"Meinen Hass bekommt ihr nicht"

Antoine Leiris hat beim islamistischen Terroranschlag im Pariser Club Bataclan seine Frau verloren. Der deutsche Regisseur Kilian Riedhof hat sein Buch "Meinen Hass bekommt ihr nicht" verfilmt. Von Philipp Jedicke

Von Philipp Jedicke

Paris am 23. Oktober 2022: Das erfolgreiche deutsche Folk Pop-Duo Milky Chance spielt vor einer begeisterten Menschenmenge in einem Club. So weit, so normal. Doch der Club ist nicht irgendein Konzertsaal, sondern das Bataclan in Paris.

Vor sieben Jahren, am 13. November 2015, stürmten drei islamistische Terroristen mit Sturmgewehren und Sprengstoffgürteln während eines Konzerts der US-Band Eagles of Death Metal den Saal, nahmen das Publikum als Geisel und töteten 90 Menschen. Etwa zeitgleich wurden bei Anschlägen auf Bars, Restaurants und am Nationalstadion Stade de France 40 weitere Menschen ermordet. Die Pariser Attentate der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) trafen Frankreich ins Mark, und das Bataclan wurde zu einem Symbol für diese Wunde.

In der Nacht des 13. November verlor der Journalist Antoine Leiris seine Frau Hélène. Die beiden waren junge Eltern, der gemeinsame Sohn Melvil gerade mal 17 Monate alt. Während die Welt versuchte, eine Erklärung für das unfassbare Grauen des 13. November zu finden, postete Leiris auf Facebook einen offenen Brief.

In bewegenden Worten wandte er sich darin an die Attentäter und verweigerte ihnen, "den toten Seelen", seinen Hass - und den seines Sohnes. Die Botschaft ging um die Welt. Später veröffentlichte Leiris das Buch "Meinen Hass bekommt ihr nicht" (Blanvalet 2016), in dem er darüber berichtet, wie er sich damals mit seinem Sohn zurück ins Leben kämpfte.

Der Eingang des Konzertsaals "Bataclan" in Paris im September 2021; Foto: Siefried Modola/Getty Images
Nach der Terrorattacke wurde der Saal des Bataclan umfassend renoviert und blieb etwa ein Jahr geschlossen. Dann eroberte sich Paris den Ort zurück. Mit Trotz und Parolen wie "Je suis en terrace", auf Deutsch: "Ich sitze vor der Bar", zeigten die Pariserinnen und Pariser, dass sie sich weder einschüchtern, noch ihr Lebensgefühl nehmen lassen. Karim und Djerry, die im Bataclan als Sicherheitskräfte arbeiten, sagten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor dem Beginn des Konzerts des deutschen Folk Pop-Duos Milky Chance im Oktober 2022: "Mittlerweile sind wir daran gewöhnt, hier zu arbeiten, aber es macht immer etwas mit einem. Wir denken immer an die Anschläge."

Der Blick von außen

Am 10. November 2022 hatte nun die gleichnamige Verfilmung des Buchs ihren Kinostart. Der erfahrene deutsche Filmemacher Kilian Riedhof (u.a. "Homevideo" und "Gladbeck") hat sich des Stoffes angenommen. Im Gespräch mit der Deutschen Welle berichtet er, wie sehr ihn das Buch, das ihm damals eine Verwandte empfohlen hatte, als Vater und Ehemann bewegt und schließlich dazu gebracht habe, den Film zu machen: "Sich vorzustellen, wie einen dieser Terroranschlag treffen könnte, das ist ja ein Albtraum, der dieser Familie widerfährt. Das war mir von der ersten Sekunde an sehr nah und klar, dass ich den Stoff als Film verarbeiten möchte." 

Riedhof reist nach Paris, um sich mit Antoine Leiris zu treffen. Bedenken, dass dieser den Stoff vielleicht lieber von einem Pariser oder einer Pariserin bearbeitet haben möchte, zerstreuen sich direkt. "Er fand es gut, dass wir einen gewissen Abstand zum Epizentrum des Geschehens haben", so Riedhof. "Manches braucht ja eine gewisse Distanz, um begriffen zu werden. Unsere Rolle war dann die eines mitfühlenden Freundes. Trotzdem waren wir uns der Verantwortung sehr bewusst. Dieses Trauma ist in Paris noch sehr frisch, unheimlich viele Leute verbinden Geschichten mit jener Nacht."

Behutsame filmische Annäherung

Entsprechend behutsam inszeniert Riedhof seinen Film. In der Hauptrolle: Pierre Deladonchamps, der Leiris nicht nur physisch ähnelt, sondern auch dessen Charme und Intellekt vermittelt, den Leiris bei aller Trauer ausstrahlt. Absolut glaubhaft vermittelt Deladonchamps den Schock und das Trauma, aber auch die Heilung eines Mannes, der sich mit Hilfe seines Sohnes ins Leben zurückarbeitet.

