Auf dem Weg zur Internetzensur

Ein umstrittenes neues Gesetz zur Cyberkriminalität, das nun vom jordanischen König ratifiziert wurde, könnte schwerwiegende Folgen für die Meinungsfreiheit, die politische Partizipation und die digitale Wirtschaft haben, schreibt der jordanische Publizist Abdullah Jbour.

Von Abdullah Jbour

Im Juli legte die jordanische Regierung einen Entwurf für ein sogenanntes Cybercrime-Gesetz vor, das noch im selben Monat mit nur geringfügigen Änderungen vom Parlament verabschiedet und am 12. August von König Abdullah II. ratifiziert wurde. Dieser Vorgang löste in der Öffentlichkeit heftige Kontroversen aus.

Das Gesetz sieht Bestimmungen vor, die die Meinungsfreiheit und die politische Meinungsäußerung im digitalen Raum einschränken. Es sendet ein bedenkliches Signal zur Entwicklung des politischen Modernisierungsprojekts im Königreich, das vor mehr als einem Jahr mit dem Ziel eingeleitet wurde, das politische System zu reformieren und die Bürgerbeteiligung zu stärken.

Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Vertreter der Zivilgesellschaft und andere Jordanier haben gegen das Gesetz protestiert. Sie verweisen auf weitreichende negative Folgen: Es werde die politische Partizipation behindern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens davor bewahren, Rechenschaft für ihre Politik ablegen zu müssen.



Außerdem würde es die vorgeschlagenen politischen Reformen gefährden und die Kontrolle der Regierung über Social Media-Plattformen verstärken. So werde der Weg zur Zensur des Internets geebnet. 

 

"The King of Jordan approved a bill Saturday to punish online speech deemed harmful to national unity" -- not even a pretext of doing anything other than suppressing criticism of his unelected rule. https://t.co/QzzKaUEqFB

— Kenneth Roth (@KenRoth) August 13, 2023

 

Das Fehlen politischer Legitimität 

Jordaniens Regierungen mangelt es generell an politischer und gesellschaftlicher Legitimität. Weder das jordanische Volk noch die Parlamentarier sind an der Bildung der Regierung, auch nicht an der Ernennung des Premierministers und seines Kabinetts, beteiligt.  Der aktuellen Regierung ist es seit ihrer Ernennung durch König Abdullah II. Ende 2020 nicht gelungen, das Vertrauen der jordanischen Bevölkerung zu gewinnen, wie Meinungsumfragen regelmäßig zeigen. 

Unter dem gleichen Problem leidet auch das jordanische Parlament: Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020 lag die Wahlbeteiligung mit 30 Prozent auf dem niedrigsten Stand in der Geschichte des Landes. Neben mangelnder Transparenz waren die Wahlen durch eine geringe Teilnahme organisierter politischer Parteien gekennzeichnet. 

Den digitalen Raum im Visier 

Die jordanische Regierung überwacht seit langem, was in den sozialen Medien und auf digitalen Nachrichtenplattformen veröffentlicht wird, und hat den Zugang zu bestimmten Websites und Anwendungen eingeschränkt. Während der Arbeiterproteste im Süden des Königreichs gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise im Dezember letzten Jahres blockierte die Regierung TikTok, um die Live-Berichterstattung über die Demonstrationen einzuschränken - so wie sie es bereits bei früheren Protesten mit Facebook und Twitter getan hatte.



Zuvor hatte sie bereits die iPhone-App  Clubhouse blockiert, um Jordanier daran zu hindern, in Anwesenheit ausländischer Oppositioneller über öffentliche Angelegenheiten zu diskutieren. Der Zugang zu Al-Hudood, einer bekannten politischen Satire-Website, und 7iber, einem regierungskritischen Nachrichtenportal, wurde ebenfalls eingeschränkt. 

Logo des Cyber Crime Unit in Amman; Quelle: Petra Agency Jordanien Government
Bekämpfung von Verbrechen im Netz - und Einschränkung der Meinungsfreiheit: Das neue Gesetz gegen Cyberkriminalität mag einige positive Aspekte haben – zum Beispiel kann es auch zur Bekämpfung von Identitätsdiebstahl, sexueller Erpressung und Menschenhandel (siehe Artikel 3, 10, 13 und 18) dienen. Aber es wird die Veröffentlichung und Verbreitung von Informationen kriminalisieren (einschließlich dessen, was die Regierung als "Fake News“ und "Verleumdung“ ansieht - siehe Artikel 15). Außerdem wird es den Staatsanwälten weitreichende Befugnisse zur Durchsetzung des Gesetzes einräumen.



