Der ausgesetzte Text

Der 40 Gedichte umfassende Band von Martin Jankowski enthält spannende, meditative Momentaufnahmen einer langen Reise durch die Inselwelten Indonesiens. Jan Valk hat das Buch gelesen.

Von Jan Valk

Ganz unabhängig von seiner jeweiligen Machart und Tendenz beschreibt jeder Reisebericht zunächst eine Geste der Aneignung: Ein Erlebnis der Fremde wird in die eigene Sprache übersetzt. Als Erzähler wird der Reisende zum Kundschafter, der – gewissermaßen stellvertretend für die Daheimgebliebenen – seine Begegnung mit dem Fremden protokolliert. In dieser Hinsicht gleicht das Reisebuch einem Spionagebericht: Es holt das andere ins eigene, um es verfügbar – und damit verwertbar zu machen.

Literarischer Dialog mit der Fremde

Martin Jankowskis "Indonesisches Sekundenbuch" bricht auf eigentümliche Weise mit einer solchen Ökonomie der erzählerischen Aneignung – und das bereits in seiner materiellen Erscheinungsform: Der schmale, kaum 40 Gedichte umfassende Band ist das erste Reisebuch eines deutschen Schriftstellers, das ausschließlich in einem indonesischen Verlag erscheint. Auf diese Weise verkehrt sich die übliche Ausrichtung von Reiseberichterstattung: Der Text adressiert nicht in erster Hinsicht die Angehörigen der eigenen Sprach- und Lebenswelt, sondern sucht von vornherein den Dialog mit eben jener Fremde, die für seine Entstehung verantwortlich gewesen ist.

In den vergangen Jahren hatte Jankowski bereits in unterschiedlichen Kontexten die literarische Auseinandersetzung mit dem indonesischen Sprach- und Kulturraum gesucht. Aus der Begegnung mit dem Dichter Agus R. Sarjono, der zu den bekanntesten Literaturschaffenden im Südostpazifik gehört, entwickelte sich eine intensives poetisches Gespräch über die Erfahrung des Fremden und ihrer literarischen Verarbeitung, das bis heute andauert.

"Detik-detik-Indonesia" – Logbuch einer langen Reise

2003 verbrachte der in Berlin lebende Autor auf Einladung der "Universitas Indonesia" acht Wochen in Jakarta, wo er Gastvorträge über zeitgenössische deutsche Literatur hielt. Im Anschluss an diesen Aufenthalt bereiste er mehrere Monate die indonesischen Inseln. Die Texte, welche "Detik-detik-Indonesia" versammelt, sind eine Auswahl aus den Notizbüchern dieser Zeit; das schmale Logbuch einer langen Reise. Jankowski selbst vergleicht seine lyrische Strategie mit fotografischen Schnappschüssen: "Statt Fotos zu machen, fotografierte ich, wenn es die Hitze zuließ, mit Worten."

Und tatsächlich wirken viele der Texte wie flüchtige Momentaufnahmen, in denen das sprechende Ich fast ganz hinter der Sinnlichkeit der beschriebenen Eindrücke zurücktritt. Trotz der sprachlichen Dichte und einer zum Teil überbordenden Fülle an Farb-, Klang- und Geruchsbildern entfalten die Texte auf diese Weise eine fast dokumentarische Perspektive, die gleichberechtigt das Unauffällige neben das Grelle, das Banale neben das Sakrale treten lässt: "kleine opfergaben aus weihrauch und blüten / auf dem weg zum supermarkt vor dem haus..." Feine, fast meditative Landschaftsbeschreibungen treten jäh neben die Rede von Korruption, Armut, die Zerstörung intakter Natur oder den Verlust alter Traditionen. Immer wieder beschwört Jankowski bunte und exotische Welten um sie nur wenige Verse später mit einer Realität kollidieren zu lassen, die alles andere als paradiesisch anmutet: "...wenn du ein Problem hast, frag / lieber die Gangster, die haben manchmal / noch Ehre im Leib."

Keine Ausstellung exotischer Welten

Und doch ist es weder Zynismus von melancholische Verlustklage, die den Ton dieser Texte bestimmen. "Detik-detik-Indonesia" betreibt keine Archäologie einer besseren, natürlicheren Lebensform in der Fremde. In seinen Gedichten erweist sich Jankowski vielmehr als Meister des Spiels mit dissonanten Klängen, indem er sowohl der eigenen Sehnsucht eine Stimme gibt, als auch der Fremde eine Gegenrede erlaubt: "Hier gibt es die Strände, von denen du träumst" – spricht der Reisende in einem Gedicht. "Deutschland muss schön sein", sagt die Einheimische. "Dort ist es kühl, gibt freie Busspuren, Fahrradwege, Bürgersteige, / und wenn es mal Stau gibt, (...) fährt man mit der Straßenbahn."

"Die Poesie zwing sich nicht auf, sie setzt sich aus", hat Paul Celan einmal geschrieben. Einer ähnlichen Weisung scheint Jankowski in seinen lyrischen Skizzen zu folgen. Das "Indonesische Sekundenbuch" ist alles andere als eine literarische Völkerschau, keine unterhaltsame 'Ausstellung' exotischer Welten. Vielmehr beweist sein Autor den Mut, seine Gedichte dem Urteil dieser Fremde auszusetzen. Und es bleibt zu hoffen, dass "Detik-detik Indonesia" nur ein Auftakt ist, zu einem langen, nicht abreißenden Dialog.

Jan Valk

© Qantara.de 2006

Martin Jankowski: "Indonesisches Sekundenbuch - Detik-Detik Indonesia" Gedichte, deutsch und indonesisch - übersetzt von Katrin Bandel, bearbeitet und hrsg. von Dorothea Rosa Herliany, mit einem Vorwort von Goenawan Mohamad. Verlag Indonesiatera / Magelang (Java), ca. 120 Seiten, ca. 10 €, ISBN 929-775-001-x