Mehr Teilhabe im ländlichen Raum

Workshops zur Stärkung von Frauen der High Atlas Foundation in Marokko können Teilhabe und Gemeinschaftsgefühl in ländlichen Gebieten verbessern. Von Yossef Ben-Meir 

Von Yossef Ben-Meir

Seit 2016 bietet die High Atlas Foundation (HAF) im ländlichen Marokko Workshops zur Stärkung von Frauen an. Sie sollen dadurch ermutigt und befähigt werden, ihren Selbstwert besser zu erkennen, eigene Ziele zu definieren und ihre Zukunftspläne strategisch anzugehen. Das Seminar "Imagine“ bietet vier Tage lang einen Raum für die Suche nach persönlicher und kollektiver Selbstermächtigung. 

"Imagine“ bezieht sich dabei auf die Rechte, die Frauen laut dem Moudawana, dem marokkanische Familienrecht, zustehen und unterstützt sich darin, diese Rechte zu ihrem eigenen Schutz besser zu kennen. Indem sie sich zu Kooperativen zusammenschließen, können Frauen ihre finanzielle Unabhängigkeit ausbauen und damit an einer gerechten Entwicklung teilhaben. 

Die HAF hat kürzlich vergleichend die Arbeit von zwei verschiedenen Gruppen von Frauen aus der ländlichen Gemeinde Toubkal in der Provinz Taroudant analysiert, wo jeweils zwei Klimainitiativen stattfanden.  



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— High Atlas Foundation (@AtlasHigh) March 19, 2022

 

Positiver Einfluss der "Imagine“-Workshops

Im Dorf Aguerzrane hatte die Stiftung im Jahr 2017 ein "Imagine“-Entwicklungs- und Empowerment-Projekt für Frauen angeboten. Während des Seminars befassten sich die Teilnehmerinnen mit dem sozialen Umfeld in ihrem Leben, das sie beim Erreichen eigener Ziele beeinflusst. Im Laufe des Workshops setzten sich die Frauen außerdem mit ihren Einstellungen zu Arbeit und Geld, Emotionen und Körper, Sexualität und Spiritualität (in einem marokkanisch-islamischen Kontext) sowie mit ihren Zukunftsvisionen auseinander

Nach dieser an Teilhabe orientierten Wirkshop-Erfahrung beschlossen die Frauen von Aguerzrane, eine biologische Gärtnerei mit Obstbäumen und Heilkräutern zu gründen. Sie waren der Auffassung, dass der Öko-Anbau ihnen ein Einkommen durch den regionalen Verkauf von Pflanzen ermöglichen würde und dieser gleichzeitig den häuslichen Grundbedarf der Gemeinschaft decken könnte. 

Die Gärtnerei wurde 2018 auf neu angelegten, terassenartigen Anbauflächen errichtet, die der Befestigung des erodierenden Berghangs dienen, und wird seither produktiv bewirtschaftet. Regelmäßig finden professionelle Schulungen durch hochqualifizierte Freiwillige im Rahmen des USAID-Programms "Farmer-to-Farmer“ statt. 

Das zweite Dorf, Missour, befindet sich einen Kilometer nördlich von Aguerzrane. Im Jahr 2018 erhielt die HAF eine Anfrage der dortigen Bäuerinnen nach Kirsch-, Walnuss- und Mandelbäumen, der sie nachkam. 

Im Vergleich zur ersten Gemeinschaft wurde der "Imagine“-Workshop mit seinen partizipatorischen Methoden hier nicht durchgeführt. Stattdessen erhielten die Bäuerinnen nur die Bäume in der von ihnen gewünschten Menge und Sorte, pflanzten und pflegten sie.

Poster des "Imagine" Empowerment Programms (Quelle: Facebook; High Atlas Foundation)
Klimafreundliche Landwirtschaft kann nur dann das Leben von Frauen im benachteiligten ländlichen Marokko verbessern, wenn sie aktiv in die Planung miteinbezogen werden.



Die HAF förderte dann eine Diplomarbeit, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Programms auf beide Dörfer zu untersuchen, in Aguerzane, wo die Frauen an einem Workshop zur Selbstermächtigung teilgenommen hatten, bevor Saatgut und Material geliefert wurden, und in Missour, wo sie die Bäume ohne vorausgehende partizipatorische Vorbereitung bereitgestellt wurden. 