Kilian Riedhof bei der Premiere seines Films "Meinen Hass bekommt ihr nicht" ; Foto: Anita Bugge/Future Image/IMAGO
Regisseur Kilian Riedhof bei der Premiere seines Films "Meinen Hass bekommt ihr nicht": Im Gespräch mit der Deutschen Welle berichtet er, wie sehr ihn das Buch, das ihm damals eine Verwandte empfohlen hatte, als Vater und Ehemann bewegt und schließlich dazu gebracht habe, den Film zu machen: "Sich vorzustellen, wie einen dieser Terroranschlag treffen könnte, das ist ja ein Albtraum, der dieser Familie widerfährt. Das war mir von der ersten Sekunde an sehr nah und klar, dass ich den Stoff als Film verarbeiten möchte." 



Die Wohnung der beiden ist dabei ihr Kokon, ihr Schutzraum, an dem zwar alles an Hélène erinnert, der aber dennoch den Trauernden immer wieder Kraft gibt und ihnen den Raum gibt, wo sie Sinn erfahren. Die Kamera ist stets ganz nah dran an Deladonchamps und Zoé Iorio, die die Rolle des Melvil spielt.

"Uns war wichtig, dass wir behutsam, sensibel erzählen. Es ging hier weniger um Dramatisieren, sondern mehr um Zuhören und um Mitempfinden", so Riedhof. Und das ist ihm gelungen. Die Anschläge, die Attentäter, die Leichen - all das ist nicht zu sehen in "Meinen Hass bekommt ihr nicht". Es geht vielmehr die Wirkung, die solch eine Tat auf eine Familie hat. "Sich mit dem Gefühl des Hasses und der Verzweiflung auseinandersetzen zu müssen und es zu überwinden... Das zu einem physischen Erlebnis für den Zuschauer werden zu lassen, war sicherlich eine Hauptaufgabe", ergänzt der Regisseur.  

Rückeroberung des Nachtlebens

Nach der Terrorattacke wurde der Saal des Bataclan umfassend renoviert und blieb etwa ein Jahr geschlossen. Dann eroberte sich Paris den Ort zurück. Mit Trotz und Parolen wie "Je suis en terrace", auf Deutsch: "Ich sitze vor der Bar", zeigten die Pariserinnen und Pariser, dass sie sich weder einschüchtern, noch ihr Lebensgefühl nehmen lassen.

Zur Wiedereröffnung des Bataclan sagte der britische Musiker Sting, er wolle der Opfer gedenken, aber auch die Musik und das Leben feiern. Karim und Djerry, die im Bataclan als Sicherheitskräfte arbeiten, sagten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor dem Beginn des Konzerts von Milky Chance im Oktober: "Mittlerweile sind wir daran gewöhnt, hier zu arbeiten, aber es macht immer etwas mit einem. Wir denken immer an die Anschläge."

Antoine (Pierre Deladonchamps, r.) und Melvil (Zoé Iorio) erobern sich gemeinsam ihr Familienleben zurück; Foto: Komplizen Film/Tobisfilm
Vater und Sohn im Film "Meinen Hass bekommt ihr nicht“: In der Nacht des 13. November verlor der Journalist Antoine Leiris seine Frau Hélène. Die beiden waren junge Eltern, der gemeinsame Sohn Melvil gerade mal 17 Monate alt. Leiris postete damals auf Facebook einen offenen Brief, wandte sich in bewegenden Worten an die Attentäter und verweigerte ihnen, "den toten Seelen", seinen Hass - und den seines Sohnes. Die Botschaft ging um die Welt. Später veröffentlichte Leiris das Buch "Meinen Hass bekommt ihr nicht" (Blanvalet 2016), in dem er darüber berichtet, wie er sich damals mit seinem Sohn zurück ins Leben kämpfte.



Philipp Dausch von Milky Chance betrachtet das Konzert als "Spagat", aber vielleicht sei genau das auch die Herausforderung. Und sein Bandkollege Clemens Rehbein fügt hinzu: "Das ist ja eine sehr lebensbejahende Antwort“. Er glaube, das sei auch gut so. "Dass man jetzt hier wieder Konzerte stattfinden lässt und eine ausgelassene Stimmung herrscht, heißt ja nicht oder darf nicht heißen, dass man vergisst, was hier mal passiert ist."



Auch Kilian Riedhof berichtet davon, wie präsent die Pariser Terrornacht nach wie vor ist: "Die Wunde ist bis heute spürbar, die Menschen haben einen sehr konkreten Bezug zu dieser Nacht. Aber ich glaube, die Pariser haben sehr schnell angefangen, der Gewalt das Leben entgegenzusetzen und genau dieses Bier auf der Terrasse zu trinken und mit Kultur zu antworten."

Die Botschaft der Terroristen sei gewesen, man solle sich verkriechen. Ihr Ziel sei die Angst. Aber "die Pariser haben sehr schnell verstanden, dass man genau das nicht machen darf, sich von den öffentlichen Plätzen nicht vertreiben lassen darf, sondern zurück ins Leben geht, miteinander ist, die Kultur verteidigt - Theater, Musik, Kino - weil das die richtige Antwort auf den Hass ist."

Philipp Jedicke



© Deutsche Welle 2022  

Der Film "Meinen Hass bekommt ihr nicht" von Kilian Riedhof ist aktuell in Deutschland im Kino zu sehen. Das Buch "Meinen Hass bekommt ihr nicht" von Antoine Leiris (144 Seiten) ist 2016 bei Blanvalet erschienen.