Integration in Deutschland
"Alle sind für den Hasser gesichtslose Muslime"

Der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami umreißt in diesem Beitrag seine Vorstellung von Integration und Gastfreundschaft.
  • Der Deutsche, so Schami, sei fremd im eigenen Land. Dafür habe es aber keine Ausländer und Flüchtlinge gebraucht: Viele Deutsche hätten eine gestörte Beziehung zu ihrem Land.

 

  • Wenn Menschen Angst vor dem Fremden haben, sei dies an sich keine Sünde und schon gar kein Rassismus. Man müsse nur offen über die Angst reden. Menschen aber, die Fremde stigmatisieren, sind Rassisten.

 

  • Begeht ein Fremder eine Straftat, dürfe keine Rücksicht auf die Herkunft der Täter genommen werden. Die Tat müsse ebenso behandelt werden, als wenn ein Deutscher sie begangen hätte.

 

  • Die ersten Seiten eines Manuskripts, das Schami im Herbst veröffentlichen will, lesen Sie hier.

 

 

Die Tarnkappe

Die professionellen Angstmacher gebrauchen die Islamophobie als Tarnkappe einer rassistischen Haltung. Der Zweck dieses Wortkonstrukts ist es, den Hass gegen den Fremden – neuerdings den Flüchtling, den Muslim – zu schüren. Unabhängig davon, ob dieser der ersten, der zweiten oder gar der dritten Generation von Einwanderern angehört oder seit 50 Jahren hier in Deutschland lebt und friedlich zur Zivilisation dieses Landes beiträgt, egal ob er in Gruben, am Fließband, in der Gebäudereinigung arbeitet oder Häuser entwirft oder baut, hinter oder vor der Kamera steht oder singt, malt, komponiert oder erzählt, auf der Bühne oder am Patientenbett tätig ist.

Alle sind für den Hasser gesichtslose Muslime. Nun versetzen wir uns für nur fünf Minuten in die Seele eines friedlichen Menschen dieses Landes, der durch Zufall der muslimischen Minderheit angehört. Er bekommt nach all den Jahrzehnten die Ohrfeige der Diffamierung, ob durch eine dämliche Karikatur, die seinen Propheten mit einer Bombe im Turban darstellt, oder durch die Tiraden eines Thilo Sarrazin und dessen Verteidiger Udo Ulfkotte und Peter Sloterdijk.

Durch die ständige Diffamierung der Muslime erhöhen die Hasser den Anteil der Muslime, die sich in diesem Land nicht akzeptiert fühlen. Es ist ein bitteres Gefühl, nach so vielen Jahren öffentlich diffamiert zu werden, ohne dass ein Richter Anklage gegen diejenigen erhebt, die die Hasstiraden von sich geben. Was bleibt einem isolierten Muslim, der nie Islamist war? Einigelung, Desinteresse an der deutschen Gesellschaft und Bereitschaft zur Aufnahme eines fundamentalistischen Gedankenguts, das ihm ziemlich kühl und pseudorational nahebringt, warum die Deutschen ihn hassen.

Die Kopftücher sind weniger ein Erfolg der Fundamentalisten als ein Misserfolg unserer Gesellschaft, diese Minderheit zu schützen und zu integrieren. Über 20 Jahre trugen die türkischen und arabischen Frauen in Deutschland kein oder nur selten ein Kopftuch. Nicht der Fremde ist schuld an der Fremdenfeindlichkeit, sondern die, die auf seine noch nicht begangenen Fehler spekulieren.

Wir könnten von unseren muslimischen Bürgern große Unterstützung bekommen, wenn es darum geht, den Flüchtlingen, die hier Asyl bekommen, bei ihrer Integration behilflich zu sein. Aber nein, das ist den alten Hetzern zu kompliziert. Fremde raus! Das ist ihre simple Überzeugung. Beide, der Hasser der Muslime und der Antisemit, streben ein Ziel an: die Ausgrenzung einer heterogenen Gruppe aus der bedrohten guten Gesellschaft, als handelte es sich um eine böse Masse. Bei den Antisemiten diente der Talmud, bei den Hassern der Muslime der Koran als Zeuge der Boshaftigkeit.

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Leserkommentare zum Artikel: "Alle sind für den Hasser gesichtslose Muslime"

Sehr geehrter Her Schami,
dankeschön für Ihren Artikel!!!!! Bei aller Zustimmung möchte ich Ihnen zum Trost sagen, dass ich viele Menschen treffe, die in alltäglichen kleinen Begegnungen Muslimen offen und ohne Bedenken begegnen. Und es gibt so viele, die Flüchtlingen helfen. All dies eignet sich nicht für die Nachrichtensendungen.
Gruß
Renate Butke
PS: Seit vielen Jahren lese ich Ihre Bücher und wünsche mir, dass Sie Ihre Kraft behalten!

Renate Butke21.05.2016 | 22:53 Uhr