Der Siegeszug der Huthi-Rebellen

In einer bislang beispiellosen Machtdemonstration hat die Rebellengruppe der Huthis in den vergangenen Tagen eine Neubildung der jemenitischen Regierung erreicht, zentrale politische Akteure in die Flucht geschlagen und die politische Schwäche von Präsident Hadi offenbart. Eine Analyse von Marie-Christine Heinze

Von Marie-Christine Heinze

Im Jemen beginnt eine neue Zeitrechnung. Vergangenen Sonntag ist nach der zeitweisen Übernahme von Ministerien und anderen zentralen Einrichtungen durch die Huthis in der Hauptstadt Sanaa und mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens eine Ära zu Ende gegangen: Teile der politischen Eliten, die den Jemen seit der Revolution gegen das Imamat im Nordjemen in den 1960er Jahren dominierten und die auch die Umbrüche von 2011 nicht hatten stürzen können, sind geschwächt oder vertrieben.

Ob nun für den Jemen eine bessere Zeit anbricht, ist noch nicht klar, jedoch ist die generelle Stimmung im Lande um ein Vielfaches hoffnungsvoller, als sie es noch vor einer Woche war. Hierfür gibt es verschiedene Gründe:

Das "Abkommen für Frieden und Nationale Partnerschaft", welches am Sonntagabend (21.09.2014) in Gegenwart des UN-Sondergesandten Jamal Benomar unterzeichnet wurde, sieht unter anderem die Ernennung eines neuen Premierministers vor, nachdem der als schwach geltende Premier Ba Sindwa gemäß Forderungen der Huthis zurückgetreten war. Eine Technokraten-Regierung soll darüber hinaus innerhalb eines Monats ernannt werden; bis dahin wird die alte Regierung die Amtsgeschäfte führen.

Während der neue Premier möglichst eine neutrale, von allen Seiten akzeptierte Persönlichkeit sein soll, ist geplant, die zukünftigen Kabinettsmitglieder auf der Basis von Empfehlungen aller wichtigen sozio-politischen Gruppierungen zu ernennen. 15 Tage nach Unterzeichnung des Abkommens muss der Präsident den Schura-Rat erweitern, alle politischen Akteure müssen sich an der Vorbereitung von Wahlen beteiligen.

Umsetzung der Beschlüsse der Nationalen Dialogkonferenz

Die neue Regierung muss vor allem die Empfehlungen der Ende 2014 zu Ende gegangenen Nationalen Dialogkonferenz (NDK) umsetzen. Weitere Reformen beinhalten außerdem die teilweise Wiedereinführung der Energiesubventionen, die Ende Juli von der bisherigen Regierung abgeschafft worden waren. Im schrittweisen Gegenzug für die Einhaltung des Abkommens sollen die Huthis dann ihre Camps in und um Sanaa herum abbauen.

Unterzeichnung des Friedensvertrages durch Hussein al-Ezzi (Mitte) mit dem UN-Sonderbeauftragtem Jamal Benomar (2.v.r.) am 21. September 2014; Foto: Reuters/M.al-Sayaghi
Das „Abkommen für Frieden und Nationale Partnerschaft“, das am Sonntagabend (21.09.2014) in Gegenwart des UN-Sondergesandten Jamal Benomar (Bildmitte) unterzeichnet wurde, sieht unter anderem die Ernennung eines neuen Premierministers vor, nachdem der als schwach geltende Premier Ba Sindwa gemäß Forderungen der Huthis zurückgetreten war.

Ein Annex zum Abkommen sieht darüber hinaus die Lösung von Konflikten in den Regierungsbezirken nördlich von Sanaa und die teilweise Entwaffnung aller Konfliktparteien im Bezug auf schwere und leichte Waffen vor. Er wurde jedoch nicht von den Huthis unterzeichnet und verweist damit auf die machtpolitischen Bestrebungen der Huthis im Norden des Landes.

Die im Abkommen selbst vorgesehene teilweise Wiedereinführung der Energiesubventionen, die forcierte Umsetzung der NDK-Empfehlungen sowie die Kabinettsumbildung kann hingegen zumindest zum Teil die hoffnungsvolle Atmosphäre in Sanaa erklären.

Der seit Dezember 2011 die Amtsgeschäfte führenden Regierung der Nationalen Einheit, die sich aus ehemaliger Regierungspartei und Oppositionskoalition aus der Zeit vor 2011 zusammensetzte, war es nicht gelungen, sich über die eigenen Grabenkämpfe hinaus wirksam für die notleidende Bevölkerung einzusetzen.

Die Kürzung der Energiesubventionen Ende Juli setzte daher das völlig falsche Signal – auch wenn dies ein wichtiger und richtiger Schritt war, da die Subventionen hauptsächlich eine kleine Elite bereicherten. Mit der Neuordnung der als unfähig empfundenen Regierung und der teilweisen Wiedereinführung der Subventionen ist es den Huthis gelungen, sich als positive neue Kraft in der politischen Landschaft des Jemen darzustellen.

