Urteil im NSU-Prozess
Vom Schreddern einer Demokratie

Für uns, die wir aus Einwandererfamilien kommen, ist der NSU mit dem jüngsten Urteil nicht erledigt. Wir müssen in diesem Land weiter Angst um unser Leben haben, meint Sheila Mysorekar in ihrem Kommentar.

Das soll es jetzt gewesen sein? Lebenslange Haft für Beate Zschäpe und jeweils einige Jahre für weitere Helfer des NSU hat das Münchener Gericht verhängt. Das ist alles, was der wichtigste deutsche Gerichtsprozess seit Ewigkeiten erreicht? Seit fünf langen Jahren verfolge ich die zähen Verhandlungen gegen die rassistische Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), und jetzt, da es vorbei ist, sind mehr Fragen offen als beantwortet.

Mit Nazi-Runen tätowierte Mitangeklagte, die sich an überhaupt gar nichts erinnern; Zeugen, die einen Tag vor ihrer Aussage plötzlich Selbstmord begehen; ein Verfassungsschützer, der an einem Tatort ist, ohne aber den Mord zu bemerken; und Beamte, die versehentlich entscheidende Akten schreddern. Lauter dumme Zufälle. Und das sollen wir glauben?

Nichts ist in Ordnung

Der NSU bestand nur aus drei Personen, so die offizielle Lesart. Zwei davon sind tot, die dritte jetzt verurteilt. Der Prozess ist zu Ende; Deckel drauf.

Nein. Ich bin nicht bereit, den NSU-Komplex ad acta zu legen. Nichts ist in Ordnung. Eine Handvoll Neonazis wird zu Gefängnisstrafen verurteilt, aber das Netzwerk, das ihnen half, bleibt weitgehend unangetastet.

Die Verfassungsschützer, die vor allem ihr eigenes Versagen schützen, sitzen weiter auf ihren Posten, bezahlt von unserem – auch meinem – Steuergeld. Die NSU-Terroristen müssen auch lokale Helfer gehabt haben, denn ohne Ortskenntnisse hätten sie diese Morde nicht begehen können. Aber diese Helfer sind unentdeckt, unerkannt. Es bestehen nach wie vor riesige Leerstellen in der Aufklärung. Der Prozess ist beendet, aber für mich und viele andere in Deutschland ist das Thema damit noch lange nicht vorbei. Und unsere Angst vor rechtsradikaler Gewalt erst recht nicht.

Damals, als es losging, hatte ich schon so ein Gefühl. Über die ersten NSU-Morde erschienen vereinzelt Berichte in Lokalzeitungen, nur wenige in überregionalen Medien. Weil immer mit derselben Waffe getötet wurde, erinnerte ich mich an eine Mordserie in Schweden in den 1990er Jahren, wo ein Rechtsradikaler, der bald "Lasermann" getauft wurde, Migranten aus dem Hinterhalt erschoss, mit einer Waffe mit Laserzielfernrohr.

Dann kann es jeden treffen

Ich begann, Presseberichte über diese Morde an Migranten in Deutschland zu sammeln, damals "Dönermorde" genannt. Und fragte mich, ob eine Mordserie an Norwegern wohl als "Heringsmorde" bezeichnet worden wäre. Ich recherchierte und rief auch bei der ermittelnden Sonderkommission Bosporus an. Aber dort hieße es nur, es gäbe da nichts zu berichten. So reagierten alle, die mit dem Fall betraut waren und die ich kontaktierte. Die Vermutung, es könne sich um rassistische Morde handeln, wiesen sie zurück. Niemand wollte Informationen preisgeben. Oder man hielt die Morde für zu irrelevant, um sich damit zu beschäftigen. Nur ein paar Ausländer halt.

Ich weiß noch genau, dass ich damals dachte: wenn das jetzt auch hier losgeht, wenn ein rassistischer Serienkiller wie der Lasermann in Deutschland unterwegs ist, dann kann es jeden von uns treffen. Auch meine Familie, auch mich.

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Leserkommentare zum Artikel: Vom Schreddern einer Demokratie

Gemeinhin wird das schüren von Ängsten ja vor allem sog. Rechtspopulisten zugeschrieben. Das dergleichen auch von anderer Seite kommen kann zeigt dieser Beitrag: will die Autorin allen Ernstes behaupten, dass Migranten hierzulande angesichts der NSU-Mordserie und angeblich bröckelnder Demokratie in Deutschland in Angst und Schrecken leben?
Die anhaltend hohen Zuwanderungszahlen (knapp 90.000 Asylanträge im ersten Halbjahr 2018, ohne die andere legale wie klandestine Zuwanderung) jedenfalls sind kein Beleg für diese angeblichen Ängste. Derlei Panikmache ist jedenfalls der Integration nicht förderlich, und dem Anliegen von qantara.de auch nicht.

B17.07.2018 | 13:30 Uhr