Die Dämonen von Karakosch

Die syrisch-orthodoxe Kirche Sankt Behnam und Sarah in Karakosch, Irak.
Die syrisch-orthodoxe Kirche Sankt Behnam und Sarah in Karakosch, Irak, bei Nacht. (Foto: Birgit Svensson)

Die Christen im Irak sind mächtig unter Druck. Koranverbrennung durch einen christlichen Iraker in Schweden, das landesweite Alkoholverbot und die Brandkatastrphe bei einer Hochzeitsfeier machen ihnen das Leben schwer.

Von Birgit Svensson

Seitdem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Besitz von Karakosch genommen hat, sei der Ort entweiht und voll von Dämonen, sagen nicht wenige Einwohner der Christenstadt im Irak. Und einer dieser Dämonen sei Salwan Momika, der im Juni in Stockholm öffentlich einige Seiten des Koran verbrannt hat, eine Aktion, die weltweit für Furore sorgte. Momika ist hier in Karakosch geboren und sei vom richtigen Weg abgekommen, er habe Frau, Kinder und seine Eltern verlassen und ist abgehauen. 

Ein Abtrünniger, ein Irrer, ein Verwirrter: Das sind die Bezeichnungen, die die Menschen in Karakosch für ihren verlorenen Sohn haben. Als kürzlich ein schwedisches Fernsehteam die Stadt besuchen wollte, hat man die Journalisten am Checkpoint abgewiesen. Er habe schon genug Unheil über die Stadt gebracht, sagen die einen. Die anderen spielen Momikas Koranschändungen herunter. Sie hätten andere Sorgen. Er habe sich noch vor seiner Abreise nach Schweden vom Christentum losgesagt, sagt eine frühere Nachbarin, die ihren Namen nicht nennen will.

Er verachte alle Religionen. Seine Eltern hätten aus Scham den Irak verlassen, seine Frau sei mit den Kindern zu ihren Eltern gezogen. Es gab Morddrohungen. "Mit seinen Aktionen tut er uns keinen Gefallen“, sagt ein Passant wütend, als er die Konversation mithört. "Wir sind sowieso schon unter Druck, das brauchen wir nicht auch noch.“ 

Die Koranverbrennung in Schweden sorgte in vielen islamischen Ländern für Wut und Empörung.
Die Koranverbrennung in Schweden durch den Iraker Salwan Momika sorgte in vielen islamischen Ländern für Wut und Empörung. Abtrünniger, Irrer, Verwirrter: So bezeichnen die Menschen in Karakosch ihren verlorenen Sohn. (Foto: ARIF ALI/AFPGetty Images)

Eine Hochzeit wird zur Tragödie

Jetzt will Schweden Momika ausweisen, womöglich zurück in den Irak, wenn sich kein anderes Land findet, das ihn aufnimmt, so der Sprecher der Migrationsbehörde in Stockholm. Im Irak aber riskiert er, von einer aufgebrachten muslimischen Menge gelyncht, von schiitischen Hardlinern inhaftiert, gefoltert und sogar ermordet zu werden. Der Mann aus Karakosch hat Berufung gegen den Bescheid der Migrationsbehörde eingelegt.   

Die Festhalle steht in der Nähe der syrisch-orthodoxen Sankt Behnam und Sarah Kirche im Zentrum der Stadt, in deren markante Kirchtürme rote Kreuze ins Mauerwerk eingelassen sind, die nachts angestrahlt werden. Erst ein Jahr ist es her, dass das Gotteshaus wiedereröffnet wurde, nachdem der IS es völlig zerstört hatte. 

Karakosch war drei Jahre lang unter der Kontrolle der Dschihadisten und Teil des Kalifats, das der IS im Nordirak und im Nordosten Syriens errichtete. Zwar konnten fast alle Einwohner der Christenstadt fliehen, als die brutalen Extremisten im August 2014 auf die Stadt vorrückten, aber die IS-Kämpfer besetzten ihre Häuser, plünderten das Inventar und ließen bei ihrem Rückzug verbrannte Erde zurück. 