Die Forscherin Nora Martetschläger lebte drei Monate lang in den Gemeinschaften und erhob Daten auf individueller und kommunaler Ebene, um die verschiedenen Dimensionen von Armut zu analysieren. 

In einer zusammenfassenden Veröffentlichung ihrer Analyse stellt Martetschläger fest: "Obwohl das andere Dorf [Aguerzane], in dem weniger Bäume gepflanzt worden waren, bei den meisten Armutsindikatoren insgesamt schlechter abschnitt, war die Beteiligung der Frauen im Bildungsbereich und im Erwerbsleben höher, weil das individuelle und kollektive Bewusstsein und Handeln in diesen Bereichen stärker ausgeprägt war.“ 

Mehr Teilhabe bedeutet mehr Chancen

In Missour hingegen konnten Frauen kaum von den höheren Einkommen profitieren, obwohl die Haushaltseinkommen stiegen und die Ernährungssicherheit verbessert wurde.

Mehr Partizipation bei der Mädchenbildung und eine Erhöhung der Alphabetisierungsrate der Frauen ließen sich dagegen nicht feststellen. Zwei Familien waren jedoch in die Stadt umgezogen, wo Mädchen bessere Bildungschancen haben – wahrscheinlich hat das neue Einkommen durch die Obstbäume diesen Schritt zumindest teilweise ermöglicht. 

Die Studie verdeutlicht, dass der Zusammenhang zwischen der Stärkung der Frauen und messbaren Klimamaßnahme eine bedeutende Herausforderung für den integrativen Systemwandel und die nationale Resilienz darstellt. Die HAF-Workshops zum Empowerment von Frauen haben sich als wirksame Strategie zur Verbesserung der nachhaltigen Entwicklung erwiesen. Der großen Nachfrage nach solchen Strategien stehen jedoch begrenzte organisatorische Kapazitäten gegenüber. 

Nach der Lektüre von Martetschlägers Studie hat die HAF in Missour Abhilfe geschaffen und "Imagine“-Workshops im Dorf veranstaltet. Außerdem wurden von der Darden School der Universität von Virginia Mittel für die Anlage landwirtschaftlicher Terrassen an einem erodierenden Berghang, den die Gemeinde Missour ihrer Frauengruppe zur Verfügung stellt, eingeworben. 

 

 

Ohne Teilhabe keine gerechte Dezentralisierung

Solche Maßnahmen werden jedoch durch die derzeit vorhandenen Kapazitäten begrenzt: Die High Atlas-Stiftung beschäftigt 15 Seminarleiter für die Empowerment-Workshops und hat sich vorgenommen, in diesem Jahr mit 10.000 Bauernfamilien in 160 Gemeinden mindestens 1,7 Millionen Bäume zu pflanzen. 

Diese Ziele zeigen, wie groß die strukturelle Herausforderung hinter der Umsetzung strategischer, von den Gemeinden entwickelter Lösungen ist. Die HAF verfolgt eine landesweite Strategie, doch es fehlen ihr die finanziellen Mittel und das Personal für eine klimafreundliche Landwirtschaft, die sicherstellt, dass Frauen und Mädchen unmittelbare Nutznießerinnen sind. 

Ein weiteres Ergebnis dieser Studie sind die potenziellen Herausforderungen bei einer Dezentralisierung ohne vorherige Beteiligung der lokalen Ebene.  Die mit der Dezentralisierung einhergehende Stärkung der Macht auf subnationaler Ebene wird die bestehende klassen- und geschlechtsspezifische Schichtenbildung der Gesellschaft in den subnationalen Rechtsordnungen weiter festigen. 

Wenn bei Projekten zur Umsetzung einer klimafreundlichen Landwirtschaft keine Beteiligung stattfindet, könnte ein ähnlicher Effekt eintreten und sich die ungerechte Verteilung von Macht und Ressourcen fortsetzen. Die Beteiligung von Frauen und Mädchen in allen Phasen der Entwicklung müssen im Vordergrund stehen, damit sich Klimamaßnahmen positiv auf ihr Leben, ihre Familien, ihre Gemeinschaften und das Land auswirken. 

Yossef Ben Meir 

© High Atlas Foundation 2023 

Yossef Ben-Meir ist Präsident der High Atlas Foundation und Gastprofessor an der Universität von Virginia. 

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.