Das Spiel mit der Geduld

Mit großer Spannung wurden vor allem im Iran die jüngsten Nuklearverhandlungen verfolgt. Fast schon wie bei Sportevents galt es, dranzubleiben, um bloß nichts zu verpassen. Und doch hieß es am Ende wieder: die Teams müssen in die Verlängerung. Einzelheiten von Adnan Tabatabai

Von Adnan Tabatabai

Der Iran und die Vetomächte des UN-Sicherheitsrats und Deutschland (P5+1) einigten sich am 24. November darauf, das im vorigen Jahr verabschiedete Interimsabkommen bis zum 1. Juli 2015 zu verlängern. Bis dahin soll eine umfassende Einigung – ein sogenannter Comprehensive Joint Plan of Action – erzielt werden. Ein politisches Abkommen hierüber soll bereits bis zum 1. März formuliert werden.

Bis dahin wird der Iran sein Nuklearprogramm weiter zurückfahren. Die Maßnahmen der Forschungs- und Entwicklungsarbeit werden reduziert und keines der neuen produktionsstärkeren IR-5 Zentrifugen in Betrieb genommen. Überdies stimmte Teheran einer ausgeweiteten Inspektion seiner Nuklearanlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zu.

Im Gegenzug bleibt (wenn auch kleiner) Teil der internationalen Sanktionen gemäß des Interimsabkommens weiter suspendiert und Iran erhält monatlich 700 Millionen US-Dollar seines im Ausland eingefrorenen Vermögens zugestellt (insgesamt also 4,9 Milliarden US-Dollar).

Warum genau nicht mehr möglich war, möchten die Außenminister der beteiligten Länder öffentlich nicht konkret kommentieren. Sie sind vielmehr bemüht, den positiven Geist der Gespräche aufrecht zu erhalten, indem sie Verhandlungserfolge und gemeinsame Interessen betonen.

Ohne Zweifel wird ein Knackpunkt der Verhandlungendarin gelegen haben, dass die US-Regierung nicht in der Lage ist, angemessen auf die vom Iran angebotenen Einschränkungen seines Nuklearprogramms zu reagieren. Schließlich fordert der Iran die sofortige Aufhebung der Sanktionen der USA, der Europäischen Union sowie der Vereinten Nationen. Doch vor allem US-Präsident Barack Obama wird dies wohl kaum durch den Kongress bekommen.

Ob dieser Umstand in sieben Monaten leichter zu bewerkstelligen ist, darf bezweifelt werden. Ebenso dürfte es schwieriger werden, für Geduld und Zuversicht zu werben. Trotz der Teilerfolge ist man noch weit von der umfassenden Einigung entfernt.

Das leidige Nukleardossier

Dabei hatte sich besonders in der iranischen Bevölkerung die Zuversicht breit gemacht, man könne am 24. November einen Deal feiern. Anders als in den P5+1-Staaten werden nämlich im Iran die Verhandlungen mit großer Spannung verfolgt. In der Tat war die Hoffnung groß, dass es diesmal klappen würde – hierbei war natürlich der Wunsch Vater des Gedankens.

Ganz gleich aus welcher sozialen Schicht: Man ist den Nuklearstreit leid. Selbst diejenigen, die Irans Nuklearprogramm als "Projekt des Nationalstolzes" und des "Widerstandes gegen die arroganten Westmächte" feiern, sehnen sich den Tag herbei, an dem ihr Land nicht mehr nur ausschließlich aus der Linse des Nukleardossiers betrachtet wird.

Der Weg wäre frei für verbesserte internationale Beziehungen. Mithilfe verbesserter Außenbeziehungen könnte Irans Wirtschaft endlich wieder einen bedeutenden Wirtschaftsaufschwung erleben. Das Sanktionsregime, welches seit jeher das Volk – und nicht so sehr die Politelite – schwerwiegend belastet, würde endlich aufgehoben werden – wenn auch nur schrittweise.

Diese außenpolitische Versöhnung würde einhergehen mit einer Entradikaliserung innenpolitischer Verhältnisse. Schließlich würde die mit genau diesem Vorhaben gewählte Regierung Hassan Rohani aus dem Ringen mit ihren ultra-konservativen Widersachern gestärkt hervorgehen. Moderate Fraktionen und Reformanhänger hätten so eine gute Chance, Anfang 2016 bei den Parlamentswahlen die Mehrheit zu erzielen.

Durchhalteparolen und das Spiel mit der Geduld

Aber kann die iranische Bevölkerung so lange warten? Eines der weit verbreiteten iranischen Redensarten besagt: "Ein wenig Geduld, die Morgendämmerung naht!" – und natürlich vernimmt man unter politisch engagierten Gesprächspartnerinnen und –partnern weiterhin Zuversicht. Ihnen ist klar, dass ein solch bedeutendes Politikum seine Zeit braucht und ein langwierig erarbeiteter Deal womöglich der unerschütterlichere ist.

Irans Präsident Hassan Rohani; Foto: Reuters
Rückenwind für Rohani von den konservativen Eliten und von Revolutionsführer Khamenei: "Selbst im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen wird Rohani fest in seinem Amt verweilen. Denn er würde dafür gepriesen, nicht unter allen Umständen einem Deal zugestimmt und die Interesse des Landes verteidigt zu haben", meint Tabatabai.

