Jesuit Troll: Reform des Islam ist in vollem Gange

Berlin. Der Islamwissenschaftler und Jesuit Christian Troll sieht starke Impulse für religiöse Reformen in der islamischen Welt. Der geistige Wandel sei dort in vollem Gange und werde durch das Internet und den globale Austausch befeuert, sagte Troll in einem am Donnerstag verbreiteten Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Krise in den islamischen Ländern ist ein starker Antrieb, nicht nur für Intellektuelle und Religionsgelehrte, um religiöse Traditionen und problematische, sekundäre Regeln etwa der Scharia in Frage zu stellen."



Im Westen werde der Islam oft als starres Gebilde gesehen, mit fließenden Übergängen zum Extremismus. Dabei spürten im Zeitalter der Migration immer mehr Musliminnen und Muslime, dass sie sich anpassen müssten und Dialog mit Andersgläubigen ihren Glauben bereichert, betonte Troll. Das Ziel der Islamisten, die ganze Welt in einen frühislamischen Gottesstaat zu verwandeln, hielten die meisten weder für realistisch noch erstrebenswert. Vielmehr stehe bei ihnen der Glaube an einen barmherzigen Gott und die Pflicht zu einer ethischen Lebensführung im Vordergrund. "Wo immer ich mit Muslimen tiefer ins Gespräch kam, ging es ihnen primär um diese Glaubensinhalte", so Troll, der am 25. Dezember 85 Jahre alt wird und viele Jahre in islamischen Ländern gelebt und gelehrt hat.



Wichtige Impulse für eine Reform des Islam sieht der Jesuit durch den Ausbau der islamischen Theologie an europäischen und deutschen Universitäten. "Hier herrscht ein Klima der Meinungs- und Debattenfreiheit - offenen Diskussionen können muslimische Gelehrte hier nicht ausweichen und müssen sie aushalten." Diese Lehrstätten bildeten auch ein Gegengewicht zu manchen engstirnigen Moscheevereinen in Deutschland, die eher Parallelgesellschaften förderten als eine geistige Öffnung des Islam.



Der verstärkte interreligiöse Dialog mit dem Islam zählt für Troll zu den historischen Leistungen von Papst Franziskus. Zusammen mit dem Großimam der Kairoer Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, habe er dem Austausch zwischen Christen und Muslimen eine neue Dynamik verschafft. Ihre gemeinsame Unterzeichnung eines Dokuments über die Geschwisterlichkeit aller Menschen 2019 in Abu Dhabi bezeichnete Troll als umwerfenden Moment. "Das ist gerade auch von den Muslimen ein großes Zeichen, das ich für aufrichtig halte." Leider werde das Dokument von Politikern kaum wahrgenommen und seine Kraft für den Dialog zwischen dem Westen und der islamischen Welt wenig genutzt.



Zu Trolls beruflichen Stationen zählten Lehraufträge in Neu-Delhi, Ankara und am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom. Zwölf Jahre lang war er Mitglied der Päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen zu den Muslimen, daneben beriet Troll die Deutsche Bischofskonferenz zu interreligiösen Fragen. (KNA)