Beethovenfest bietet Plattform für Afghanistan und Iran

Musikerinnen und Musiker aus Afghanistan, Iran und Deutschland arbeiten beim Campus-Projekt 2023 des Beethovenfest in Bonn zusammen. Das Ergebnis ist am 14. September zu hören. Von Anastassia Boutsko

Von Anastassia Boutsko

Die Welt ist in vielen Gegenden aus den Fugen geraten, an manchen aber besonders - wie in Afghanistan: Am 15. August 2021 veränderte sich das Leben von Marin, Shabana, Aman und anderer Mitglieder im Nationalen Jugendorchester von Afghanistan (Afghan National Youth Orchestra) schlagartig.

Wie eine Flut kamen die Taliban-Truppen über Kabul. Die "Alma Mater" der jungen Musikerinnen und Musiker, das Afghanische Nationale Musikinstitut (ANIM), wurde eine der ersten Zielscheiben des neuen Regimes: Es verwüstete Klassenzimmer und zerstörte ihre Musikinstrumente.

"Meine Mutter sagte zu mir: Auch du musst dein Instrument, die Sitar, vernichten oder zumindest gut verstecken", erinnert sich Shabana. "So haben ich und mein Bruder, der auch Musiker ist, unsere Instrumente in Decken eingewickelt und in der Wäsche versteckt." In den nächsten Monaten durfte Shabana das Haus kaum verlassen: "Meine Mutter hatte Angst, dass ich von den Taliban aufgegriffen und zwangsverheiratet werden könnte." Auch Marin berichtet von ähnlichen Erfahrungen: "Das Leben hat sich schlagartig verändert. Es war ein Albtraum." 

Afghanische Musiker im Exil: Dem verstummten Land eine Stimme verleihen

Musikerinnen aus Iran, Afghanistan und Deutschland improvisieren während der Proben in Braga. (Foto: Madmo Springer)
Musik gegen die Barbarei: Die jungen Musiker aus Afghanistan empfinden sich als Botschafter ihres Landes: "Es geht darum, unserem Land eine Stimme zu verleihen", sagt Projekt-Leiter Sarmast. Das Musik-Verbot unter den Taliban habe das Land verstummen lassen, die Musik und die Poesie blieben aber die "Seele des Volkes".

Zwei Jahre und gefühlt ein ganzes Leben später sitzen junge Musiker aus Kabul in den geräumigen Proberäumen des Jugendzentrums im portugiesischen Braga. Seit über einem Jahr ist die Stadt in der Nähe von Porto ein neues Zuhause für 273 Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte des ANIM – einer Musikhochschule im Exil. In einem Kraftakt, angeleitet von dem ANIM-Gründer Ahmad Sarmast, gelang den Musikern die Flucht über Katar nach Europa.

"Portugal war eben das erste Land, das bereit war, uns Asyl zu gewähren", sagt Sarmast. Der Berufsmusiker hofftt, mit Projekten wie ANIM oder dem dazugehörenden Frauenorchester Zohra das Leben in seiner Heimat nachhaltig zu verändern. "Und diese Hoffnung habe ich nicht aufgegeben", sagt er hartnäckig. "Denn die Taliban dürfen nicht für immer herrschen."

"Als ich nach Portugal kam, habe ich wieder angefangen, Geige zu spielen", erzählt Farida Ahmadi der DW. "Das gibt mir Kraft, auch wenn meine Familie und Freunde in Afghanistan weiter in einer entsetzlichen Situation leben."

Zugleich empfinden sich junge Musiker aus Afghanistan als Botschafter ihres Landes: "Es geht darum, unserem Land eine Stimme zu verleihen", sagt ANIM-Leiter Sarmast. Das Musik-Verbot unter den Taliban habe das Land verstummen lassen, die Musik und die Poesie blieben aber die "Seele des Volkes".

Die Jugendzentrum-Bühne teilen sich die Schüler des ANIM, das jetzt "ANIM in Portugal" heißt, mit Altersgenossen aus Deutschland. Junge Musikerinnen und Musiker sind extra an den Rand Europas gereist, um gemeinsam mit den afghanischen Kollegen das Programm des Campus-Konzertes zu erarbeiten. Mit von der Partie sind sowohl Musikerinnen und Musiker des Bundesjugendorchesters, das bereits seit 2015 Partner des Campus-Projektes der DW und des Beethovenfestes ist, als auch Studierende der Barenboim-Said-Akademie aus Berlin.