Der Wiederaufbau nach 2017 ließ oft keine Sorgfalt im Umgang mit Baustoffen zu, das Geld war knapp und Sicherheitsvorschriften wurden ignoriert. Brände in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden sind deshalb keine Seltenheit. Auch bei der Errichtung der Festhalle in Karakosch wurden billige Baustoffe verwendet, die Plastikdekoration an der Decke fing schnell Feuer und verwandelte eine Hochzeitsfeier Ende September in ein Inferno. Über 100 Tote und über 200 Verletzte sind bestätigt. Die Halle ist völlig ausgebrannt und blieb als verkohltes Mahnmal zurück.

Noury in seinem neuen Supermarkt in Karakosch, Irak.
Noury in seinem Supermarkt in Karakosch. Nourys Wohnhaus, sein Laden, alles war niedergebrannt - 70 Prozent aller Gebäude. 40.000 US-Dollar habe ihn der Wiederaufbau gekostet, sagt der Mittvierziger und zeigt stolz seine Waren. Sein Supermarkt ist einer der besten in der Stadt. (Foto: Birgit Svensson)

Verbrannte Erde

Das Fegefeuer höre nicht auf, reagiert Noury auf die neuerliche Brandkatastrophe in Karakosch, das die Araber Hamdaniya nennen und die Einheimischen Baghdida. Das ist aramäisch, Karakosch ist türkisch. Auch Daesh, wie sie den IS hier nennen, habe alles verbrannt, als die Terrortruppe abrückte. Nourys Wohnhaus, sein Laden, alles war niedergebrannt - 70 Prozent aller Gebäude. 40.000 US-Dollar habe ihn der Wiederaufbau gekostet, sagt der Mittvierziger und zeigt stolz seine Waren. Sein Supermarkt ist einer der besten in der Stadt. 

Man bekommt hier alles, ohne Einschränkungen. Internationale Organisationen hätten geholfen, vor allem aus dem Westen. Er selbst habe keine Aufbauhilfen bekommen, weil die Antragsstellung so kompliziert war. Aber diejenigen, die Formulare ausfüllen und Anträge schreiben konnten, hätten reichlich abkassiert. Manche hätten die Situation voll ausgenutzt, einen Laden eröffnet, schöne Fotos an die Geldgeber geschickt und dann das Geschäft für einen hohen Preis weiterverkauft. Noury nennt das Korruption. 

Anfang September hat das Oberste Gericht des Irak entschieden, dass das Alkoholverbot, im Frühjahr vom Parlament für das gesamte Land beschlossen, rechtswirksam sei. Die Klage christlicher Abgeordneter wurde abgeschmettert. Im Irak sind die Produktion und der Verkauf von Alkohol einzig Nicht-Muslimen gestattet. Vor allem für die Christen wurde dies zur Lebensgrundlage. Noch ein Dämon für Karakosch.  

Erst die Hälfte der Einwohner ist zurück

Es ist überliefert, dass das Christentum um das Jahr 400 in die Nineve-Ebene kam und auch nach Baghdida, das ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Mossul und der Kurdenmetropole Erbil liegt. Eine erste Erwähnung als Ort mit christlichen Einwohnern gibt es im 7. Jahrhundert. 400 Jahre später kamen zahlreiche Flüchtlinge aus Tikrit hierher, die dort der Zwangskonversion zum Islam entgehen wollten. 

Die syrisch-orthodoxen Kirchen verfestigten sich. Nach der US-Invasion 2003 wurden die Christen in Mossul, in der Nineve-Ebene, aber auch in Bagdad zum Ziel islamistisch-terroristischer Gruppen. Karakosch verdoppelte seine Einwohnerzahl von ursprünglich 20.000 auf über 40.000 und wurde zum sicheren Hafen für die Christen im Irak. Bis der IS kam.

