Maulkorb für die Opposition

In Jordanien lassen das Verbot der Lehrergewerkschaft und die Verhaftung ihrer Führungsspitze weitere Einschränkungen von Bürgerrechten befürchten. Die Regierung geht mit zunehmender Härte gegen Demonstranten, kritische Journalisten und Oppositionelle vor. Ein Bericht von Marta Vidal aus Amman.

Von Marta Vidal

Am 25. Juli hat die jordanische Regierung die von der Opposition dominierte Lehrergewerkschaft – The Teachers Syndicate – für zwei Jahre verboten und ihre Anführer verhaftet. Doch trotz der Anordnung, alle gewerkschaftlichen Aktivitäten auszusetzen, setzten die Lehrer ihre landesweiten Proteste fort.

Über ihre ursprünglichen Forderungen nach höheren Gehältern und besseren  Arbeitsbedingungen hinaus setzen sie sich nun auch für die Freilassung ihrer inhaftierten Kollegen und eine Aufhebung des Gewerkschaftsverbots ein. Einige Demonstranten gehen noch weiter und verlangen den Rücktritt von Ministerpräsident Omar al-Razzaz.

In den sozialen Medien kursieren Bilder und Videos der Proteste. Doch nur wenige Bilder schafften es bislang in die jordanischen Tageszeitungen oder in die Berichte der Fernsehsender. Grund ist eine Nachrichtensperre, die die jordanischen Behörden nach der Razzia in den Gewerkschaftsbüros und der Verhaftung der Gewerkschaftsführung verhängten. Nachrichten oder Kommentare zu dem Fall sind den Medien damit untersagt, es sei denn, sie werden von staatlichen Stellen veröffentlicht.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Petra wurde der Gewerkschaftsführer Nasser Nawasreh wegen „Anstiftung zur Aufwiegelung“ angeklagt. Mehrere Gewerkschaftsmitglieder wurden zudem wegen „kriminellen Verhaltens und Korruption" festgesetzt.

Eckpfeiler der Opposition

Mit über 100.000 Mitgliedern gehört die Lehrergewerkschaft zu den wichtigsten Stimmen der Opposition in Jordanien. Im vergangenen Jahr legte die Lehrerschaft mehr als einen Monat lang ihre Arbeit nieder, bis es schließlich zu einer Vereinbarung über die Erhöhung von Gehältern kam.

Sicherheitskräfte hindern Protestierende daran, sich einen Weg zu Regierungsgebäuden am 4. Circle in Amman zu bahnen während einer Demonstration am 5. Circle am 29.07.2020 gegen die Auflösung der Lehrergewerkschaft und die Verhaftung ihrer Führung; Foto: Sherbel Dissi
„Die Schließung einer der wenigen unabhängigen Gewerkschaften Jordaniens auf fragwürdiger rechtlicher Grundlage und nach einem anhaltenden Konflikt mit der Regierung lässt Zweifel an ihrem Respekt für Recht und Gesetz aufkommen“, sagte Michael Page von der Organisation Human Rights Watch. „Die fehlende Transparenz staatlichen Handelns und das Verbot, diese Angelegenheit in den sozialen Medien zu diskutieren, bestärken nur die Annahme, dass die Behörden die Bürgerrechte verletzen“.

Nachdem die finanziell klamme Regierung kürzlich angekündigt hatte, die Löhne im öffentlichen Dienst wegen der Coronavirus-Pandemie und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schieflage einzufrieren, warfen Gewerkschaftsvertreter der Regierung vor, sich nicht an die getroffene Vereinbarung zu halten.

Die Behörden beschuldigten ihrerseits die Gewerkschaft, „zentrale staatliche Dienstleistungen zu gefährden“. Einige behaupteten gar, die Gewerkschaftsführung verfolge eine „islamistische“ Agenda. Diesen Vorwurf wies die Gewerkschaft als „Hetzkampagne“ zurück. Ministerpräsident Omar al-Razzaz legte daraufhin nach und erklärte, die Regierung werde sich dem „Mobbing“ der Gewerkschaft nicht unterwerfen.

Menschenrechtsorganisationen sehen im Verbot der Gewerkschaft und in der Verhaftung von Lehrern ein Zeichen für mangelnde Toleranz der jordanischen Regierung gegenüber abweichenden Meinungen oder Opposition – ungeachtet der angeblichen politischen Beweggründe der Gewerkschaftler.

„Die Schließung einer der wenigen unabhängigen Gewerkschaften Jordaniens auf fragwürdiger rechtlicher Grundlage und nach einem anhaltenden Konflikt mit der Regierung lässt Zweifel an ihrem Respekt für Recht und Gesetz aufkommen“, sagte Michael Page, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika der Organisation Human Rights Watch.  

„Die fehlende Transparenz staatlichen Handelns und das Verbot, diese Angelegenheit in den sozialen Medien zu diskutieren, bestärken nur die Annahme, dass die Behörden die Bürgerrechte verletzen“, fügte er hinzu.Mit massivem Polizeieinsatz gegen Demonstranten

Bei einer Demonstration von Lehrern, die in am 29. Juli in Amman gegen das Verbot der Gewerkschaft protestierten, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Mehrere Demonstranten wurden geschlagen, Dutzende verhaftet.

