "Zentralrat der Muslime" einlud, um über "Erwartungen muslimischer Religionsgemeinschaften an eine Islamische Theologie in Deutschland" zu sprechen, wird jedoch als Positionierung gegen Khorchide erachtet.

Rückendeckung bekommt Khorchide von der Leitung der Universität Münster. Sie steht "voll und ganz" hinter dem Professor und teilte inzwischen mit, dass die Vorwürfe und die Kritik an ihm unhaltbar seien. Der Institutsleiter erfülle seine Aufgabe, eine theologische Debatte zu führen.

Canan Topçu

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de