Marokkos umstrittenes Entwicklungsmodell
Mit Hochgeschwindigkeit in die Zukunft

Marokko erhält international viel Anerkennung für seine Politik der Modernisierung. Doch die wirtschaftlichen und sozialen Schwächen des Modells sind unübersehbar. Einzelheiten von Claudia Mende

Bahnhöfe in Marokko sind Bauten der Superlative, überdimensionierte Träume aus Glas und Beton. Der Bahnhof Rabat Agdal soll der größte Afrikas sein. Von hier aus fährt der moderne Hochgeschwindigkeitszug „Al Boraq“ aus der Wirtschaftsmetropole Casablanca kommend weiter in Richtung Tanger im Nordwesten Marokkos.

Langsam rollt der Zug durch die Vororte von Rabat, nimmt dann aber zusehends Fahrt auf. Hinter der Stadt Kenitra erreicht er auf schnurgerader Strecke mit über 320 Stundenkilometern seine Spitzengeschwindigkeit. „Al Boraq“ ist der erste Hochgeschwindigkeitszug Afrikas.

Er braust vorbei an Wellblechhütten, kleinen Dörfern und weidenden Schafen. Man sieht Frauen, die mit gebückten Rücken auf Feldern arbeiten und Bauern, die auf Pferde- oder Eselskarren Waren transportieren. Der Kontrast zwischen dem hochmodernen Zug und dem Landleben könnte kaum größer sein.

Symbol für eine ehrgeizige Politik der Modernisierung

Bis 2035 soll das Schienennetz für den Hochgeschwindigkeitszug 1.500 Kilometer betragen und irgendwann einmal über Algier und Tunis bis nach Tripolis in Libyen führen. Allerdings liegen die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien wegen des Streits um die Westsahara seit Jahrzehnten auf Eis und Libyen versinkt im Chaos.

Bereits vor der Einweihung des Prestigeprojekts mit Marokkos König Mohammed VI. und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im November 2018 haben die erheblichen Kosten von rund zwei bis drei Milliarden Euro (je nach Quelle) und das Fehlen jeder öffentlichen Ausschreibung für Kritik gesorgt.

Der Zug ist zum Symbol für eine ehrgeizige Politik der Modernisierung geworden, mit der König Mohammed VI. sein Land zum Vorreiter in ganz Nordafrika machen will.

Marokkos König Mohammed VI.; Foto: Reuters
Des Königs neues Prestigeobjekt: Der Hochgeschwindigkeitszug Al Boraq ist zum Symbol für eine ehrgeizige Politik der Modernisierung geworden, mit der Mohammed VI. sein Land zum Vorreiter in ganz Nordafrika machen will.

Seit der Jahrtausendwende hat das arabische Land dabei durchaus wichtige Schritte auf dem Weg von einer agrarischen zu einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft gemacht. Mohammed VI., oder M6 wie er in Marokko genannt wird, verfolgt dabei eine Doppelstrategie. Er will einerseits wirtschaftlich und politisch näher an Europa rücken und orientiert das Land gleichzeitig hin zu den Zukunftsmärkten nach Westafrika.

Drehscheibe im internationalen Handel

Eine Schlüsselrolle für die Wirtschaftszusammenarbeit mit Europa nimmt dabei Tanger ein. An der Straße von Gibraltar direkt vor der Küste Spaniens gelegen, ist es geradezu dafür prädestiniert, als Drehscheibe im internationalen Handel zwischen Europa, Afrika und Asien zu fungieren.

Mit dem Containerhafen Tanger Med und einer Freihandelszone wurden seit 2008 mehr europäische Investoren angelockt. Inzwischen ist Tanger Med zum größten Containerhafen im Mittelmeer mit einer jährlichen Kapazität von neun Millionen Containern aufgestiegen.

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