Modi schreibt die Geschichtsbücher um

Die indische Regierung hat die Geschichtsbücher für Schulen überarbeiten lassen. Seitdem fehlen Verweise auf wichtige historische Fakten - so etwa Mahatma Gandhis Ablehnung des Hindu-Nationalismus.
Die indische Regierung hat die Geschichtsbücher für Schulen überarbeiten lassen. Seitdem fehlen Verweise auf wichtige historische Fakten - so etwa Mahatma Gandhis Ablehnung des Hindu-Nationalismus.

Die indische Regierung hat die Geschichtsbücher für Schulen überarbeiten lassen. Seitdem fehlen wichtige historische Fakten wie etwa Mahatma Gandhis Ablehnung des Hindu-Nationalismus. Von Adil Bhat

Von Adil Bhat

Indien läutet ein neues Zeitalter der Geschichtsschreibung ein - zumindest bei denjenigen Teilen der Geschichte, die an den Schulen des Landes zum Unterrichtsstoff für die sechste bis zwölfte Klasse gehören. Die Schulbehörden des Landes haben die Geschichts- und Politiklehrbücher überarbeiten lassen und dabei massive Kürzungen vorgenommen. So etwa finden sich keine Hinweise mehr auf Mahatma Gandhis ablehnende Haltung gegenüber dem Hindu-Nationalismus.



Auch Kapitel über die jahrhundertelange muslimische Herrschaft über weite Teile des heutigen Indien sind verschwunden. Selbst Hinweise auf die Unruhen im nordwestindischen Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002, bei denen mehr als 1000 Menschen - überwiegend Musliminnen und Muslime - getötet wurden, sind in den Lehrbüchern gestrichen worden. Im Jahr 2002 wurde Gujarat von Indiens heutigem Premierminister Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) regiert.

Kritikerinnen und Kritiker sehen in der Überarbeitung der Schulbücher einen Versuch der Regierung, die Geschichte des Landes umzuschreiben und ihrer hindu-nationalistischen Agenda anzupassen. Die Regierung ihrerseits hat erklärt, die Maßnahmen zielten darauf ab, den Lehrplan zu straffen und die Arbeitsbelastung der Schüler zu verringern.

Lehrerin begrüßt Streichungen

In der Adarsh Public School in Neu-Delhi haben die Schülerinnen und Schüler die überarbeiteten Lehrbücher bereits erhalten. Jetzt werden sie nicht mehr die gesamte Geschichte des Mörders von Mahatma Gandhi, dem Hindu-Nationalisten Nathuram Godse, erfahren. Auch fehlen einige Abschnitte über das indische Kastensystem mit seinen sozialen Hierarchien, das in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben wird. Auch die lange Zeitspanne, in der Teile Indiens von der muslimischen Mogul-Dynastie regiert wurden, kommt in den Büchern nicht mehr vor.

Bild eines alten indischen Schulbuchs mit markierten Passagen, die geändert wurden (Foto: Adil Bhat)
Was nicht passt, wird gestrichen: Die Historikerin Sucheta Mahajan verurteilte die Änderungen in indischen Schulbüchern entschieden und sprach mit den Studentinnen und Studenten über die Gefahren eines selektiven Blicks auf die Vergangenheit. Für Sucheta Mahajan sind die Änderungen ein Versuch, Geschichte für die eigene Ideologie zu benutzen und Teile, die nicht in dieses Verständnis passen, einfach zu streichen.



Sie sei mit den Änderungen einverstanden, sagt Pooja Malhotra, die Direktorin der Schule, im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW). Diese seien ein wichtiger Schritt, um Schulkindern ein positives Bild der indischen Geschichte zu vermitteln. Bei einem Besuch im Klassenzimmer erklärt sie den Schülerinnen und Schülern, dass alle irrelevanten Teile der indischen Geschichte in deren eigenem Interesse gestrichen wurden.

"Ich denke, jeder weiß, dass Nathuram Godse Gandhi ermordet hat. Aber da das Attentat im Kontext der Konflikte zwischen Hindus und Muslimen geschah, hat es besonders hohes Aufsehen erregt. Dieser Teil wurde gestrichen und das finde ich gut", so Pooja Malhotra im Gespräch mit der DW.

Abschnitte über Gandhis Ermordung entfernt

Die Zeitung Indian Express hat untersucht, welche Passagen über Gandhis Tod aus den Politiklehrbüchern für die 12. Klasse entfernt wurden. Gestrichen wurden etwa diese Zeilen: "Er [Gandhi] war besonders bei denjenigen unbeliebt, die wollten, dass sich Hindus rächen oder die wollten, dass Indien ein Land für die Hindus wird, so wie Pakistan (ein Land) für die Muslime (ist)."



