Den Staat vor sich selbst schützen

Der Jemen ist neben Afghanistan und Pakistan zu einem globalen Sicherheitsrisiko geworden. Das Land wird zunehmend als gescheiterter Staat der Zukunft und als Basis für al-Qaida gesehen. Ein Essay von Mai Yamani

Islamistinnen in Sanaa; Foto: AP
Das streng religiöse Dogma des Wahhabismus, der aus Saudi-Arabien in den Jemen kam, findet immer mehr Gehör in dem politisch instabilen Land am Golf von Aden.

​​Der junge Nigerianer, der Weihnachten ein Flugzeug nach Detroit in die Luft sprengen wollte, war von al-Qaida im Jemen ausgebildet worden. Das hat dem Westen die Augen für die Probleme des Landes geöffnet.

Nach dem gescheiterten Anschlag setzten sich US-Präsident Obama und der britische Premierminister Gordon Brown gemeinsam für eine Konferenz in London ein, auf der Lösungen für die bisher unbeachtete Krise im Jemen gefunden werden sollen.

Aber wenn sich die Konferenz zu sehr auf die Präsenz von al-Qaida im Jemen konzentriert, wird dies mehr Schaden anrichten als nützlich sein. Stattdessen sollte die Konferenz ihr Augenmerk auf die politische und soziale Stabilität im Jemen richten.

Al-Qaida ist nicht die größte Gefahr für die Sicherheit und Stabilität im Jemen, aber die geographischen und politischen Probleme des Landes passen gut zum Profil der Terrororganisation.

Der Jemen vor einer Zerreißprobe

Besonders attraktiv ist das strenge religiöse Dogma des Wahhabismus, der aus Saudi-Arabien in den Jemen kam und jetzt einen Nährboden für die Rekrutierung von unzufriedenen jungen Jemenitern für Anschläge auf Saudi-Arabien bildet.

Der Jemen hat hauptsächlich zwei Probleme: den Bürgerkrieg, den die Regierung gegen die al-Huthi-Bewegung im Norden führt, sowie die Unterdrückung einer sezessionistischen Bewegung im Süden. Die Unfähigkeit der jemenitischen Regierung, eine politische Lösung für diese Probleme zu finden, stellt den Jemen vor eine Zerreißprobe.

Jemens Premier Ali Mohammed Mujur gemeinsam mit Gordon Brown; Foto: AP
Auf der Konferenz in London berieten am 27.1. Vertreter aus 21 westlichen und arabischen Ländern, wie der Jemen im Anti-Terror-Kampf besser unterstützt werden kann: Jemens Premier Ali Mohammed Mujur gemeinsam mit Gordon Brown

​​Bisher sieht es so aus, als sähen Obama und Brown nicht, dass die Probleme des Landes weit über die Präsenz von al-Qaida hinausgehen, und so scheint es, als spielten sie dem jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih in die Hände.

Salih will die Londoner Konferenz nutzen, um sich der Unterstützung des Westens zu vergewissern, besonders auch der militärischen Unterstützung, um seine Kriege gegen die Huthis und die Sezessionisten im Süden weiter zu führen.

Salih hat unter Anführung der Gefahr durch al-Qaida vom Westen und von Saudi-Arabien regelmäßig zusätzliche Finanz- und Sicherheitsunterstützung erhalten. Für ihn war der versuchte Anschlag am 25. Dezember ein Geschenk des Himmels.

Unerwünschte Einmischung

Salihs Dilemma ist, dass die westliche Hilfe jetzt mit einer zunehmenden Einmischung in die internen Angelegenheiten verknüpft sein wird, zu einem Zeitpunkt, zu dem er die internationale Aufmerksamkeit nicht auf die Bürgerkriege im Land richten will.

Armee schießt auf Huthi-Rebellen in Saada; Foto: dpa
"Salihs wahre Feinde": Einheiten der jemenitischen Armee schießen auf Huthi-Rebellen in der nördlichen Unruheprovinz Saada an der Grenze zu Saudi-Arabien.

​​Der Westen und Salih haben nicht denselben Feind. Al-Qaida ist der Feind des Westens, während Salihs wahre Feinde die Huthis und die Separatisten im Süden sind.

Aber wenn der Westen die Aktivitäten von al-Qaida im Jemen in den Griff bekommen will, muss er Salih dazu bringen, sich sowohl mit den Huthis als auch mit den Aufständischen im Süden zu arrangieren, und das bedeutet, dass er ihnen Macht abgeben muss. Salih wird sich derartigen Bestrebungen mit Sicherheit widersetzen.