Doch besonders die Menschen, die in ihrem Alltag mit den Folgen der Sanktionen und des immer noch angespannten politischen Klimas konfrontiert sind, haben wenig übrig für die symbolische Bedeutung eines Fotos der Außenminister der P5+1-Staaten mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und dem iranischen Außenminister Javad Zarif.

Ihnen wird es nicht reichen, dass dieses Foto und die Presseerklärungen vermitteln sollen, dass die Verlängerung der Verhandlungen mehr als nur eine Verlegenheitslösung ist. Sie wollen endlich die Einigung und ein Ende der Leidenszeit.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Kritiker der Nuklearverhandlungen ihrerseits versuchen werden, die Gunst der Stunde zu nutzen und verkünden werden, wie Recht sie doch hatten, dass diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen würden.

Ihre Skepsis spitzt sich darauf zu, dass die USA als Verhandlungspartner nicht vertrauenswürdig seien und man selbst im Falle einer Einigung nicht darauf bauen könne, dass die andere Seite ihre Zugeständnisse auch wirklich einhält.

Revolutionsführer für fortgesetzte Verhandlungen

Doch so sehr diese Skeptiker, die sich im Iran auch "die Besorgten" nennen, regelmäßig Konferenzen einberufen und einen eigenen Webauftritt gestaltet haben – öffentlich gegen die Verhandlungen wettern. Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei bleibt bei seiner Unterstützung für das Verhandlungsteam unter der Führung von Außenminister Zarif.

In einer Rede vor sunnitischen und schiitischen Geistlichen aus der gesamten Region betonte Khamenei vor Kurzem, dass es der Westen nicht geschafft habe und auch nie schaffen werde, den Iran in die Knie zu zwingen. Durch seinen Bezug zu den Nuklearverhandlungen verleiht er Zarifs Team die Rolle, Irans Interessen zu verteidigen, Rechtmäßigkeit.

Weder Außenminister Zarif noch Präsident Rohani müssen also in dieser Frage mögliche Zerwürfnisse mit dem Revolutionsführer fürchten. Die zur Verhandlung stehenden Eckpfeiler und roten Linien des Nuklearprogramms sind nicht nur mit dem Revolutionsführer, sondern ebenso mit den Mitgliedern des Hohen Nationalen Sicherheitsrats, ranghohen Generälen der Revolutionsgarden und außenpolitischen Beratern des Revolutionsführers abgestimmt.

Atomverhandlungen in Wien; Foto: AP
In die Verlängerung: Es gab in Wien zwar Fortschritte, aber wohl nicht genug für ein Abkommen. Die Atomgespräche der 5+1-Gruppe und des Iran sollen nun um rund sieben Monate verlängert werden.

Darauf basiert die innenpolitisch solide Basis, auf die das iranische Verhandlungsteam bei den Verhandlungen bauen kann. Mit anderen Worten: Der Iran stützt sich auf ein festes innenpolitisches Fundament. Sollte ein Deal erzielt werden, wird die Regierung Rohani diesen auch innenpolitisch durchsetzen können.

Folgenreicher Rückschlag

Denkbar ist jedoch, dass den P5+1-Staaten eine solche Handlungsfähigkeit abhanden kommt. Besonders in den USA ist es denkbar, dass Außenminister John Kerry einem abschließenden Nuklearabkommen zustimmt, welchen dann der US-Kongress ablehnt. Die Aufhebung der Sanktionen, Irans wichtigste Forderung, kann nur mit Zustimmung des Kongresses erfolgen. Diese Sachlage macht ein Scheitern der Verhandlungen durchaus möglich.

Für manche Beobachter wäre dies gleichbedeutend mit einem fatalen Rückschlag für Präsident Rohani, der ihm womöglich die Präsidentschaft kosten könnte. Auch Außenminister Zarif, so vermutet man, würde wohl seines Amtes entledigt werden. Diesen Eindruck gewinnt man vor allem dann, wenn man die oben erwähnten ultra-konservativen Kreise als maßgebend erachtet.

Verfolgt man jedoch den Diskurs auf höchster Systemebene, wird deutlich, dass selbst im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen Rohani und Zarif fest in ihren Ämtern verweilen werden. Denn sie würden dann dafür gepriesen, nicht unter allen Umständen einem Deal zugestimmt und die Interesse des Landes verteidigt zu haben.

In ähnlicher Weise wie Revolutionsführer Khamenei äußern sich politische Schwergewichte wie der Vorsitzende des Wächterrats, Ajatollah Ahmad Jannati, der Chef der iranischen Streitkräfte, General Hassan Firouzabadi, sowie Justiz-Chef Ajatollah Sadegh Larijani.

Ob dieser Elitenzuspruch auch von der Bevölkerung im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen übernommen wird, lässt sich indes nur schwer voraussagen. Für sie gibt es eben mehr als allein das iranische Nukleardossier.

Adnan Tabatabai

© Qantara.de 2014

Der Politikwissenschaftler Adnan Tabatabai ist Iran-Experte und lebt derzeit in Berlin.