Auch bisher ist den jordanischen Regierungen nicht verborgen geblieben, welchen Einfluss digitale Medien auf die öffentliche Meinung haben können. Dies gilt umso mehr, als die jordanische Bevölkerung das Vertrauen in die staatlichen Institutionen verloren hat. Diesen gelingt es seit Jahren nicht, die vielfältigen sozioökonomischen Probleme des Landes zu lösen. Vor allem schafft die Regierung es nicht,  die ausufernde Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die in einem Land mit einer überwiegend jungen Bevölkerung ein großes Problem darstellt.

Doch die Regierung wehrt sich gegen Kritik und weigert sich, für ihre politischen Entscheidungen Rechenschaft abzulegen. Dies zeigte sich eindrucksvoll, als der Premierminister bei einem Treffen mit Jugendorganisationen im Juni dieses Jahres seine Gesprächspartner ermutigte, sich ohne Angst und Zögern politisch zu engagieren. Wenige Tage nach dem Treffen wurde eine Gruppe parteinaher Jugendlicher verhaftet, die einen Protest gegen das Gesetz zur Cyberkriminalität organisiert hatten. 

Politische und wirtschaftliche Folgen 

Das neue Gesetz mag einige positive Aspekte haben – zum Beispielkann der zur Bekämpfung von Identitätsdiebstahl, sexueller Erpressung und Menschenhandel dienen (siehe Artikel 3, 10, 13 und 18). Aber es wird die Veröffentlichung und Verbreitung von Informationen kriminalisieren (einschließlich dessen, was die Regierung als "Fake News“ und "Verleumdung“ ansieht - siehe Artikel 15).



Außerdem wird es den Staatsanwälten weitreichende Befugnisse zur Durchsetzung des Gesetzes einräumen. Darüber hinaus verwendet das Gesetz vage und weit gefasste Begriffe, wie "Wahrheit“, "nationale Einheit“, "Aufruhr“ und ähnliche Begriffe, die leicht nach Belieben ausgelegt und instrumentalisiert werden können. 

Kritiker befürchten, dass das Gesetz die Glaubwürdigkeit des Projekts zur Modernisierung der Politik in Jordanien untergräbt – vor allem bei der jordanischen Jugend, die die Möglichkeiten parteinaher politischer Partizipation ausloten will.

Blick auf die Hauptstadt Amman; Foto: Raaf Adaylah/AP/picture-alliance
Blick auf Jordaniens Hauptstadt Amman: Den Regierungen des Landes mangelt es generell an politischer und gesellschaftlicher Legitimität. Weder das jordanische Volk noch die Parlamentarier sind an der Bildung der Regierung, auch nicht an der Ernennung des Premierministers und seines Kabinetts, beteiligt.  Der aktuellen Regierung ist es seit ihrer Ernennung durch König Abdullah II. Ende 2020 nicht gelungen, das Vertrauen der jordanischen Bevölkerung zu gewinnen, wie Meinungsumfragen regelmäßig zeigen.



In diesem Zusammenhang dürfte das Gesetz eine abschreckende Wirkung auf alle Formen des politischen Aktivismus haben, da die Jugend in hohem Maße auf digitale Medien zurückgreift, um die Öffentlichkeit zu erreichen und Kritik an der Regierung zu äußern. Dies könnte schwerwiegende Folgen für die Parlaments- und Kommunalwahlen im kommenden Jahr haben. 

Die vagen Bestimmungen des Gesetzes könnten auch die Digitalwirtschaft Jordaniens beeinträchtigen. Start-ups und junge Unternehmen sind besorgt, weil das Gesetz elektronische Zahlungsmethoden und digitale Dienstleistungen einschränkt. Dies könnte die Bemühungen von Investoren behindern, die digitale Dienste nutzen, um jordanischen Jugendlichen und Frauen zu helfen, wirtschaftliche Herausforderungen zu bewältigen und auf eigenen Füßen zu stehen. 

In einer offiziellen Stellungnahme kritisierte das US-Außenministerium das geplante Gesetz und warnte vor dessen Auswirkungen auf die Digitalwirtschaft, die politische Meinungsfreiheit und die Zukunft der Demokratie in Jordanien. 

Mit der überstürzten Ratifizierung des Gesetzes ohne ausreichend Zeit und Raum für eine öffentliche Debatte wiederholt die Regierung die Fehler der Vergangenheit. Auch das jordanische Parlament hat mit der Verabschiedung des Gesetzes einen Fehler begangen.



Es hat die Chance vertan, Beziehungen zu den politischen Parteien, zur Zivilgesellschaft und vor allem zur jordanischen Öffentlichkeit aufzubauen, ohne die das Vertrauen in die politischen Institutionen nicht wiederhergestellt werden kann. 

Abdullah Jbour 

© Sada/Carnegie Endowment for International Peace

Abdullah Jbour forscht im Bereich der politischen Soziologie mit den Schwerpunkten Jugend und Zivilgesellschaft, Staatsbürgerschaft und Identität, Staat und demokratischer Wandel. Folgen Sie ihm auf Twitter @jbour_abdullah.