K-Pop statt Islam

Prabowo Subianto (l.) erklärt sich zum Wahlsieger.
Prabowo Subianto (l.) erklärt sich zum Wahlsieger in Indonesien. Er ist der Ex-Schwiegersohn des Diktators Suharto und belastet vom Vorwurf verschiedener Menschenrechtsverletzungen während der 1980er und 1990er Jahre, die hinsichtlich ihrer Verantwortlichen im Militär nie wirklich aufgearbeitet wurden. (Foto: Agung Kuncahya B./Xinhua/IMAGO Images)

Am Valentinstag schlug bisher in Indonesien die Stunde konservativ-islamischer Moralwächter. Doch dieses Jahr wählte die drittgrößte Demokratie der Erde an dem Tag einen neuen Präsidenten: Das alljährliche moralische Paniktheater in den sozialen Medien blieb aus und auch sonst war einiges anders als erwartet.

Von Bettina David

Mehr als 200 Millionen Menschen waren wahlberechtigt, die bisher ausgezählten Stimmen lassen keinen Zweifel: Prabowo Subianto hat die Wahl gewonnen, deutlich über 50 Prozent haben für ihn gestimmt. Er ist der Ex-Schwiegersohn des Diktators Suharto und belastet vom Vorwurf verschiedener Menschenrechtsverletzungen während der 1980er und 1990er Jahre, die hinsichtlich ihrer Verantwortlichen im Militär nie wirklich aufgearbeitet wurden.   

Für Prabowo war es der dritte Versuch zum Aufstieg ins Präsidentenamt. Zweimal, 2014 und 2019, unterlag er nach erbittert geführten Wahlkämpfen gegenüber dem jetzigen Amtsinhaber Joko "Jokowi“ Widodo. Damals führten reißerischer Populismus, Hetzkampagnen und gezielt gestreute Fake News zu einer von vielen mit großer Sorge erlebten identitätspolitischen Polarisierung entlang religiöser Linien. 

Apokalyptische Szenarien wurden an die Wand gemalt: Jokowis buzzer, wie die politischen Social Media-Influencer in Indonesien genannt werden, stilisierten Jokowi zum Verteidiger eines säkularen, multireligiösen Nationalstaats Indonesien und beschworen das Schreckgespenst eines islamistischen Kalifats, sollte der von konservativen und radikalen islamischen Kräften unterstützte Prabowo gewinnen.  

Beten in einer Moschee in Jakarta
"Indonesiens Jugend ist nicht nur bewusst islamischer als frühere Generationen – das inzwischen zum Mainstream gewordene Kopftuch ist dafür nur das augenfälligste Zeichen", scheibt Bettina David. "Indonesien ist auch Heimat der größten Fangemeinde von K-Pop." (Foto: Getty Images/AFP/A. Berry)

Mit Opposition ließen sich kaum Stimmen fangen

Dass Prabowo, ein offenes Geheimnis, mit Religion nicht viel anfangen kann und kaum weiß, wie das tägliche Gebet ausgeführt wird, war seinen Unterstützern wiederum keine Silbe wert: Sie warfen vielmehr Jokowi mangelnde islamische Frömmigkeit oder gar eine angebliche christliche Herkunft vor und sprachen von der Gefahr einer Ent-Islamisierung und des moralischen und wirtschaftlichen Ausverkaufs an den gottlosen Westen.  

Dass Jokowi nach seiner Wiederwahl 2019 ausgerechnet seinen Erzrivalen Prabowo zum Verteidigungsminister ernannte, kam für viele unerwartet. Doch in Indonesien sagt man: "In der Politik gibt es keine ewigen Feinde, nur ewige Machtinteressen“, und die strategische Einbindung ehemaliger Gegner in die eigene Machtsphäre folgt einem durchaus positiv besetzten javanischen Pragmatismus.  

Nun, fünf Jahre später, kandidierte Prabowo ein drittes Mal, diesmal in der Rolle als getreuer Fortführer von Jokowis Politik – gemeinsam mit Jokowis ältestem Sohn Gibran Rakabuming Raka als Vizekandidaten. Bis zu 75 Prozent der Bevölkerung sind Umfragen zufolge mit Jokowis Regierung zufrieden, auch ist seine Politik der Förderung von Investitionen und großen Infrastrukturprojekten bei vielen Wählern beliebt. Mit Opposition und der Aussicht auf grundlegende Veränderungen lassen sich derzeit nur schwer Stimmen fangen.  