Mathi, der eigentlich Matthias heißt, hat alles dokumentiert. Der Journalist und Fotograf hat ein Archiv eröffnet, in dem er Fotos aus allen Zeitepochen aufbewahrt. Jedes Haus hat einen Code bekommen, um aufzuzeigen, wie es vor dem IS und nach den Dschihadisten ausgesehen hat. Bis jetzt, weiß Mathi, sind erst die Hälfte der Einwohner Baghdidas zurückgekehrt: 25.000. Die Anderen seien in die USA, nach Kanada, Australien oder Europa ausgewandert. Und der Trend, die Stadt und den Irak zu verlassen, hält an. Seit 2003 haben Zweidrittel der Christen ihre Heimat verlassen. Man kann von einem Exodus sprechen.  

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Der Daesh-Markt in Mossul

"Die Dschihadisten haben unsere Sachen auf dem Daesh-Markt in Mossul verkauft und zu Geld gemacht“, erzählt Mathi. Auf der Farm, die jetzt sein Sohn Mikael betreibt, sei kein Tier mehr gewesen, als die Familie aus dem Exil im Libanon zurückkam, 800 Olivenbäume seien niedergebrannt worden. Ganz langsam baue er alles wieder auf, züchte Kälber, Gänse, Hühner. Doch ernähren könne er die Familie davon noch nicht, sagt Mikael und zeigt auf das wenige Tierfutter, das er kaufen konnte. Geld erwirtschaften zurzeit die Mutter und die Schwestern mit ihrem Friseursalon.  

Zurück an der Kirche Sankt Behnam und Sarah, wo noch immer ein Pfeiler im Vorgarten zerstört ist und man überlegt, ob man ihn als Zeitzeuge so belässt. Vor dem Eingangstor ein Wächterhäuschen. Auf der Uniform des stämmigen Mannes ist ein Logo aufgenäht, das einer Erklärung bedarf. "Christenmiliz“, sagt er leise, "die von Kildani, Babylon Brigade“. Er habe aber auch noch ein anderes. 

Aus der Brusttasche zieht der Milizionär ein zweites Logo, das dem der Assyrischen Demokratischen Partei gleicht und ein Auge mit Flügeln darstellt. Schräg gegenüber der Kirche ist das Büro der Christenpartei. Emad Babawi trinkt Tee und schaut sorgenvoll. 2015 hätte sich die Miliz NPF (Kräfte der Nineve-Ebene) gegründet, um gegen Daesh zu kämpfen. Der damalige Parlamentsabgeordnete Yonadam Kanna habe sie ins Leben gerufen. Er wollte eine unabhängige Christenmiliz, die nicht mehr wehrlos den Dschihadisten ausgeliefert sei. 

600 Männer hätten sich so zusammengefunden. Doch nun kam einer, Rayan al-Kildani, und habe die Miliz gekidnappt, habe ihre Köpfe ausgewechselt, den Milizionären mehr Geld geboten und sie fest in den Verbund der Schiitenmilizen PMF eingegliedert. Diese wurden vom schiitischen Ajatollah ins Leben gerufen, um die heiligen Stätte der Schiiten zu schützen und gegen Daesh zu kämpfen. Nachbar Iran bildete sie aus und gab ihnen Sold.

"Die Frage ist jetzt für oder gegen Iran“, kommentiert Babawi die neuerliche Entwicklung. Auf der anderen Seite stünden die Kurden, die ebenfalls um die Gunst der Christen buhlen und ihnen mehr politischen Einfluss versprechen, sollten sie sich auf die kurdische Seite schlagen. "Wir aber wollen unabhängig bleiben“, beschwört der Chef der Assyrerpartei in Karakosch flehentlich, "sonst verlieren wir das Blut unserer Leute“. Die Dämonen in Karakosch treiben weiter ihr Unwesen. 

Birgit Svensson

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