Israelische Forscher: Antisemitismus in Deutschland geht zurück

Die Zahl antisemitischer Vorfälle in westlichen Ländern, darunter den USA, ist laut israelischen Forschern stark angestiegen. In Deutschland und einigen anderen Ländern ging die Zahl dagegen zurück, wie aus dem am Montag veröffentlichten Jahresbericht 2022 über Antisemitismus der Universität Tel Aviv in Zusammenarbeit mit der Anti-Defamation League (ADL) hervorgeht. Zu den Hauptbetroffenen gehören strengreligiöse Juden (Haredim), so der am Vorabend des israelischen Holocaustgedenktags (18. April) vorgelegte Report.



Erkennbare Juden sind demnach besonders oft Opfer von antisemitischen Übergriffen im Westen, darunter Schläge, Bespucken oder das Bewerfen mit Gegenständen. Die Angriffe erfolgten in der Regel eher aus dem Affekt und zumeist in einigen wenigen Gebieten großer städtischer Zentren auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht in der Nähe jüdischer Gotteshäuser oder Einrichtungen. Als mögliche Motive der Täter machen die Forscher "einen tief verwurzelten Antisemitismus, Hass auf Israel, Mobbing oder eine Kombination aus diesen drei Faktoren" aus.



Für einen deutlichen Rückgang der Übergriffe in einigen westlichen Ländern sorgten hingegen "wirksame polizeiliche Maßnahmen, Anklagen und Aufklärungskampagnen" in Gebieten, in denen Angriffe am häufigsten vorkommen.



Die ADL registrierte 2022 rund 3.700 antisemitische Vorfälle in den USA, verglichen mit etwa 2.700 im Vorjahr, was bereits einen Rekord darstellte. In den USA leben laut Bericht 6 Millionen Juden. Insbesondere die Verbreitung antisemitischer Propaganda durch weiße Rassisten in den USA habe sich im Vergleich zu 2021 auf 852 Vorfälle fast verdreifacht.



Verbessert hat sich laut Bericht die Lage unter anderem in Deutschland mit seinen rund 118.000 Juden. Hier wurden 2022 demnach 2.649 "politische Straftaten mit antisemitischem Hintergrund" dokumentiert, weniger als der Rekordwert von 3.028 von 2021, aber immer noch deutlich höher als die Zahlen für 2020 und 2019. Als erschreckend bezeichnet der Bericht die zunehmende Gewaltbereitschaft von Verschwörungstheoretikern in Deutschland, darunter 21.000 sogenannte Reichsbürger. Sie seien "durch einen tief verwurzelten Antisemitismus geeint und stellen eine Bedrohung für einzelne Juden und jüdische Institutionen" dar. Kern der Reichsbürger-Ideologie seien Überzeugungen, die antisemitischen Verschwörungstheorien gemein seien, wie etwa geheime jüdische Netzwerke oder die Erfindung des Holocausts.



Die Forscher der Universität Tel Aviv, Urija Schavit und Carl Yonker, führten die Rekordzahlen von 2021 auf die durch die Corona-Pandemie verursachten sozialen Spannungen sowie auf Reaktionen auf die israelische Militäroperation in Gaza zurück. Die Daten für 2022 deuteten jedoch "in alarmierender Weise darauf hin, dass die Wurzeln der gegenwärtigen Welle des Antisemitismus wahrscheinlich tiefer liegen, insbesondere in den Vereinigten Staaten". Maßgebliche Faktoren seien verschärfte soziale und kulturelle Spannungen, ein Anstieg des rechten und linken Radikalismus sowie die "Verbreitung von 'Echokammern' in den Sozialen Medien, in denen Verschwörungstheorien verbreitet werden".



Kritik übte Schavit auch an Israel. In den letzten Monaten hätten sich mehrere jüdische Parlamentsmitglieder in erschreckender Weise rassistisch geäußert, was in jeder anderen westlichen Demokratie das sofortige Ende ihrer Karriere bedeutet hätte, so der Forscher. Jüdischer Rassismus sei "nicht besser als jede andere Art von Rassismus" und müsse ebenso "verurteilt, geächtet und ausgerottet werden". (KNA)



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