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Tanzclips statt Fake News

Der Unterschied zu den beiden vorherigen Wahlkämpfen könnte größer nicht sein. Begriffe wie "kafir“ (Ungläubiger), "Scharia“, "Kommunist“, "Kalifat“, mit denen die Wählerschaft in den beiden vorherigen Wahlkämpfen demagogisch emotionalisiert und gegeneinander aufgehetzt worden ist, hörte man dieses Mal nicht. Selbst Hardliner wollten nicht provozieren und hielten sich zurück, nachdem unter Jokowi sowohl der indonesische Ableger der islamistischen Partei Hizbut Tahrir als auch die radikale FPI ("Front zur Verteidigung des Islam“) verboten worden waren.  

Die gesellschaftlichen Polarisierungen der letzten Jahre scheinen vergessen, Islam und populistische Instrumentalisierung religiöser Identität spielten in diesem Wahlkampf bei allen drei Kandidaten keine prominente Rolle, statt Fake News und Hetzkampagnen gab es nun lustige Tanzvideos auf TikTok. Der 72-jährige Prabowo, zuvor berüchtigt für seinen autoritären Führungsstil und Jähzorn, trat jetzt als putzig tanzender Opa auf.  

Auch die beiden anderen Bewerber um die Präsidentschaft, Anies Baswedan, ehemaliger Gouverneur von Jakarta und früherer Bildungsminister, sowie der bis September 2023 amtierende Gouverneur von Zentraljava, Ganjar Pranowo, setzten in den sozialen Medien und bei Wahlkampfveranstaltungen auf gute Laune statt aggressiv-populistischer Opposition. Ganjar und sein Vizekandidat gaben sich volksnah, traten in Top-Gun-Jacken auf und konnten die populäre Rockband Slank für ein Wahlkampfkonzert gewinnen.  

Gemäßigt und weltoffen

Anies Baswedan hatte diesmal die islamistische Partei PKS und andere religiöse Hardliner hinter sich, die bei den beiden vorherigen Wahlen noch Prabowo unterstützt hatten. Bereits 2017 gewann Baswedan mit ihrer Unterstützung und unter massiver rassistisch-religiöser Instrumentalisierung eines Blasphemievorwurfs gegenüber seinem Vorgänger Basuki "Ahok“ Tjahaja Purnama, einem chinesischstämmigen Christen, den Gouverneursposten von Jakarta. 
 
Doch inzwischen gibt auch er sich wieder gemäßigt, pluralistisch und weltoffen. Sein Vizekandidat Muhaimin Iskandar entstammt dem moderaten, traditionalistisch geprägten Milieu der vornehmlich im ländlichen Ostjava basierten islamischen Massenorganisation NU (Nahdlatul Ulama) – durchaus ein Affront gegen Baswedans Anhänger von der PKS, die der Muslimbruderschaft nahesteht.  

Mit geschätzt über 40 Millionen Mitgliedern und Anhängern ist die NU die größte islamische Organisation Indonesiens. Doch ein Großteil ihrer führenden Persönlichkeiten hat sich für Prabowo ausgesprochen. Anies Baswedan hingegen, der in den USA promoviert hat und Rektor der liberalen islamischen Universität Paramadina war, findet seine Wähler nicht nur bei der PKS, sondern auch unter der urbanen, westlich orientierten Bildungsschicht. Seine rhetorische Eloquenz wird einerseits gelobt, andererseits gilt er vielen als zu intellektuell abgehoben, zu akademisch-dozierend.   