Hinzu kommt darüber hinaus, dass es den Huthis gelungen ist, wichtige Eliten aus der Salih-Ära, die sich 2011 auf die Seite der "Revolution" geschlagen und somit eine tatsächliche Revolution verhindert hatten, zu schwächen bzw. zu vertreiben.

Spektakuläre militärische Siege und kluges Taktieren

Bereits in den vergangenen Monaten war es den Huthis gelungen, durch spektakuläre militärische Siege und kluges Taktieren etablierte politische Akteure zu düpieren und damit politisch zu schwächen. Dies gilt allen voran für die al-Ahmar Familie, deren Heimatregion im nördlich von Sanaa gelegenen Regierungsbezirks Amran im vergangenen Monat von den Huthis erobert wurde.

Die Schwächung dieser Familie, die seit Jahrzehnten zu den einflussreichsten im Norden des Landes zählt und die den höchsten Stammesführer der Hashid stellt, hat auch für die größte ehemalige Oppositionspartei des Landes, die Islah-Partei, schwerwiegende Konsequenzen. In ihr vereinigen sich Muslimbrüder, Salafis, Geschäftsleute und einflussreiche Stammesangehörige und seit Dezember 2011 stellt die Islah etwa die Hälfte der Ministerien in der Regierung.

General-Ali-Muhsin-bei-Gespräch-mit-arabischen-u-ausländischen-Botschaftern-über-Lage-im-Jemen-18.dez.2011_picture-alliance_dpa
Im Visier der Huthi-Rebellen: General Ali Muhsin führte von 2004 bis 2010 den Krieg gegen die Huthis in Sa’da, schlug sich 2011 auf die Seite der ‚Revolution‘ und galt seitdem als wichtige militärische Stütze von Präsident Hadi und der Islah-Partei.

Die Schwächung der Muslimbrüder in Ägypten war jedoch ein erster schwerer Schlag für die in der Islah-Partei vereinigten jemenitischen Muslimbrüder. Vor Kurzem hatte außerdem Saudi-Arabien, das lange als Unterstützer sunnitisch-islamistischer Akteure im Jemen fungierte und die Islah in den letzten Jahren als Bollwerk gegen die schiitischen Huthis unterstützte, aus Angst vor dem Einfluss der Muslimbruderschaft im Königreich diese auf die hauseigene Liste terroristischer Organisationen gesetzt.

Mit den Ahmars war der Islah-Partei nun auch noch ihr im politischen System des Landes so wichtiger militärischer Arm in Form von Stammesmilizen geschwächt worden. Diese liefern sich bereits seit 2009 mit den Huthis lokal begrenzte gewaltsame Konflikte über die Vorherrschaft in den nördlichen Gouvernoraten. In Amran hatten die Huthis im letzten August überdies auch noch die mit General Ali Muhsin affiliierte 310. Panzerbrigade militärisch geschlagen.

Abrechnung mit dem Präsidenten und der Islah-Partei

General Ali Muhsin führte von 2004 bis 2010 den Krieg gegen die Huthis in Sa'da, schlug sich 2011 auf die Seite der "Revolution" und galt seitdem als wichtige militärische Stütze von Präsident Hadi und der Islah-Partei.

Vor allem an ihm haben sich die Huthis in den vergangenen Tagen gerächt. Sie übernahmen nicht nur die mitten in Sanaa gelegene Militärbasis der 1. Panzerdivision (genannt "Firqa"), als deren Kommandeur er die Kriege gegen die Huthis seit 2004 führte, sondern plünderten ebenfalls sein Haus in der Hauptstadt. Wo sich Ali Muhsin derzeit aufhält, ist unbekannt.

Ebenfalls geplündert wurde das Haus von Hamid al-Ahmar, dem sicherlich einflussreichsten Mitglied der al-Ahmar Familie, der sich bereits seit einiger Zeit im Ausland aufhält. Im Jemen wird bereits heftig darüber spekuliert, was wohl aus der von Hamid al-Ahmar kontrollierten Telekommunikationsfirma Sabafon wird.

Darüber hinaus haben die Huthis die Kontrolle über die al-Iman Universität übernommen, deren Direktor Abd al-Majid az-Zindani, aus der Stadt geflohen zu sein scheint. Als einflussreicher konservativer sunnitischer Kleriker und Mitglied der Islah-Partei war er durch seine Predigten zentral an der Mobilisierung gegen die schiitischen Huthis in der vergangenen Zeit beteiligt.

Den Konflikt zwischen den in der Islah-Partei vertretenen Muslimbrüdern und Salafis und den Huthis auf einen Konflikt zwischen Sunna und Schia oder gar einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu verkürzen, verfehlt jedoch die Realität.

