Die Wahrheit kann Leben kosten

Im Bürgerkriegsland Syrien haben weder Regime noch Dschihadisten Interesse an freier Medienberichterstattung. Wer sich dort auf journalistische Wahrheitssuche begibt, benötigt sehr viel Mut, schreibt die syrische Autorin Samar Yazbek.

Von Samar Yazbek

Meinungsfreiheit bedeutet für mich persönlich alles im Leben. Sie entscheidet über mein Leben - und über mein Schicksal. Sich der Realität stellen, über Fakten zu berichten, so wie sie sind: Es gibt keine Möglichkeit der Selbstverteidigung in Syrien - außer mit freien Worten, unabhängiger Meinung und mit Fakten. Mein Leben ist Teil dieser Freiheit. Meinungsfreiheit bedeutet für mich meine ganze Existenz. Ich schreibe durch sie. Sie ist mein Gewissen, mein Verhältnis zu Gerechtigkeit, zur Schönheit und Zukunft der Menschlichkeit.

Meinungsfreiheit ist aber, in einer schwierigen Lage wie in Syrien, auch eine schwere Bürde. Sie bedeutet Gefahr. Denn die Methoden, die das Regime von Baschar al-Assad bei der Unterdrückung der Freiheiten verfolgt, beschränken sich nicht nur auf das direkte Töten. Es gibt auch eine Art immaterielles Töten.

Jeder Journalist oder Autor möchte die Wahrheit ans Licht bringen. Für eine Frau in der arabischen Welt war dies schon immer schwer. Ich weiß genau, wie viel Mut und Risikobereitschaft die Wahrheitsfindung erfordert. Ein Teil dieser Risikobereitschaft ist meine Freiheit, mich in meinem Leben zu einem bestimmten Standpunkt zu bekennen. Wenn man jedoch für eine Information mit seinem Leben bezahlen muss, dann wirft die Freiheit des Informationszugangs große Fragen auf, die weit über professionelle journalistische Arbeit hinausreichen.

Manipulation der Medien

Samar Yazbek. Foto: Manaf Azzam
Samar Yazbek weiß, wie viel Risikobereitschaft "die Wahrheitsfindung erfordert". In Syrien wird die öffentliche Berichterstattung fast grundsätzlich vom Assad-Regime manipuliert oder durch dschihadistischen Gruppierungen gewalttätig unterdrückt.

In Syrien herrscht eine komplizierte und schwierige Situation. Informationsbeschaffung trifft auf eine Realität, vertreten durch das diktatorische Assad-Regime, in der Medien manipuliert und Fakten über das, was dieses Regime dem syrischen Volk antut, verzerrt werden. Als die Syrer 2011 friedlich für Demokratie und Gerechtigkeit demonstrierten, wurden sie vom Assad-Regime massenhaft verhaftet und getötet. Vier blutige Jahre später, nachdem diese friedliche Revolution in einen bewaffneten regionalen und internationalen Konflikt mündete und den "Islamischen Staat" (IS) gebar, fehlen Wahrheit und journalistische Information noch mehr. Dschihadistische Gruppierungen, die Syrien infiltrieren, verüben Gewalt und unterdrücken das Volk in einer Art, die nicht weniger gefährlicher ist als die des Regimes, das Journalisten und Aktivisten daran hindert, über die Tatsachen des Konflikts zu berichten.

Zugleich werden die Menschen in Gebieten unter der Kontrolle des Regimes weiter unterdrückt und die Berichterstattung manipuliert. Das Regime will auf diese Weise sein Image verbessern und seine Verbrechen und Massaker rechtfertigen. In der jetzigen 'Kriegsgesellschaft' ist es zudem schwer, sich in Gebiete unter Kontrolle religiöser bewaffneter Gruppen wie dem IS oder der Al-Nusra-Front zu begeben. Die Entführung von Journalisten ist längst zu einer lukrativen Einnahmequelle für diese Gruppen geworden.

Entführung von Journalisten als Einnahmequelle

Trotz dieser schwierigen Lage gibt es weiterhin mutige syrische Aktivisten, die den Prinzipien ihrer Revolution treu bleiben und versuchen, die Arbeit trotz bewaffneter Dschihadisten und der Bombardierung ganzer Wohnviertel durch Assads Luftwaffe fortzusetzen. Viele solcher Aktivisten haben dafür mit dem Leben bezahlt, entweder durch Bombardierung oder durch die Schwerter des IS. Sie werden weniger, jeden Tag.

Ich habe selbst solche Erfahrungen gemacht, 2012 und 2013 in der nordsyrischen Provinz Idlib. Dort führte ich Interviews mit Zivilisten und Kämpfern. Es fiel mir dort allerdings äußerst schwer, mich zu verkleiden oder anonym zu bewegen, alleine schon wegen der ständigen Bombardierung. Ich habe gesehen, wie schwierig es für normale Bürger ist, überhaupt zu überleben. Geschweige denn über die Geschehnisse dort zu berichten.

Das ist sehr schwierig. Jede Information und jede Nachricht könnte man am Ende mit dem Leben bezahlen. Im heutigen Syrien stehen alle Nachrichten und alle Informationen unter dieser Bedingung.

Samar Yazbek

© Qantara.de 2015

Samar Yazbek, geboren 1970 in der syrischen Stadt Daschbla, ist eine preisgekrönte Buchautorin und Journalistin. Nach politischer Verfolgung durch den syrischen Geheimdienst lebt sie seit Juni 2011 im Exil in Frankreich. Auf Deutsch erscheint in Kürze ihr Buch "Die gestohlene Revolution - Reise in mein zerstörtes Syrien".