"Deutschland schafft mich!"

Der Journalist Michel Abdollahi kam 1981 in Teheran zur Welt und zog 1986 nach Hamburg. Mit seinen Fernsehdokumentationen zu gesellschaftlichen Themen wie Integration, Rassismus und Rechtspopulismus gelang ihm der große Durchbruch. Mit Qantara.de spricht er über sein Buch "Deutschland schafft mich!".

Von Schayan Riaz

Herr Abdollahi, in den Medien und verschiedenen PR-Texten werden Sie oft als "Super-Vorzeige-Migrant" vorgestellt. Ich finde das etwas seltsam…

Michel Abdollahi: Ja, das ist es auch. Ich tue mich schwer damit. Was ist denn ein Super-Vorzeige-Migrant? Muss ich Weißwürste essen und Schlager hören? Bin ich dann integriert? Integriert bin ich doch, wenn ich an das System hier in Deutschland glaube. Und selbst wenn ich nicht an das System glaube, müsste es doch ausreichen, wenn ich mich an die Gesetze halte. Es sollte doch völlig egal sein, welche Sprache ich spreche, was ich esse, welche Musik ich höre und wohin ich bete, solange ich gerne hier arbeite, meine Steuern zahle und ein Teil der Gesellschaft bin. Aber nein, wir Menschen mit dunklen Haaren müssen immer ein bisschen mehr tun. Wir müssen westlich sein. Was ist überhaupt westlich und warum ist das erstrebenswert? Warum ist nicht östlich erstrebenswert?

Das Thema Integration verfolgt Sie seit Ihrer Kindheit, seit ihrem Umzug aus dem Iran nach Deutschland. Wie blicken Sie auf die Zeit zurück?

Abdollahi: Es ist nicht so, dass ich die ganze Zeit angefeindet wurde. Ich hatte eine tolle Kindheit, eine tolle Schulzeit, wunderbare Lehrer und wunderbare Freunde. Aber natürlich gab es immer ein paar Leute, die mir gezeigt haben, dass ich hier nicht willkommen bin. Das waren zwar nicht viele Ereignisse, aber anscheinend doch so viele, dass sie sich in meinem Kopf festgesetzt haben. Und da frage ich mich, warum ist das so präsent? Warum kann ich mich nicht eher an die schöneren Sachen zurückerinnern? Mich hat beispielsweise mal im Erdkundeunterricht ein Lehrer gesagt, dass er Kontakt zu "Amnesty International" hätte, falls ich Hilfe bräuchte. Ich habe mich einfach nur bedankt, aber bis heute rede ich mit meinen Freunden darüber, weil wir das damals so krass fanden. Was für Hilfe hätte ich denn von "Amnesty International" brauchen können?

Diese Art von Alltagsrassismus ist immer noch sehr präsent in unserer Gesellschaft. Hat sich über die Zeit nichts geändert?

Abdollahi: Ich bin sehr gerne Iraner, sehr gerne Moslem, sehr gerne Deutscher. Ich bin das alles sehr gerne und es bereichert mein Leben. Es bereichert die Gesellschaft. Nur anscheinend reicht es nicht. Wenn sich ein Politiker hervorragend integriert hat und es dann heißt, dass das Land nicht bereit wäre für einen Bundeskanzler mit Migrationshintergrund, dann ist das Rassismus. Wenn vorwiegend grüne oder linke Wähler in wunderbar gentrifizierten Stadtteilen im Kindergarten danach schauen, ob genug Paulas und Alexanders statt Murats und Özgürs rumsitzen, dann ist das auch Rassismus. Ein Ali kommt schwieriger an seine Wohnung ran als ein Alexander. Das ist die Realität.

Wir erleben einen erschreckenden Rechtsruck in Deutschland, den Sie in Ihrem Buch "Deutschland schafft mich" eingehend beschreiben. Muss ich mir als Mensch mit Migrationshintergrund Sorgen um meine Zukunft machen?

Abdollahi: Mir geht es nicht darum, zu zeigen, dass der Rechtsruck nur Leute mit schwarzen Haaren oder Moslems betrifft, sondern Menschen, die einfach nur Haltung zeigen. Es gibt zahlreiche Beispiele von Gewalt gegen Menschen, die gar keinen Migrationshintergrund besitzen. Und ich habe versucht, das alles detailliert aufzuschreiben. Zu Ihrer Frage: Vor fünf Jahren hatte ich nicht das Gefühl, dass sich Menschen in Deutschland Sorgen um ihre Gesundheit und Zukunft machen. Diese Existenzangst scheint jetzt bei vielen Menschen da zu sein. Das finde ich wirklich krass. 