Zwar war es das ursprüngliche Ziel der Huthis, der politisch und ökonomisch vernachlässigten Region Sa'da sowie der kulturell-religiös marginalisierten schiitischen Ausrichtung des Islam, der Zaydiyya, zu mehr Anerkennung und Mitsprache zu verhelfen, jedoch gehören zentrale Gegner der Huthis der Zayidiyya an ebenso wie sich viele Sunniten unter den Anhängern der Huthis finden.

Kampf um politische Macht und Zugang zu Ressourcen

Im Grunde geht es den Huthis jedoch heute um politische Macht und den Zugang zu Ressourcen, im Kampf um welche sie sich an der libanesischen Hizbollah zu orientieren scheinen. So ist es kein Zufall, dass sie mit der Eroberung der Basis der "Firqa" und der Stürmung der al-Iman Universität ihre Kontrolle über den nördlichen Teil der Hauptstadt gesichert haben; hier haben sie bereits seit 2011 ihr Hauptquartier.

Schiitische Huthi-Rebellen bei einer Demonstration gegen die Regierung in Sanaa am 19. September 2014; Foto: picture-alliance/AP
Zwischen schiitischen Huthis und der Armee kommt es immer wieder zu heftigen Kämpfen, nachdem die Rebellen im Jahr 2004 einen Aufstand begonnen hatten. Hunderte Menschen kamen bereits ums Leben. Erst Anfang August hatten Huthi-Rebellen die Provinzhauptstadt Amran, rund 50 Kilometer nördlich von Sanaa, unter ihre Kontrolle gebracht.

Die Huthis scheinen sich also im Rahmen eines noch auszuhandelnden Proporzes ihren Teil der Macht in einem "neuen Jemen" sichern zu wollen. Dazu zählt mit Sicherheit auch eine erneute Verhandlung über die Aufteilung der Regionen in einem föderalen Jemen. Die im Anschluss an die NDK beschlossene Gliederung kam ihren macht- und identitätspolitischen Interessen nicht entgegen, für die sie in den nördlichen Gouvernoraten auch mit Waffengewalt Fakten schaffen wollen.

Wie sich die Zukunft dieses "neuen Jemen" ausgestalten wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Im Süden des Landes sind jedoch seit Langem zum ersten Mal wieder Stimmen zu hören, die sich nun, nach der Schwächung der verhassten Nordeliten, eine Kooperation mit der "nordjemenitischen" Regierung vorstellen könnten.

Hier wird allerdings auch die Rolle Salihs von Bedeutung sein. Auch wenn die Huthis sich aufgrund alter Feindschaften wohl niemals auf einen Deal mit ihm einlassen würden, so scheint er doch das Seine dafür getan zu haben, dass die Huthis eine solche Demütigung seiner Rivalen erreichen konnten. Dies gilt für die Islah-Partei ebenso wie für Präsident Hadi, der sich in seiner politischen Schwäche bislang auf die Islah und Ali Muhsin gestützt hatte.

Auch wird sich erst zeigen, wie die Islah-Partei und die nun vertriebenen Eliten auf die neue Situation reagieren. Sie haben weiterhin ihre Unterstützer im Lande und werden sich nicht so leicht geschlagen geben.

Insbesondere Ali Muhsin und al-Zindani werden enge Beziehungen in gewaltbereite islamistische Kreise bis hin zu al-Qaida nachgesagt und es steht zu befürchten, dass sie diese für sich instrumentalisieren und so tatsächlich einen Konflikt zwischen Sunna und Schia heraufbeschwören könnten.

Schwierige Zeiten für den "neuen Jemen"

Eine Beteiligung an der Macht – wie nun vorgesehen – wird jedoch auch für die Huthis eine Neuorganisation mit sich bringen. Ihr Erfolg hat sich bislang vor allem auch aus einem Scheitern der bisherigen Regierung, der Angst vor einem Erfolg der Muslimbrüder und dem Hass auf die alten Eliten gespeist. Nun werden sie beweisen müssen, dass sie sich tatsächlich konstruktiv in die Gestaltung eines "neuen Jemen" einbringen können.

Dass dies kein leichter Weg werden wird, zeigte sich bereits zwei Tage nach Unterzeichnung des Abkommens: Einer ihrer wichtigsten Repräsentanten in der Hauptstadt, Ali al-Bukhayti, trat mit den Worten zurück, dass der "neue Jemen" für ihn in weite Ferne gerückt sei.

Genau wie viele andere Mitglieder des moderaten Flügels der Huthis hatte er sich in den vergangenen Tagen und Wochen übergangen und uninformiert gefühlt. Diese Entwicklung innerhalb der Rebellengruppe auf dem Weg zum Regierungsmitglied lässt schwierige Zeiten für den Jemen befürchten.

Marie-Christine Heinze

© Qantara.de 2014

Marie-Christine Heinze ist Islamwissenschaftlerin an der Universität Bonn. Sie leitet ein von der Volkswagenstiftung gefördertes Projekt der Universität und des "Yemen Polling Center" zum Arabischen Frühling im Jemen.