Nach der abschließenden Probewoche in Bonn präsentiert das internationale Ensemble das Resultat beim Campus-Konzert im Rahmen des Beethovenfestes am 14. September in der Aula der Bonner Universität. "Solche Projekte helfen uns dabei, diese schwere Zeit zu meistern", sagt Sarmast. "Sie geben jungen Menschen das Gefühl, eine neue Heimat in der Musik zu finden."

Musikerinnen aus Iran, Afghanistan und Deutschland improvisieren während der Proben in Braga. (Foto: Madmo Springer)
Musikerinnen aus Iran, Afghanistan und Deutschland improvisieren während der Proben in Braga.

Durch Improvisation zusammenwachsen

Cymin Samavatie, die in Berlin lebende Komponistin, Sängerin und Gründerin des transkulturellen Trickster-Orchesters, ist künstlerische Leiterin des internationalen Projektes. Cymins Eltern stammen aus dem Iran. Die Erfahrungen der Flucht und des Fremdseins gehören zu den familiären Prägungen der in Deutschland aufgewachsenen Künstlerin.

Improvisation - die Freiheit des Ausdrucks - ist ihr Geheimnis, um die jungen Künstler und ihr Potential zu erschließen, die sich in unterschiedlichen Phasen ihres Werdegangs befinden: "Musik ist für sich eine Sprache, die unglaubliche Kraft hat", sagt Samavatie. "Und das Schöne ist: Wenn man diese Sprache miteinander spricht, dann ist es nicht so wichtig, dass man kein Deutsch kann oder kein Paschtu oder Dari - man hat die Musik und kann sich darüber unterhalten."

"Ich habe gemerkt, dass wir auf magische Art und Weise in einen gemeinsamen Energiefluss kommen, wir verbinden uns wirklich zu einem Klangkörper", schwärmt Elisabeth Roiter, Bratschistin des Bundesjugendorchesters, nach den intensiven Probentagen in Braga. "Wir treffen uns auf Augenhöhe. Improvisation ist etwas, was hier und jetzt entsteht. Wir erleben diese Zeit gemeinsam neu. Ich habe mehrmals Gänsehaut gehabt beim Spielen."

Mit Herz und Verstand dabei: Projektleiterin Cymin Samavatie. (Foto: Philipp Seliger/Beethovenfest-Bonn)
"Musik ist für sich eine Sprache, die unglaubliche Kraft hat", sagt Cymin Samavatie, die in Berlin lebende Komponistin, Sängerin und Gründerin des transkulturellen Trickster-Orchesters. "Und das Schöne ist: Wenn man diese Sprache miteinander spricht, dann ist es nicht so wichtig, dass man kein Deutsch kann oder kein Paschtu oder Dari - man hat die Musik und kann sich darüber unterhalten".

"Die Freiheit ist deine Stimme": Ein Gipfeltreffen der Dichterinnen

Seit über zwanzig Jahren veranstalten das Beethovenfest Bonn und die DW das gemeinsame Campus-Projekt – eine kulturelle Plattform für die Begegnung junger Musikerinnen und Musiker aus aller Welt. "Jedes Campus-Projekt ist etwas Besonderes", sagt Thomas Scheider vom Beethovenfest. Eine der größten Herausforderungen habe darin bestanden, der Multikulturalität und Mehrsprachigkeit von Afghanistan Rechnung zu tragen. Die afghanische Kultur wird in vielen Sprachen gelebt, vor allem aber in Paschtu und Dari.

Eine Ausprägung dieser Multikulturalität ist auch der poetische Teil des Campus-Abends. Musikerinnen des Projektes improvisieren zu Gedichten von Dichterinnen aus unterschiedlichen Epochen: von Forough Farrokhzaad, einer Ikone der weiblichen persischen Poesie, bis zu den auf Paschtu schreibenden afghanischen Dichterinnen Parwin Malal und Shafiqa Khapalwak. Die in Köln lebende afghanische Sängerin Asia Mehrabi wird die Gedichte der Dichterinnen mit dem Campus-Ensemble vortragen.

Den literarischen Teil des Programms hat die afghanische Dichterin Mariam Meetra kuratiert. Von ihr stammen auch einige Gedichte im Programm, unter anderem das im Auftrag der DW entstandene Manifest "Die Freiheit ist deine Stimme":

…Schulter an Schulter mit der Geschichte,

Groß wie das hohe Gebirge des Hindukusch -

Die Freiheit ist deine Stimme

die in die Stadt schallt…

Diese Zeilen könnten ein Motto des Campus-Projektes 2023 sein. 



Das Konzert am 14.September, 19:30 MEZ, wird von der DW live auf dem YouTube Canal DW Classical übertragen.

 

Anastassia Boutsko

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