Kommunalwahlen in Frankreich im Schatten der Islamdebatte

Am vergangenen Sonntag wurden in 36.000 französischen Gemeinden und Städten Gemeinderäte und Bürgermeister gewählt - mitten in der Coronavirus-Krise. In der Hauptstadt Paris will die Sozialistin und amtierende Bürgermeisterin Anne Hidalgo ihr Amt gegen die Konservativen und die Kandidatin der Präsidenten-Partei "La Republique en Marche" (LREM) verteidigen.

Als guter "Pater familias" hat Staatschef Emmanuel Macron pünktlich um 20 Uhr am Donnerstag auf allen TV- und Radiokanälen zur Nation gesprochen. So will es die Tradition der Republik, seit Charles de Gaulle 1958 als Retter in der Staatskrise der fallenden Vierten Republik aus dem Ruhestand gerufen wurde. In den Turbulenzen der vergangenen Woche, geprägt von Panikkäufen und widersprüchlichen Prognosen, ist dabei ein Thema untergegangen, das über viele Wochen den Wahlkampf prägte: der Kommunitarismus.

Dieser Begriff, für den es keine treffende deutsche Übersetzung gibt, kennzeichnet laut Wörterbuch einen Denkansatz, "der einer Gemeinschaft (ethnisch, religiös, kulturell, sozial, politisch, mystisch, sportlich) einen zumindest gleichen, wenn nicht größeren Wert zumisst als den universellen Rechten wie Freiheit und Gleichheit". Kommunitarismus wurde in Frankreich besonders mit Blick auf die geschätzt acht Millionen Muslime ein immer häufigeres Schlagwort in der politischen Debatte.

Erstmals gibt es bei diesen Wahlen explizit religiös orientierte muslimische Listen. Anders- und Nichtgläubige findet man darauf nicht. Dies ist Ausdruck einer zunehmenden Spaltung der französischen Gesellschaft, in der militante, islamische Vereinigungen und Gruppen die "Dekadenz" der westlichen Welt und ihres liberal-demokratischen Modells anprangern. Sie halten dem Okzident die "Reinheit" und "Sauberkeit" des Islam entgegen und finden deshalb, wegen der gleichfalls enthaltenen Kapitalismus-Kritik, auch viele Unterstützer im linksextremen Lager und bei den von ihren Kritikern als "Salon-Sozialisten" verschrienen Progressiven in der Hauptstadt.

Ein anderes Schlagwort in diesem Wahlkampf war schon länger bekannt, es lautet "Islamophobie". Die muslimische Seite und ihre linken Unterstützer prangerten wiederholt eine vermeintliche Unterdrückung muslimischer Bräuche und Sitten durch die "nichtgläubige", oftmals noch katholische Mehrheitsbevölkerung an. Angeblich würden Muslime bedrängt und an ihrer Glaubensausübung behindert, hätten zu wenige Gotteshäuser und stießen auf Ablehnung bei Regierung, Verwaltung und Parteien.

Repräsentative Umfragen zeigten in den vergangenen Jahre aber auch eine verstärkte Gegenperspektive: Demnach fühlt sich eine Mehrheit der französischen Bevölkerung angesichts der wachsenden Präsenz radikaler Muslime im öffentlichen Raum eingeschränkt und streckenweise auch bedroht. Die islamistischen Terroranschläge des Jahres 2015 auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und das Kulturzentrum Bataclan mit mehr als 130 Todesopfern haben die Spirale des Misstrauens gewaltig angeheizt.

Franz-Olivier Giesbert, der Herausgeber des französischen Polit-Magazins "Point", hat dieser Tage zwischen einem "guten" und einem "schlechten" Kommunitarismus unterschieden, indem er schrieb: "Die einen wollen ihre Kultur erhalten und ihre traditionelle Gastronomie mit uns teilen. Die anderen sind Missionare, Eroberer, die die Republik verändern und der Gesellschaft ihre Gesetze aufzwingen wollen."

Und Francois Pupponi, lange Jahre sozialdemokratischer Bürgermeister der Pariser Vorortgemeinde Sarcelles, hat in einem bemerkenswerten Buch auf die schleichende Infiltration der Parteien durch Islamisten hingewiesen. Sie habe dazu geführt, dass schon heute in einer Vielzahl von Kommunen konservative und sozialdemokratische Bürgermeister ihren "Frieden" mit diesen Vereinen und Gruppen geschlossen hätten, um gewählt oder wiedergewählt zu werden.

Und sie überließen ihnen verantwortungsvolle Posten in der Verwaltung - teilweise sogar die Personaldezernate. Mit dem Ergebnis, dass in kurzer Zeit rein muslimische Kindergärten, Koranschulen und Schwimmbad-Stunden ausschließlich für muslimische Frauen an der Tagesordnung waren.

Untersuchungen zeigen auch: Der Großteil der Muslime in Frankreich versteht Religion zwar traditionell, aber als Privatsache. Doch die radikale Avantgarde fällt stärker auf, weil sie laut und fordernd auftritt. Auf verlorenem Posten steht da der sanfte, mystische Islam, den etwa die erste Imamin Kahina Bahloul in ihrer Fatima-Moschee im Norden von Paris verkörpert. Nur eine winzige Minderheit unter den Muslimen Frankreichs folgt der promovierten Theologin auf ihrem Weg, der eine moderne, friedliche und kompromissbereite Interpretation des Koran anstrebt. Aber auch ihr Freitagsgebet fiel in der vergangenen Woche wegen der Coronakrise aus. (KNA)