Abrechnung mit den Landsleuten

Salwan Momeka, ein Iraker christlicher Herkunft, hat die Koranverbrennung in Stockholm inszeniert. Durch die Aktion wollte er mit seinen Landsleuten abrechnen. Von Birgit Svensson aus Bagdad

Von Birgit Svensson

Er riss Seiten aus dem Koran, warf sie auf den Boden und trampelte darauf herum. Dann öffnete er eine Packung Speck, legte eine Scheibe in den Buchrücken und zündete das heilige Buch der Muslime in seinen Händen an. Schweinefleisch ist für Muslime ein absolutes Tabu. Dies alles geschah am ersten Tag des islamischen Opferfestes vor einer Moschee in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, in unmittelbarer Nähe der türkischen Botschaft. Symbolträchtiger hätte die Aktion nicht sein können. Der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan reagierte sofort und drohte einmal mehr, den Nato-Beitritt Schwedens zu blockieren.  

Immer wieder sorgen Koranverbrennungen in westlichen Ländern für Aufsehen. Wutausbrüche, Demonstrationen, Warenboykotte in den islamischen Ländern sind meist die Folge. Die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung 2015 hatten gar Terroranschläge zur Folge und monatelang fand man keine dänische Butter in den Supermärkten des Nahen Ostens.



Auch in Schweden gab es bereits Koranverbrennungen in den Jahren 2020 und 2021. Als Kulturkampf ist das Thema stets gesehen worden: Meinungsfreiheit gegen Meinungsdiktatur. Doch dieses Mal ist es anders. Der Verantwortliche für die Koranverbrennung in Stockholm ist kein Bürger eines westlichen Landes, sondern Iraker. 

Die einen sagen, Salwan Momeka wusste nicht, was er tut. Der 37-Jährige ist Assyrer und gehört zur christlichen Minderheit des Vielvölkerstaates. Er selbst sagt, er sei Atheist, wohl aus Rücksicht auf seine Familie, die sich noch im Irak befindet und jetzt mächtig angefeindet wird. Sein Vater hat sich bereits offiziell von ihm distanziert.

Besucher in der chaldäisch-katholischen Kirche Maria Himmelfahrt in Bagdad, 8. Dez. 2020; Foto: Ahmed al Rubaye/AFP/Getty Images
Die Christen diskreditiert: Nach der Koranverbrennung durch einen Iraker christlicher Herkunft werden die Christen in den sozialen Medien diffamiert wie selten zuvor. "Die Christen im Irak sind völlig verwirrt und verängstigt“, kommentiert Mithal al-Alusi, ehemaliger Abgeordneter im irakischen Parlament und Gründer der Umma-Partei, die sich liberal-demokratisch nennt, die Situation. "Entweder sie distanzieren sich gänzlich von der islamischen Atmosphäre, die die Politik und das Leben im Irak prägen, oder sie umwerben die muslimischen Parteien und Milizen, verbinden sich sogar mit den iranischen Revolutionsgarden.“

Schwierige Situation für die Christen

Überhaupt hat seine Tat die Christen enorm diskreditiert. In den sozialen Medien werden sie diffamiert wie selten zuvor. Einer, der die Reaktionen im Netz aufmerksam beobachtet, ist Mithal al-Alusi, ehemaliger Abgeordneter im irakischen Parlament und Gründer der Umma-Partei, die sich liberal-demokratisch nennt.



"Die Christen im Irak sind völlig verwirrt und verängstigt“, kommentiert al-Alusi die Situation. "Entweder sie distanzieren sich gänzlich von der islamischen Atmosphäre, die die Politik und das Leben im Irak prägen, oder sie umwerben die muslimischen Parteien und Milizen, verbinden sich sogar mit den iranischen Revolutionsgarden.“

Dabei gibt es ohnehin immer weniger Christen im Zweistromland. Ihre Zahl hat sich seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten vor 20 Jahren mehr als halbiert. Von einst 1,2 Millionen sind knapp eine halbe Million übriggeblieben. Auch Salwan hat den Irak vor fünf Jahren verlassen. Mit seiner Aktion hat er seinen christlichen Landsleuten einen Bärendienst erwiesen. Es steht zu befürchten, dass jetzt noch mehr auswandern werden.  

Andere Stimmen meinen, Momeka wisse sehr wohl, was er tut. Denn in einem Video, das er einen Tag nach seiner Verbrennung des heiligen Buches der Muslime ins Netz stellt, macht er seine Motive deutlich. Nicht seine "muslimischen Brüder und Schwestern“ seien der Anlass seiner Aktion, sondern die religiösen Hardliner der Schiiten, allen voran Moktada al-Sadr.



Dieser habe gedroht, ihn umzubringen. Außerdem klagt er den Iran an, seit Jahren sein Land auszubeuten, Geld und Öl zu stehlen und die Menschen zu unterdrücken. "Darauf habt ihr nur leere Worte“, rechnet er mit seinen Landsleuten ab, "ihr seid feige“. Er habe keine Angst, sagt er noch, "egal wie viele ihr auch seid“.  

