Berg-Karabach: Auflösung der selbsternannten Republik

Der jahrzehntelange Konflikt um die Unabhängigkeit der Kaukasusregion Bergkarabach neigt sich dem Ende zu: Nach der Niederlage der pro-armenischen Kräfte gegen Aserbaidschan haben die Behörden in Bergkarabach die Auflösung der selbsternannten Republik verkündet.

Der Präsident der selbst ernannten armenischen Republik Bergkarabach, Samwel Schahramanjan, hat ein Dekret zur Auflösung aller staatlichen Institutionen zum 1. Januar 2024 unterzeichnet. Bergkarabach werde damit "aufhören zu existieren", hieß es. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan warf Aserbaidschan eine "ethnische Säuberung" vor.

Samwel Schahramanjan erklärte in einem am Donnerstag (28.9.2023) veröffentlichten Dekret, die aus Bergkarabach geflüchteten Menschen und die dort verbliebenen Bewohner müssten angesichts der bevorstehenden Wiedereingliederung der Region in Aserbaidschan "individuell entscheiden, ob sie bleiben oder zurückkehren wollen".

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es leben dort aber überwiegend Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt.



Aserbaidschan und Armenien haben sich seit dem Zerfall der Sowjetunion bereits zwei Kriege um Bergkarabach geliefert, zuletzt im Jahr 2020. Damals hatte das traditionell mit Armenien verbündete Russland nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6500 Toten ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.



Am 19. September startete Aserbaidschan dann eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach. Bereits einen Tag später mussten sich die pro-armenischen Kämpfer in der Region geschlagen geben - ein bedeutender Sieg für den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew. Baku erklärte sich im Rahmen einer Waffenruhe bereit, pro-armenische Kräfte, die ihre Waffen niederlegen, nach Armenien ausreisen zu lassen. Zudem wurden Verhandlungen über die Rückkehr der Region unter die Kontrolle Aserbaidschans eingeleitet.

 

 

Mehr als die Hälfte der armenischen Bewohner geflohen

Zehntausende Menschen haben Bergkarabach seitdem verlassen. Inzwischen seien 65.000 Menschen und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Bergkarabachs nach Armenien geflohen, teilte die Regierung in Eriwan am Donnerstag mit. Der Exodus dauere an, sagte Ministerpräsident Paschinjan bei einer Kabinettssitzung. "Unsere Analyse zeigt, dass es in den nächsten Tagen keine Armenier mehr in Bergkarabach geben wird."



"Dies ist ein Akt der ethnischen Säuberung, vor dem wir die internationale Gemeinschaft gewarnt haben", sagte Paschinjan. "Wenn auf die Verurteilung (durch die internationale Gemeinschaft) keine angemessenen politischen und rechtlichen Entscheidungen folgen, werden diese Verurteilungen zu Akten der Zustimmung zu den Geschehnissen." Er warf den aserbaidschanischen Sicherheitskräften außerdem "illegale Festnahmen" von Flüchtenden vor, die von Bergkarabach aus nach Armenien gelangen wollen.



Am Mittwoch hatten aserbaidschanische Grenzschützer den früheren Anführer der pro-armenischen Kräfte in Bergkarabach, Ruben Wardanjan, festgenommen. Am Donnerstag ordnete ein Gericht in Baku an, den Geschäftsmann für vier Monate in Untersuchungshaft zu nehmen. Wardanjan, der von November 2022 bis Februar 2023 an der Spitze der selbsternannten Regierung in Bergkarabach stand, werden Terrorfinanzierung und andere Straftaten zur Last gelegt.

Die Vereinten Nationen forderten nach Wardanjans Festnahme die Achtung seiner Menschenrechte. Die aserbaidschanischen Behörden müssten "alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Recht auf ein ordentliches Verfahren und einen fairen Prozess gewahrt wird", erklärte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte.

Russland nahm die Ankündigung der Auflösung von Bergkarabach eigenen Angaben zufolge "zur Kenntnis". Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte zudem, er sähe keinen Anlass für eine Flucht der Armenier aus Bergkarabach. Zudem kritisierte Peskow die Pläne Armeniens, nach der Auflösung von Bergkarabach dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beizutreten. "Diese Art von Entscheidungen sind aus unserer Sicht extrem feindselig", erklärte Peskow. Russland erkennt den IStGH, der im Frühjahr einen Haftbefehl gegen Kreml-Chef Wladimir Putin erlassen hat, nicht an.



Die Spannungen zwischen Moskau und Eriwan hatten sich wegen der Rolle der russischen Friedenstruppen im Konflikt um Bergkarabach verschärft. Armenien fühlte sich von seinem Verbündeten Russland im Stich gelassen, weil Moskau angesichts der Militäroffensive nicht eingegriffen hatte. (AFP)

 

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