Religionen im Dialog - und gemeinsam gegen Corona

Religionen sind oft Ursache von Konflikten. Die Organisation "Religions for Peace" kämpft dagegen an. Auffallend ist das Engagement von Frauen. Jetzt kommen Vertreter aus aller Welt in Deutschland zum Dialog zusammen. Einzelheiten von Christoph Strack

Von Christoph Strack

"Es gibt", sagt Alice Wairimu Nderitu, "keine Gräueltaten, denen nicht Hassrede vorangegangen ist. Lassen Sie uns gemeinsam gegen Hassrede vorgehen." Die Kenianerin ist Sonderberaterin des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord. Sie spricht bei der Eröffnungsveranstaltung einer viertägigen weltweiten Konferenz von "Religions for Peace" in Lindau am Bodensee. Und bleibt mehrere Tage dabei, will Gespräche führen. Sie könne sich beim Thema Religion "keinen besseren Partner vorstellen" als diese Organisation.

Die so kämpferisch klingende Äußerung der jungen Kenianerin bringt mehrere Dinge auf den Punkt. Zum einen: Religion ist häufig auch Anlass für Konflikte, für Gewalt. Hassreden sind oft religiös aufgeladen. Zum anderen: Wer das Gespräch mit dialogbereiten und dialogbewährten Kräften in verschiedenen Religionen sucht, landet über kurz oder lang bei "Religions for Peace" (RfP).

Im Dialog miteinander

Die in New York ansässige Vereinigung, die 1970 gegründet wurde, bezeichnet sich selbst als weltgrößte interreligiöse Nichtregierungsorganisation und ist in rund 70 Ländern vernetzt. Sie will sehr bewusst durch interreligiösen Dialog Friedensarbeit voranbringen. Seit 2019 organisiert sie, gefördert von der Bundesregierung, einmal im Jahr eine große Konferenz in Lindau am Bodensee, einer Stadt, die seit Jahrzehnten einen Ruf hat für hochrangige Dialoge von Nobelpreisträgern.

Die Kenianerin Alice Wairimu Nderitu bei ihrer Rede auf der Eröffnungsfeier. Foto: Christoph Strack/ DW
Mehr Einsatz gegen Hate Speech: Die UN-Sonderbeauftrage zur Verhütung von Völkermorden, Alice Wairimu Nderitu, fordert von Religionsführern mehr Einsatz im Kampf gegen Hassrede und verbale Gewalt. Religiöse Gemeinschaften könnten dazu Frühwarnsysteme sein, sagte sie in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Im Idealfall könnten religiöse Gemeinschaften vor Ort sogar Frühwarnsysteme sein, bevor es zu Gewalt kommt. Denn weltweit wächst die Bedeutung von Religion, sie nimmt nicht ab."

An diesem ersten Religionstreffen zum Themenfeld "Religion und Diplomatie" nahmen rund 900 Delegierte teil aus 60 Ländern, aus allen Weltregionen und -religionen. Zum Auftakt sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Eine zweite Konferenz zum Thema "Frauen, Glaube und Diplomatie" lief im Herbst 2020 coronabedingt von Lindau aus nur virtuell. Zu den Referentinnen gehörte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Außenminister Heiko Maas, aus dessen Haus die finanzielle Förderung kommt und der dort eine eigene Abteilung zum Thema hat, schaffte einen Besuch bei keinem der drei bisherigen Treffen.

Aus 90 Ländern zugeschaltet

Nun gibt es bis Donnerstag eine, wie es stets heißt, "hybride Konferenz". Rund 150 Personen sind vor Ort, bis zu 900 aus 90 Ländern sind zugeschaltet. Beim Auftakt standen einige, wie Alice Wairimu Nderitu oder die Hindi Vinu Aram aus Indien, in der Kongresshalle, andere sind - aus Japan, Abu Dhabi oder auch Augsburg - live zugeschaltet.

