Hoffen auf die Reformer

Im Kampf gegen al-Qaida kann das Land am Golf von Aden zwar auf internationale Unterstützung bauen. Doch Jemens Reformpolitiker kritisieren, dass dabei die vielen anderen Konflikte des Landes kaum mehr Beachtung finden. Klaus Heymach informiert.

Sicherheitskräfte und verschleierte Frauen in Sanaa; Foto: AP
Angst vor extremistischer Gewalt und al-Qaida-Terror: Seit dem vereitelten Flugzeug-Attentat von Detroit wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Jemen landesweit drastisch verschärft.

​​ "Al-Qaida, al-Qaida", seufzt Abu Bakr Badheeb. "Hier reden alle nur von al-Qaida. Dabei haben wir doch ganz andere Probleme im Jemen."

Der sozialistische Oppositionspolitiker ist zu Besuch in Berlin. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung informiert er sich zusammen mit einer Delegation von Kollegen aus Sanaa über Föderalismus, Rechtsstaat und Demokratie. Doch wen er auch in Berlin trifft: Alle wollen nur über die Terroristen in Südarabien sprechen.

Nur ein Problem unter vielen

"Al-Qaida ist natürlich ein gefährliches Problem", räumt der 69jährige ein. "Aber es ist wirklich nicht das einzige Problem in unserem Land. Es ist noch nicht einmal das wichtigste." Die anhaltenden Proteste im Südjemen, die schlechte wirtschaftliche Lage, den Bürgerkrieg im Norden des Landes und die wachsende Armut zählt Badheeb auf. "Ich fürchte, wenn man die Aufmerksamkeit zu sehr auf al-Qaida beschränkt, dann wird vieles andere nicht mehr beachtet."

Präsident Saleh; Foto: AP
Alle Macht dem Präsidenten: Je länger der seit 1978 amtierende Ali Abdullah Saleh regiert, desto entschlossener scheinen er und seine Leute an der Macht festzuhalten.

​​ Badheeb ist stellvertretender Generalsekretär der Sozialisten, einer Partei, die im vereinigten Jemen nicht mehr viel zu sagen hat. In Aden, der ehemaligen Hauptstadt des einst sozialistischen Südens, arbeitet er als Chefredakteur der Parteizeitung "Al-Thauri". Wenn seine Redakteure darüber berichten, wie die Südjemeniten gegen die Einheit demonstrieren, dann landen sie im Gefängnis.

Vor 20 Jahren schlossen sich die beiden jemenitischen Landesteile zu einer Republik zusammen. Doch bis heute fühlen sich viele im Süden benachteiligt, die Forderungen nach einer Abspaltung werden immer lauter.

Politische Reformen sind überfällig

Das sei eine viel größere Gefahr für die Stabilität als der Terrorismus, findet Badheeb. "Hilfe und Unterstützung von außen, die unserem Land wirklich nutzen sollen, müssen auch die Ursachen unserer Probleme mit einbeziehen", sagt der Sozialist.

Entscheidend sei es, die Entwicklung der Demokratie voranzubringen und politische Reformen durchzusetzen. "Ohne solche Schritte wird man auch das Problem mit al-Qaida nicht lösen können."

Politische Reformen, mehr Macht für die Regionen und faire Wahlen verspricht die Regierung in Sanaa schon seit Jahren. Doch je länger der seit 1978 amtierende Staatspräsident Ali Abdullah Saleh regiert, desto entschlossener scheinen er und seine Leute an der Macht festzuhalten.

Korruption und Misswirtschaft nehmen zu, und die Armut im Land steigt. Dass es mit mehr Entwicklungshilfe allein deshalb nicht getan sei, davon sind viele in Sanaa überzeugt.

"Wir wollen Veränderungen!"

Internationale Unterstützung müsse dem Land bei einer besseren Regierungsführung helfen, sagt auch Mohammed Qubaty, der dem Reformflügel des regierenden Volkskongresses angehört.

Kampf an mehreren Fronten zugleich: In der Provinz Saada kämpfen seit mehreren Jahren Anhänger der zaiditischen Gelehrtenfamilie al-Huthi gegen die Zentralmacht in Sanaa.

​​ "Wir wollen Veränderung", beteuert der in Großbritannien ausgebildete Arzt. "Wir kämpfen gegen Korruption, Ineffizienz und Zentralismus. Aber innerhalb des Regimes wird offen darüber gestritten, wie groß diese Veränderung sein kann." Viele Scheichs oder Militärs würden niemals freiwillig Macht abgeben, räumt Qubati ein. "Sie haben zu viele persönliche Interessen."

Solche Interessen behindern die Entwicklung des verarmten Landes und schmälern den Rückhalt der Regierung im Volk – ein fruchtbarer Nährboden für Terroristen, Separatisten und Aufständische zugleich.

Wie im nördlichen Grenzgebiet zu Saudi-Arabien, wo seit Jahren ein Bürgerkrieg mit schiitischen Rebellen tobt. Mit aller Härte gehen die Streitkräfte gegen die Aufständischen vor, mehr als 200.000 Menschen sind auf der Flucht. Doch die Rebellen haben großen Rückhalt in der Bevölkerung, weil auch hier viele mit der Zentralmacht unzufrieden sind.

Militärisch nicht zu lösen

Militärisch sei keines der Probleme im Jemen zu lösen, sagt Mohammed Qahtan aus der Führung der von Islam und Stämmen geprägten "Islah"-Partei.

"Eine wirkliche Lösung muss politisch sein und die Einheit stärken." Der Regierung wirft Qahtan vor, die Fundamentalisten aus dem Umfeld von al-Qaida lange instrumentalisiert zu haben, um damit seine Gegner zu provozieren und eigene Ziele durchzusetzen. "Al-Qaida wurde erst durch das Regime groß. Jetzt ist es ein Problem, das gelöst werden muss."

Das gehe nur durch Reformen und Dialog, darin sind sich Sozialisten und Konservative einig. Nur wenn die Clans und Stämme die Regierung akzeptierten und wenn es den Menschen wieder besser gehe, dann würden auch die Terroristen an Zulauf verlieren.

Die neue internationale Aufmerksamkeit könne dabei durchaus helfen, indem sie die Reformer in Sanaa unterstütze, sagt der Regierungspolitiker Qubati.

"Ich hoffe, wir verpassen diese Chance nicht", appelliert er an die internationale Gemeinschaft und an seine Parteifreunde zugleich. "Sonst werden die Herausforderungen zur Krise, und die Krise wird zu einer Katastrophe."

Klaus Heymach

© Deutsche Welle 2010

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