Social Media-Wahlkampf für Millennials und Generation Z

Millennials und die sogenannte Generation Z stellen mehr als die Hälfte der Wählerschaft. Indonesiens Jugend ist nicht nur bewusst islamischer als frühere Generationen – das inzwischen zum Mainstream gewordene Kopftuch ist dafür nur das augenfälligste Zeichen. Indonesien ist auch Heimat der größten Fangemeinde von K-Pop. Der ostasiatischen Vorliebe für alles Niedliche entsprechend verzückte Prabowo nun seine Fans mit "joged gemoy“, "putzigem Tanzen“, und schaute mit seinem Vize, Jokowis Sohn, in Form von knuffelig-pausbäckigen Comic-Avataren von den Wahlplakaten.  

Baswedan gewann deutlich an Popularität und überholte Ganjar Pranowo in Umfragen, seit er auf X und Instagram mit der "Anies Bubble“ nicht als Intellektueller, sondern im Stil von K-Pop-Idols gezielt die Vorlieben der Gen Z anzusprechen begann. Bei allen drei Kandidaten gibt es auf ihren Social Media-Kanälen neben Videos von Auftritten auf Wahlkampfveranstaltungen Musik- und Tanzclips, sowie Bilder mit Katzen, liebevollen Momenten mit der Familie und rührende Szenen mit einfachen Leuten von der Straße – das erreicht die Herzen der Wähler.  

Instagram, TikTok und Twitter erweisen sich hier als die perfekten Medien für einen hauptsächlich auf emotionaler Personalisierung basierenden Wahlkampf. Denn die politischen Parteien in Indonesien – mit Ausnahme der PKS – stehen nicht so sehr für klare politisch-ideologische Ausrichtungen. Sie sind zumeist wenig mehr als Vehikel für die Aufstellung von Präsidentschaftskandidaten.  

Zu strategischen Zwecken werden ständig wechselnde Bündnisse und Koalitionen geschlossen. Es geht um die oligarchische Aushandlung und Verteilung der Macht untereinander und die Pflege von Patronage-Netzwerken. Das nimmt den Parteien wiederum die Möglichkeit zur ideologischen Profilierung, und entsprechend schwach ist auch die Parteibindung der Wählerschaft: Im Vordergrund stehen die jeweiligen Persönlichkeiten der Kandidaten.  

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Die dunkle Vergangenheit stört nicht

Der indonesische Politologe Robertus Robet spricht von einem Paradox: Einerseits sehe man in Indonesien Politiker generell sehr kritisch bis offen zynisch, aufgrund vieler Skandale gelten sie als korrupt, nur interessiert am eigenen Vorteil und Machtgewinn.

Andererseits gebe es aber auch einen regelrechten Fankult, eine Idealisierung von Kandidaten und Präsidenten, die als Vaterfiguren geliebt werden und über jegliche Kritik erhaben seien. Das passt zu den sozialen Medien, in denen nicht so sehr politische Inhalte im Vordergrund stehen, sondern es darum geht, welcher Kandidat einem spontan am sympathischsten ist.   

Nach zwei Amtsperioden des ehemaligen Hoffnungsträgers Jokowis beklagen Demokratie- und Menschenrechtsaktivisten eine deutliche Schwächung der indonesischen Demokratie. In Jokowis Regierungszeit fällt unter anderem die teilweise Entmachtung der Antikorruptionsbehörde und ein restriktives neues Strafgesetzbuch.  
 
Sein Sohn Gibran konnte nur Vizekandidat werden, nachdem das dafür erforderliche Mindestalter gesenkt wurde – unter der Beteiligung des Obersten Verfassungsrichters, Jokowis Schwager. Der ehemalige Möbelhändler hat es innerhalb von 10 Jahren zum Begründer einer neuen Familiendynastie innerhalb Indonesiens Oligarchie geschafft.  

Proteste kamen unter anderem von Studenten und renommierten Universitäten, wenige Tage vor der Wahl wurde auf YouTube der ausführliche Dokumentarfilm "Dirty Vote“ über die gezielte Aushöhlung wahlbezogener demokratischer Institutionen veröffentlicht. Doch die Mehrheit der indonesischen Wähler schien all das, ebenso wie die dunkle Vergangenheit Prabowos, nicht wirklich zu stören. Oder, wie es in einem TikTok-Video mit dem putzig herumhüpfenden Ex-General heißt: Jogetin aja – "Tanz‘ einfach darüber hinweg". 

Bettina David 

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