Eins fällt schon beim Gespräch mit wenigen Teilnehmenden und bei den ersten Grußworten auf. Während man in Deutschland und Mitteleuropa häufig den Eindruck hat, die Corona-Pandemie verliere an Wucht, kämpfen andere nach wie vor damit. "Wir stehen mitten in der Pandemie", sagt die Inderin Vinu Aram, Direktorin des Shanti Ashrams. Die Formulierung fällt des öfteren, von Delegierten aus Asien oder Afrika. Und die 2019 in Lindau ins Amt gewählte Generalsekretärin von "Religions for Peace", die Ägypterin Azza Karam, die vor der Wahl knapp 20 Jahre in New York bei internationalen Organisatoren arbeitete, bringt ihre Sicht auf den Punkt: "Niemand ist sicher, bevor alle sicher sind."

Portrait von Azza Karam, Secretary General Religions for Peace; Foto: Christian Flemming
Weltbürgerin und Weltreisende in Sachen Religion: Mit Azza Karam steht erstmals eine Frau an der Spitze der 50 Jahre alten internationalen Organisation. Karam ist niederländische Staatsbürgerin und Professorin für Religion und Entwicklung an der Vrije Universiteit Amsterdam. Die 50-Jährige arbeitet zudem für die UNO zu Fragen zu Religion, Entwicklung und Demokratie. Sie war beim UN-Bevölkerungsfonds und für die UN-Arbeitsgruppe für Religion und Entwicklung im Einsatz. Auch kümmerte sie sich laut dem Washingtoner "Berkley Center for Religion, Peace & World Affairs" um Bildung im arabischen Raum und war Präsidentin des Komitees religiöser Nichtregierungsorganisationen bei den UN.

Karam steht für die Verjüngung der Organisation. Schon 2019 wurde versucht (und nicht ganz erreicht), dass ein Drittel der Teilnehmenden unter 30 war. 2021 hat das geklappt, auch weil "Jugend" ein Thema ist. Das Leitthema diesmal lautet "Generationen im Dialog". Die geplanten Themenfelder lauten "Frieden und Sicherheit", "Umweltschutz" und "Humanitäre Arbeit". Mancher Aspekt wird auch hinter verschlossenen Türen behandelt, im geschützten Raum. So standen bei der Konferenz 2019 zum Abschluss durchaus überraschend rund 15 Vertreter mehrerer Religionen aus Myanmar auf der Bühne der Lindauer Kongresshalle und berichteten von gutem, schwierigen Dialog und gemeinsam geplanten Projekten. Dass das Land dann dramatisch in eine andere Richtung ging, ahnte damals niemand.

Not durch Corona verstärkt

Solche Gespräche und Vertrauensarbeit sind ein Schwerpunkt der Arbeit von "Religions for Peace", auf nationaler und internationaler Ebene. Aber auch das hat sich durch die Corona-Pandemie und die medizinische Unterversorgung in vielen Teilen der Welt gewandelt. Renz Argao, Katholik von den Philippinen, ist Koordinator des internationalen Jugend-Komitees von RfP. Bald nach Ausbruch der Corona-Pandemie hätten RfP-Jugendgruppen in seinem Land versucht, durch materielle Hilfen wie Hygieneartikel, Medizin oder auch Lebensmittel die schlimmste Not zu lindern. Man merkt dem jugendlich flott erzählenden Argao nicht an, dass er bereits promoviert ist und als klinischer Psychologe arbeitet.

Wenn solche Hilfe interreligiös geleistet wurde, wie es RfP vorsieht, bekamen Gruppen dafür finanzielle Hilfe der Organisation angeboten. Am Schluss flossen Zahlungen in 21 Länder.

Ugandas Greta auch vor Ort

Ein Schwerpunkt dieser Lindauer Tage ist auch das Engagement gegen den Klimawandel. Dazu wird unter anderem die ugandische "Fridays for Future"-Aktivistin Vanessa Nakate beitragen, so etwas wie die Greta Thunberg ihres Landes. Als Christin trete sie aus Achtung vor der göttlichen Schöpfung für den Umweltschutz ein. Nakate ist noch jünger als die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich (25), die beim Auftakt sprach und gleichfalls unter anderem die Herausforderung des Klimawandels nannte. Die Rolle gesellschaftlich stark engagierter Frauen bei RfP fällt auf. Und sie fällt noch mehr auf, wenn man an das übliche Bild von Religion in Europa denkt.

Christoph Strack

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