Der inspizierte Muslim

Muslime werden von Wissenschaftlern intensiv beobachtet. Beteiligt sind die unterschiedlichsten Disziplinen. Werden Voraussetzungen und Ergebnisse ausreichend kritisch reflektiert? Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Auch Laien dürfte nicht entgangen sein, dass sich seit den Anschlägen des 11. September 2001 im Westen immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die dort lebenden Muslime richtet.

Die Berliner Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami beunruhigt nicht nur das Ausmaß dieses Interesses in Europa, sondern auch der Umstand, dass die Mechanismen der damit einhergehenden Wissensproduktion durch die Forschung von der Fachwelt kaum kritisch reflektiert werden. Die Muslime des Kontinents stünden im Visier: „Sie werden beäugt und beobachtet. Ihre religiöse Praxis wird kontrolliert, gezähmt oder auch anerkannt. Ihre Formen des sozialen Lebens werden vermessen und archiviert.“

An der Beobachtung der Muslime sind Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen beteiligt, die – obgleich ihre Forschungsgebiete bei weitem nicht alle direkt etwas mit dem Islam zu tun haben – meinen, den „inneren Wahrheiten“ der Muslime auf den Grund gehen zu können.

Dieses expandierende Forschungsfeld sei „ganz besonders gezeichnet“ von einem „stetigen Gleiten zwischen Wissenschaft und politischer Intervention“, notiert die Islamforscherin in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband „Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa“ (Transcript Verlag, Bielefeld 2018. 374 S., br., 39,99).

Schirin Amir-Moazami ist Professorin am Institut für Islamwissenschaften der Freien Universität Berlin. Foto: Freie Universität Berlin
Schirin Amir-Moazami ist Professorin am Institut für Islamwissenschaften der Freien Universität Berlin. Sie lehrt und forscht zu Religionspolitiken in Europa, Säkularismus, politische Theorie, Geschlechterfragen und islamische Bewegungen in Europa.

Infragestellung bisheriger Islamforschung

Ihre These vertieft die Autorin im gleichen Band in dem Aufsatz „Epistemologien der ,muslimischen Frage‘ in Europa“. Sie ist der Ansicht, dass Muslime von der hiesigen Forschung nicht nur innerhalb nationalstaatlicher Kontexte, sondern auch wegen ihrer angeblich inkompatiblen Religion als „abweichende Minderheit“ markiert würden.

Die Islamwissenschaftlerin hält diese „Epistemologien“ für problematisch, weil sie aus ihrer Sicht einem Sicherheitsdiskurs unterworfen sind, der mit einer Verdachtsthese operiert. Muslime würden nicht nur von Sicherheitsbehörden als „besondere Bevölkerungsgruppe“ ins Visier genommen, sondern stünden auch im Zentrum umfassender Präventionsprogramme und seien Gegenstand der „wissenschaftlichen Inspektion“.

Einen Auswuchs dieser Tendenz sieht die Verfasserin in der florierenden Auftragsforschung zur Radikalisierung – für sie Teil einer europaweiten „Forschungsindustrie“. Aber auch sonst wächst die Forschung ins Uferlose, und so sind immer mehr Lebensbereiche der Muslime dem „inspizierenden Blick“ ausgesetzt: die Altenpflege, das Gemeindeleben, die Religiosität, Geschlechtervorstellungen und sogar sexuelle Gewohnheiten. Aus all dem meint man Schlüsse über ihre vermeintliche Integrationsfähigkeit ziehen zu können.

Fragliche Expertise

Besonderes Augenmerk wird dabei auf die religiösen Orientierungen der muslimischen Minderheiten gelegt, die, wie Schirin Amir-Moazami beklagt, im deutschen Fall an einem „vagen und beliebig dehnbaren Schema der ,deutschen Mehrheitskultur‘“ gemessen würden.

Dass dies nicht selten auch Kriminologen überlassen wird, hält die Autorin für ebenso bedenklich wie die aus ihrer Sicht übertriebene Konzentration auf die religiösen Einstellungen der hier lebenden Muslime, versperrt sie doch den Blick auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umfelder, innerhalb derer sie sich bewegen und von denen sie beeinflusst werden.

Trotz dieser verengenden Perspektive wächst in Deutschland wie auch anderswo in Europa unaufhörlich die Menge gesammelter Daten, die zwar gerne in empirischen Studien „mit großzügigem Einsatz von Graphiken“ präsentiert werden, in denen aber Analysen und theoretische Überlegungen häufig Mangelware sind.

 

 

Der Autorin drängt sich auch deshalb die Frage auf, weshalb „Kriminologen oder lose unter der Disziplin ,empirische Sozialforschung‘ zusammengewürfelte Migrations- oder Integrationsforscher in ihrer Absenz von Expertise zu islamischen Diskurstraditionen und Begrifflichkeiten das Feld dominieren“.

Die „Macht der Zahlen“ ist auch deshalb so groß, weil sie von der Öffentlichkeit kritiklos als wissenschaftlich fundierte Wahrheit hingenommen werden. Als Beispiel für diese bislang kaum in Frage gestellte Art der Vermittlung nennt Schirin Amir-Moazami die nicht haltbare, aber breit rezipierte Behauptung des niederländischen Sozialforschers Ruud Koopmans, mehr als vierzig Prozent der Muslime in sechs europäischen Ländern verträten „fundamentalistische Einstellungen“.

Auf welch zweifelhafter Erhebungsgrundlage solche Einschätzungen basieren, zeigen im gleichen Band Birgitte Schepelern Johansen und Riem Spielhaus in ihrem Beitrag „Die Vermessung der Muslime. Ein Jahrzehnt quantitativer Forschung zu Muslimen in Europa“.

Sie haben zahlreiche Fragebögen, die in diesem Forschungsumfeld verwendet wurden, analysiert und gelangen zu dem Schluss, dass diese äußerst suggestiv sind und letztlich meist von vornherein nur dazu dienen, Muslime als Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund zu konturieren.

Die gestellten Fragen machen den Islam als Problem zum Thema, „als Quelle für Illoyalität, abweichende Wertvorstellungen, Radikalisierung und als mögliche Sicherheitsbedrohung“.

Und solche Vorverständnisse, so ein besonders bedenklicher Teilbefund dieser Inspektion der Inspektion der Muslime, würden nicht etwa verdeckt, sondern typischerweise explizit schon in der Einleitung zum Fragenkatalog formuliert.

Joseph Croitoru

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