 

Iraq has called on Sweden to extradite Salwan Momika, an Iraqi who burned the Quran outside a Stockholm mosque this week. It comes after Iraqi protesters breached Sweden's embassy in Baghdad yesterday, spraying "Yes, yes to the Quran" on the compound's gates



: @Reemkhabbazy pic.twitter.com/v55DLiZYg3

— The New Arab (@The_NewArab) June 30, 2023

 

Proteste vor der schwedischen Botschaft

Zwei Tage lang versammelten sich Anhänger al-Sadrs vor den Toren der diplomatischen Vertretung Schwedens in Bagdad, trugen Poster mit dem Konterfei von al-Sadr und anderen schiitischen Klerikern und forderten die Auslieferung Momekas an den Irak und die Aberkennung seines schwedischen Exils. Der Oberste Irakische Gerichtshof hat bereits einen Auslieferungsantrag nach Stockholm geschickt.



Inzwischen gibt es auch Demonstrationen vor der schwedischen Botschaft in Teheran. Iran werde vorerst keinen Botschafter nach Schweden entsenden, heißt es von offizieller Seite in Teheran, obwohl die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern nach langer Unterbrechung in Kürze wieder aufgenommen werden sollten. Auch der schiitische Großayatollah Ali al-Sistani im irakischen Najaf machte vor allem Schweden für die Koranverbrennung verantwortlich.

In einem Brief an UN-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilt das Büro Sistanis die Genehmigung der schwedischen Polizei für die Aktion. Die Meinungsfreiheit, die dafür angeführt wurde, rechtfertige nicht eine derart beschämende Tat, die "einen eklatanten Angriff auf die Heiligkeit von mehr als zwei Milliarden Muslimen auf der Welt darstellt“.



Die Uno wird aufgefordert, sich für ein friedliches Zusammenleben zwischen Anhängern verschiedener Religionen einzusetzen, das auf gegenseitigem Respekt für alle basiere. Der Brief verliert kein Wort über den Iraker, der den Koran verbrannt hat.   

Doch Momekas Biographie gibt Aufschluss über die Hintergründe seiner Tat. Er ist in Karakosch geboren, einer christlich geprägten Stadt auf halber Strecke zwischen Mossul und der Kurdenmetropole Erbil. Als die extremistische sunnitische Terrororganisation Al Qaida im Irak ihr Unwesen trieb und zur Christenverfolgung aufrief, war Salwan 20 Jahre alt.

Mit Megafonen fuhren damals die Terroristen durch Mossul und forderten die Christen auf, die Stadt zu verlassen oder eine Kopfsteuer zu bezahlen, die im Koran, Sure 9, für Nicht-Muslime festgelegt sei. Karakosch, Salwans Heimatstadt, schwoll von zuvor 15.000 auf über 40.000 Einwohner an. Aus dem ganzen Land zogen bedrohte Christen nach Karakosch. Die kurdischen Peschmerga versprachen, die Stadt zu schützen.

 

⭕️عاجل: مكتب السيد السيستاني (دام ظله) يستنكر جريمة حرق القرآن التي حدثت في السويد ويطالب الأمم المتحدة باتخاذ خطوات فاعلة لمنع تكرار هذا الفعل#العتبة_العباسية_المقدسة pic.twitter.com/ouwZdDYXbZ

— العتبة العباسية المقدسة (@AlkafeelAbbas) June 29, 2023

 

 

Im Krieg radikalisiert

Momeka wurde Wachmann im Hauptquartier der Assyrischen Demokratischen Partei. 2014 im August kam der IS, die kurdischen Sicherheitskräfte verschwanden und überließen die Christen sich selbst. Glücklicherweise konnten fast alle Einwohner fliehen, die Stadt war leer, als die Dschihadisten sie überrannten. Viele Christen flohen nach Ain Kawa, einem Vorort von Erbil, und stellten Ausreiseanträge, um in den USA oder Kanada Aufnahme zu finden.  

Momeka ging in die Offensive und schloss sich den Schiitenmilizen an. Er gründete eine bewaffnete Christenfraktion – Suqur al-Suryan – im Verbund mit der Volksmobilitätsfront, die mit iranischer Unterstützung gegen den IS kämpfte. Die Spirale der Radikalität drehte sich für ihn weiter. Während er anfangs noch den iranisch dominierten Milizenführern huldigte, was Videos und Tweets beweisen, kam er später zunehmend in Konflikt mit ihnen. Drei Jahre lang soll er wegen eines selbst verschuldeten Autounfalls im Badush-Gefängnis nördlich von Mossul inhaftiert worden sein.

Ein der Redaktion vorliegendes internes Papier der schwedischen Botschaft in Bagdad an das dortige Außenministerium gibt an, dass Salwan Momeka sich nach seiner Flucht in Schweden den ultrarechten Schwedendemokraten angeschlossen hat. Gleich zwei Mal habe er die Verbrennung des heiligen Koran im Stockholmer Bezirk Södermalm durchgeführt: am 28. Juni um 13.30 Uhr und am 29. Juni um 18. Uhr. 

Inzwischen gab der Iraker bekannt, er gedenke die Aktion auch ein drittes Mal zu wiederholen. Nächste Woche wolle er die irakische Fahne und den Koran vor der irakischen Botschaft in Stockholm verbrennen. Die schwedische Polizei ermittelt nun wegen Volksverhetzung gegen ihn.  

Birgit Svensson

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