Kulturkampf um Frauenrechte

King Mohammed VI of Morocco
Mohammed VI. muss mit seiner Reform des Familienrechts zwei Lager bedienen: Konservative betonen den Erhalt islamischer Werte und lokaler Identität sowie der "Konstanten der Nation". Reformer orientieren sich an internationalen Konventionen und Gesetzen, die vor allem die Rechte des Individuums im Fokus haben. (Foto: Balkis Press/ABACA/picture-alliance)

In Marokko blickt man mit Spannung auf die anstehenden Änderungen des Familienrechts Moudawana. Manche Themen sind besonders kontrovers.

Von Hassan Ashraf

Im September 2023 forderte Marokkos König Mohammed VI. die Überarbeitung des marokkanischen Familienrechts, der sogenannten Moudawana. Der König setzte Premierminister Aziz Akhannouch in einem Brief eine sechsmonatige Frist für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs, der dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt werden soll. 

Die Anordnung hat einen breiten Dialog in der marokkanischen Gesellschaft ausgelöst, an dem sich politische Parteien, Frauenorganisationen sowie religiöse Vertreter und Institutionen beteiligen. Im Rahmen der Überarbeitung sollen strittige Fragen geklärt werden, wie beispielsweise die rechtliche Bewertung außerehelicher Beziehungen, Eheschließungen von Minderjährigen und Erbschaftsrechte für Männer und Frauen

Sex außerhalb der Ehe: ein Delikt

Der Streit um die Reform des Familienrechts wird in Marokko vor allem zwischen zwei gesellschaftlichen Strömungen ausgetragen. Den Konservativen in Marokko sind islamische Werte, lokale Identität und die "Konstanten der Nation" wichtig. Die Reformer fordern die Einhaltung internationaler Konventionen und Gesetze und stellen die Rechte des Individuums in den Vordergrund. 

Ein besonders umstrittenes Thema ist die Kriminalisierung von Ehebruch. Er kann nach Artikel 490 des Strafgesetzbuches mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Die Reformer, vertreten durch den marokkanischen Justizminister Abdellatif Ouahbi, fordern die Abschaffung dieses Artikels. Ouhabi hat in den Medien seine Pläne dargelegt, einvernehmliche außereheliche Beziehungen straffrei zu machen. Dies hat eine breite Kontroverse ausgelöst – auch in der politischen Elite des Landes. 

Konservative, darunter Familienrechtler und Religionsgelehrte, lehnen den Vorschlag, das Gesetz abzuschaffen, strikt ab. Ein solcher Schritt würde ihrer Meinung nach "zur Ausbreitung von Sittenlosigkeit, zur Vermischung der Abstammungslinien und zur Zerstörung des Kerns der Familie“ führen. 

König Mohammed VI. als höchste Autorität des Landes hatte sich bereits 2022 zu dieser Kontroverse geäußert. Damals betonte er: "Als Oberhaupt der Gläubigen werde ich nicht erlauben, was Gott verboten hat, und ich werde nicht verbieten, was Gott erlaubt hat, insbesondere in Angelegenheiten, die in den maßgeblichen Korantexten geregelt sind.” 

Damit es nicht zu Konflikten mit konservativen Strömungen und deren Anhängern kommt, dürfte die zu erwartende Änderung den Ehebruch nicht vollständig entkriminalisieren. Denkbar wäre eine Beschränkung der Höchststrafen. 

Kommt es zum Verbot von Kinderehen?

Ein weiterer Streitpunkt ist ein Artikel im marokkanischen Familienrecht, der unter bestimmten Umständen die Eheschließung von Minderjährigen erlaubt. Die Reformer argumentieren, dass die Beibehaltung dieser Ausnahmeregelung gegen die Würde Minderjähriger, insbesondere minderjähriger Mädchen, verstößt. Sie sind der Ansicht, dass Minderjährige durch eine Eheschließung erheblichen emotionalen, psychologischen und physischen Schaden erleiden könnten, da sie noch nicht in der Lage seien, eheliche Pflichten zu übernehmen. 

Konservative hingegen sind der Meinung, dass es kein absolutes Verbot der Eheschließung Minderjähriger geben sollte. Sie verweisen gerne auf soziale Härtefälle, die eine solche Eheschließung notwendig machen könnten, etwa im Fall einer minderjährigen Waise, die sonst nicht angemessen versorgt werden könnte. 

Diese Debatte könnte zur weiteren Einschränkung der Eheschließung Minderjähriger durch die Einführung strengerer Voraussetzungen führen. Diese Entwicklung ist Ausdruck des dringenden gesellschaftlichen Anliegens, die Rechte von Kindern zu schützen. Sie steht auch im Einklang mit nationalem und internationalem Recht. 

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Heißes Eisen: ein gleichberechtigtes Erbrecht

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Erbrecht ist eines der umstrittensten Themen in der Debatte zwischen Konservativen und Reformern in Marokko. Es wird erwartet, dass sich der Diskurs im Laufe der Zeit noch verschärfen wird. 

Konservative lehnen den Vorschlag einer gleichberechtigten Erbschaftsregelung vehement ab. Die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), die der Muslimbruderschaft nahesteht, sieht in einer solchen Änderung einen Verstoß gegen religiöse Vorschriften und einen Widerspruch zu einschlägigen Korantexten; insbesondere zu Sure 4:11: "Allah empfiehlt euch hinsichtlich eurer Kinder: Einem Kind männlichen Geschlechts kommt ebenso viel zu wie der Anteil von zwei Kindern weiblichen Geschlechts....“. 

Die Reformer sind der Ansicht, dass eine Gleichbehandlung der Geschlechter im Erbrecht durchaus möglich ist. Sie sind der Ansicht, dass solche Ungleichheiten beseitigt werden sollten, um Frauen nicht weiter zu diskriminieren und ihnen eine eigenständige Existenzsicherung zu ermöglichen. 

Es sieht jedoch nicht danach aus, dass ein gleichberechtigtes Erbrecht in die anstehende Novellierung des Familienrechts aufgenommen wird, da die königliche Direktive keinen Widerspruch zu expliziten religiösen Urteilen zulässt. Allerdings könnte die Reform der Rechtsprechung in bestimmten Detailfragen des Erbrechts einen gewissen Spielraum eröffnen. 

Zu welchen Änderungen es tatsächlich kommen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu gehören eine umfassende Konsultation aller Beteiligten, die Grundsätze der islamischen Rechtsfindung sowie die Besonderheiten der marokkanischen Gesellschaft und die Ergebnisse des Idschtihād (eigenständige Interpretation der religiösen Texte). Es gilt, die richtige Balance für das marokkanische Familienrecht zu finden, um in Zukunft weitere Konflikte zu vermeiden. 

Hassan Ashraf

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Hassan Ashraf ist ein marokkanischer Journalist und Wissenschaftler, der über politische, soziale und religiöse Themen in der arabischen Welt arbeitet.