„Ich war mitten unter den Demonstranten, als Polizisten auf uns einschlugen,“ berichtet der Fotojournalist Sherbel Dissi. „Ich erhielt Schläge gegen Kopf, Bauch und Beine“. Obwohl er den Polizisten gesagt habe, er sei Journalist, habe man mit dem Schlagstock auf ihn eingeprügelt.

Die Regierung behauptete, Proteste und die damit verbundenen Menschenansammlungen seien verboten, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Nur wenige Tage zuvor hatte die Regierung jedoch eine Demonstration genehmigt, in der es um Gewalt gegen Frauen ging.

„An der Demonstration für Frauenrechte nahmen etwa 500 Menschen teil, ohne dass es zu Gewalttätigkeiten kam“, sagt Dissi. Die Regierung lege bei der Beurteilung der Demonstrationen offenbar zweierlei Maß an. Die jordanischen Behörden waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Nach Berichten lokaler Medien wurden Anfang August mindestens 60 Lehrer verhaftet.

Coronavirus als willkommene Ausrede

Seit Jordanien am 17. März zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie den Ausnahmezustand ausrief, verhafteten die Behörden Medienleute, ehemalige Parlamentsabgeordnete und Mediennutzer – offenbar als Reaktion auf Kritik, die sie in der Öffentlichkeit geäußert hatten.

Nach Berichten über die finanzielle Notlage von jordanischen und migrantischen Arbeitern durch die Corona-Krise wurden im April ein leitender Mitarbeiter sowie ein Moderator des privaten jordanischen Fernsehsenders Roya TV und der Journalist Salim Akash aus Bangladesch verhaftet.

Salim al-Batayneh, ehemaliger Parlamentsabgeordneter und ein Kritiker der Regierung, sowie ein weiteres Mitglied seiner Familie – Mo'tasem al-Batayneh – wurden im April wegen des Verdachts auf „Untergrabung des politischen Systems“ verhaftet. Einen Monat später traf es Saeed Dhiab, den Generalsekretär der linksgerichteten Jordanian Democratic Popular Unity Party, nach einem kritischen  Online-Beitrag.

Eine im April verabschiedete, unklar formulierte Notverordnung stellt die Verbreitung von Informationen zur Pandemie, die „Panik auslösen“, unter Strafe: Es drohen bis zu drei Jahre Haft. Bürgerrechtsaktivisten werfen der Regierung vor, sie nutze diese Notverordnung, um Bürgerrechte einzuschränken.

Demonstration am 29.07.2020 gegen die Auflösung der Lehrergewerkschaft und die Verhaftung ihrer Führung; Foto: Sherbel Dissi
Protest gegen das Verbot der Lehrergewerkschaft in Amman. Für Kritiker wird es zunehmend eng im Königreich. Bereits 2019 berichtete Human Rights Watch, dass mehr als dreißig politische Aktivisten und Korruptionsgegner unter dem Vorwurf der „Majestätsbeleidigung“, der „Untergrabung des politischen Systems“ und der „Verleumdung im Netz“ festgenommen worden seien. Amnesty International hat dokumentiert, dass die Behörden „weiter Aktivisten und Journalisten schikanieren und inhaftieren, die Kritik an der Regierung oder an König Abdullah geübt haben“.

Die jordanische Regierung bestreitet stets, dass es überhaupt politische Gefangene gibt. Alle in Gewahrsam befindlichen Aktivisten oder Dissidenten seien angeklagt, weil sie gegen Gesetze verstoßen hätten. 

Nach dem Verbot der Lehrergewerkschaft erklärte der Staatsminister für Medienangelegenheiten, Amjad Al-Adayleh, in einer Pressekonferenz am 26. Juli auf die Frage nach der Zahl der politischen Gefangenen in Jordanien: „Es gibt keinen Fall, in dem jemand aufgrund von Einschränkungen der Meinungsfreiheit nach den Bestimmungen der Corona-Ausnahmezustands verhaftet wurde.“

Einschränkungen der Meinungsfreiheit

Aber Berichte von Menschenrechtlern belegen, dass die Verhaftung von Aktivisten und Dissidenten in Jordanien keineswegs neu ist. Bereits 2019 berichtete Human Rights Watch, dass mehr als dreißig politische Aktivisten und Korruptionsgegner unter dem Vorwurf der „Majestätsbeleidigung“, der „Untergrabung des politischen Systems“ und der „Verleumdung im Netz“ festgenommen worden seien. In einer Erklärung von Amnesty International heißt es, die Behörden „schikanieren und inhaftieren weiter Aktivisten und Journalisten, die Kritik an der Regierung oder an König Abdullah geübt haben“.

Nach Angaben dieser Menschenrechtsorganisationen gab es also bereits vor der Pandemie Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit. Jedoch habe es der coronabedingte Ausnahmezustand den jordanischen Behörden ermöglicht, noch härter gegen abweichende Meinungen durchzugreifen.

Viele Jordanier befürchten daher, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht. Angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und Armut aufgrund der pandemiebedingten Wirtschaftskrise werden sich auch die sozialen Missstände weiter verschärfen. Die entscheidende Frage ist daher: Wie will die Regierung dieser Krise begegnen. Mit Lösungen oder mit mehr Repression?

Marta Vidal

© Qantara.de 2020

Aus dem Englischen von Peter Lammers