Dem Rotstift fielen auch diese Zeilen zum Opfer: "Sein [Gandhis] unerschütterliches Streben nach hindu-muslimischer Einheit provozierte Hindu-Extremisten so sehr, dass sie mehrere Versuche unternahmen, ihn zu ermorden."

Ebenso haben die Behörden jene Zeilen gestrichen, in denen von einem harten Vorgehen gegen die als Rashtriya Swayamsevak Sangh bekannte hindu-nationalistische Bewegung und vergleichbare Gruppierungen nach dem Tod Gandhis die Rede ist. Bisher war in dem Schulbuch zu lesen, das Attentat af Gandi in 1948 habe "eine fast magische Wirkung auf die Situation der verschiedenen Gemeinschaften im Lande" gehabt.



"Die indische Regierung ging hart gegen Organisationen vor, die Hass zwischen den Gemeinschaften verbreiteten. Organisationen wie die Rashtriya Swayamsevak Sangh wurden eine Zeit lang verboten." Auch diese Stelle lassen die neuen Schulbücher offenbar aus.

 

 

Die Schulen sind verpflichtet, die neuen Materialien zu verwenden. Der Nationale Rat für Bildungsforschung und Ausbildung hat die überarbeiteten Versionen sowohl öffentlichen als auch privaten Schulen in 23 Bundesstaaten und Unionsterritorien vorgeschrieben.

In den Medien und in akademischen Kreisen hat die Überarbeitung der Schulbücher eine landesweite Debatte ausgelöst. An der Jawaharlal Nehru Universität in Neu-Delhi organisierten Studentinnen und Studenten eine Versammlung, in der sie diskutierten, wie sich eine Rücknahme der Schulbuchrevisionen erreichen ließe. Die Historikerin Sucheta Mahajan verurteilte die Änderungen entschieden und sprach mit den Studentinnen und Studenten über die Gefahren eines selektiven Blicks auf die Vergangenheit.

Geschichte als ideologisches Kampffeld

Für Sucheta Mahajan stellen die Änderungen einen Versuch der Regierung dar, Geschichte für die eigene Ideologie zu benutzen und alle, was nicht in dieses Verständnis passt, einfach wegzulassen. "Das gegenwärtige Regime und seine Vorgänger haben die Geschichte Indiens zu einer ideologischen Waffe für ihr politisches, intellektuelles und kulturelles Projekt gemacht. Dieses soll Indien in ein hinduistisch dominiertes Land verwandeln", so Sucheta Mahajan im DW-Interview. Die Überarbeitung der Bücher sei Teil dieser Agenda.

Die jüngere Schülergeneration würde nun mit einer unvollständigen und verzerrten Vergangenheit aufwachsen, monieren Experten. Auch prangern Sucheta Mahajan und andere Kritikerinnen und Kritiker den Versuch der Regierungspartei an, Musliminnen und Muslime aus der Geschichte Indiens zu verbannen. So etwa hat die BJP damit begonnen, Straßen umzubenennen, die in der Hauptstadt und anderen Metropolen des Landes die Namen muslimischer Herrscher trugen.

Die derzeitige Oppositionspartei Indischer Nationalkongress (INC) habe dagegen immer eine "anti-nationale Geschichte" propagiert, sagt BJP-Sprecherin Teena Sharma in Erinnerung an ihre eigene Schulzeit. Damals seien die islamischen Mogulherrscher immer verherrlicht worden, sagt sie der DW.

 

"Die BJP hat auch die Namen einiger Straßen und Denkmäler geändert, weil wir Kindern nun ein positives Geschichtsbild vermitteln", meint Sharma. "Zudem haben wir die Namen jener Leute gestrichen, die definitiv gegen Indien gekämpft und dem Land Unrecht zugefügt haben. Sie wurden in den früheren Büchern [des INC] verherrlicht", so die BJP-Sprecherin weiter. 

 

Insgesamt sind die jüngsten Bemühungen um eine Überarbeitung der Geschichtsbücher womöglich nicht so überraschend, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein Großteil der Bemühungen der BJP konzentriert sich seit langem auf die Förderung einer einheitlichen kulturellen Vergangenheit. In einer Rede im Jahr 2019 forderte Innenminister Amit Shah die Historikerinnen und Historiker auf, aktiv zu werden. "Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Geschichte zu schreiben", sagte er damals.

Adil Bhat

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