Die starre Position des Präsidenten

Vergangenen Dezember hat Salih zu einem nationalen Dialog aufgefordert, aber unter seinen Bedingungen: Die Huthis und die Anführer der Aufständischen im Süden dürfen an den Diskussionen erst teilnehmen, wenn sie die jemenitische Verfassung anerkennen, die Salih seit Jahrzehnten im Amt hält. Aber die unbeugsame Haltung von Salih verfehlt ihr Ziel. Mehr als die Hälfte des jemenitischen Territoriums ist bereits außerhalb der Kontrolle der Regierung.

Die USA dürfte all dies nicht überraschen, denn die Amerikaner sind nicht erst seit gestern im Jemen aktiv. Seit der Bombardierung der USS Cole im Hafen von Aden im Jahr 2000 steht al-Qaida auch im Jemen im Fadenkreuz. Im vergangenen Dezember töteten Raketenangriffe durch US-Drohnen in Abyan und Shabwah sowohl al-Qaida-Mitglieder als auch Zivilisten.

Jemens Präsident Ali Abdullah Salih; Foto: AP
Salihs Dilemma ist, dass die westliche Hilfe jetzt mit einer zunehmenden Einmischung in die internen Angelegenheiten verknüpft sein wird, schreibt Mai Yamani

​​Die Bekämpfung von al-Qaida im Jemen mit diesen Mittel mag den Terrorismus vorübergehend reduzieren, wird ihn aber langfristig nicht wirkungsvoll bekämpfen. Die wirklich wichtige Frage ist, ob der Westen die verfehlten politischen und militärischen Strategien des Jemens angehen wird, die an der Wurzel der sich überall ausbreitenden Präsenz von al-Qaida liegen.

Es wird nur eine Chance geben, al-Qaida aufzuhalten: wenn die westliche Intervention darauf abzielt, den jemenitischen Staat vor sich selbst zu schützen.

Exporteure des Wahhabismus

Und es ist nicht nur der Jemen, der Fehler gemacht hat, seine Nachbarn haben ebenfalls eine Rolle gespielt. Saudi-Arabien hat sowohl den Wahhabismus als auch al-Qaida in den Jemen exportiert, indem es tausende von Koranschulen finanziert, in denen Fanatismus auf dem Lehrplan steht.

Überdies werden seit dem Golfkrieg von 1991 jemenitische Arbeiter aus Saudi-Arabien und Kuwait ausgewiesen. Allein im vergangenen Monat wurden 54.000 jemenitische Arbeiter aus Saudi-Arabien abgeschoben.

Obwohl der Jemen geographisch zur arabischen Halbinsel gehört, wurde er aus dem Golf-Kooperationsrat ausgeschlossen, vor allem aufgrund seiner Größe: es ist der bevölkerungsreichste Staat auf der Halbinsel und hätte einen zu großen Einfluss gewonnen. Der Jemen hat tatsächlich eine größere Bevölkerung als alle anderen sechs Mitgliedsstaaten zusammen.

Salih wurde vom Golf-Kooperationsrat für seine internen Kriege unterstützt. Und Saudi-Arabien war in direkte militärische Auseinandersetzungen mit den Huthis involviert, als die saudische Armee die Grenze zum Jemen überschritt. Aber die Weigerung der Ratsmitglieder, ihre Volkswirtschaften, die fast immer Wanderarbeiter brauchen, den jungen Männern aus dem Jemen zu öffnen, ist kurzsichtig.

Die USA und Großbritannien, beides Schutzherren des Golf-Kooperationsrats, müssen diesen davon überzeugen, den Jemen aufzunehmen, wenn sie die Probleme des Landes lösen wollen. Jemeniten sind als Facharbeiter bekannt. Der Import von jemenitischen Arbeitskräften anstatt des Exports von Radikalismus könnte die Probleme des Jemens neutralisieren.

Die Londoner Konferenz könnte sich für den Westen als Falle erweisen oder als der Anfang einer wirklichen innenpolitischen Reform, die verhindern kann, dass der Jemen ein zweites Afghanistan wird.

Wenn der Westen Salih dessen Version eines Krieges gegen al-Qaida abnimmt, wird er in die Falle laufen, ihn und seine gescheiterte Politik zu unterstützen. Aber wenn der Westen über den Terrorismus hinaus die Wurzel des Übels im Auge behält und Druck auf Salih ausübt, damit er seine Macht teilt, wird aus dem Jemen kein zweiter Zufluchtsort für Terroristen.

Mai Yamani

© Project Syndicate 2010

Übersetzt aus dem Englischen von Eva Göllner-Breust

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