Was kann man dagegen tun?

Abdollahi: Ich habe aufgehört, nach einer Lösung zu suchen. Das Problem müsste erst 100 Prozent der Bevölkerung betreffen, damit der Staat eingreift. Dann wird ganz schnell gehandelt, das zeigt ja auch die Corona-Krise. Aber wenn etwas nur 25 Prozent der Bevölkerung betrifft, dann dauert alles viel länger. Der Mord an Walter Lübcke war Mitte 2019, jetzt haben wir schon Mitte 2020 und in der Zwischenzeit gab es Anschläge in Halle und Hanau. Menschen wurden umgebracht. Aber es betrifft die Leute nicht so wirklich. Es hat sich zu dem Tag vor Hanau oder Halle nichts verändert. Wir tun bis zum nächsten Anschlag so, als hätten wir alles im Griff. Das ist das Narrativ von Annegret Kramp-Karrenbauer, die meinte, Halle wäre ein Alarmzeichen gewesen. Es lebt sich eben einfacher, wenn man Begriffe wie "Alarmzeichen" oder "Einzelfall" benutzt.

In einem offenen Brief an Angela Merkel, den Sie im September 2018 auf Facebook veröffentlicht haben, schildern Sie Ihre Sorgen und Ängste über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus. Gab es seitens der Bundesregierung eine Reaktion darauf?

Abdollahi: Nein, es kam gar nichts zurück. Das ist aber in dem Fall nicht schlimm. Ein offener Brief soll ja die Gesellschaft wachrütteln. Deswegen habe ich die Antworten auf meinen Brief im Buch abgedruckt, um zu zeigen, was für ambivalente Reaktionen ich erhalten habe. Ich beschreibe meine Sorgen und Leute schreiben mir daraufhin, dass das alles Quatsch sei. Dass sie mehr Angst hätten als ich. Wenn es um die Sorgen von Migranten geht, dann fühlen sich viele Leute eben angefasst. Dann schreiben sie mir ellenlange Texte und versuchen mir meine Argumentation auszuhebeln. Aber darum ging es doch gar nicht. Wenn mir jemand einen Fenchelsalat zubereitet, obwohl ich gar keinen Fenchel mag, und ich dann der Person sage, dass ich keinen Fenchel mag, dann sagt die Person doch auch nicht, dass sie aber keine Auberginen mag.

Und Sie lesen sich wirklich immer alle Antworten durch?

Abdollahi: Das gehört zum Beruf eines Journalisten dazu. Das ist Recherche. Ich bekomme eine direkte Reaktion und bin quasi an der Hauptquelle. Es gibt zum Beispiel Leute, die aus dem Koran zitieren und dann denke ich mir immer "Oh Gott, jetzt kommt das schon wieder". Sie sagen mir, dass wir Muslime alle Ungläubigen umbringen wollen. Ich bekomme verschiedene Suren zugeschickt. Aber das Thema ist so komplex, dass sich sogar gläubige Muslime an verschiedene religiöse Obrigkeiten wenden müssen, um eine Antwort auf ihre Fragen zu erhalten. Selbst diese Obrigkeiten sind sich dann oft nicht einig. Aber die Hobbyanalysten meinen, dass sie den Koran besser analysieren können.

Sie nehmen das alles mit viel Humor. Überhaupt scheint Humor ein wichtiges Mittel für Sie zu sein, sowohl im Buch als auch in ihren journalistischen Dokumentationen.

Abdollahi: Es gibt Kollegen, die sind trockenernst. Mir tut Humor in bestimmten Passagen einfach gut. Die Welt ist ja nicht total furchtbar und schlimm und man braucht etwas Unterhaltung. Aber ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir seit dem Anschlag in Hanau nicht nur satirisch und humorvoll an alles rangehen können. Damit ist es nicht getan. Wie kann man an den Tod von neun Menschen satirisch und humorvoll rangehen? Wie soll man so etwas künstlerisch lösen? Das geht nicht. Das ist eine Aufgabe für die Staatsanwaltschaft, für die Regierung und die Polizei. Und wenn sie nicht darauf reagieren möchten, dann nützt mir Humor und Satire auch nichts. Dann muss ich die Mittel nutzen, die mir in einer Demokratie zur Verfügung stehen. Ich kann keine Kunstinstallation machen. Wir müssen zusehen, dass so etwas nicht nochmal passiert.

Das Gespräch führte Schayan Riaz.

© Qantara.de 2020

Michel Abdollahi: "Deutschland schafft mich", Verlag Hoffmann und Campe, 256 Seiten, ISBN: 978-3-455-00894-4