Ein Friedensstifter in Kriegszeiten

Eine Frau mit ihrem Kind in Darfur, Westsudan
Eine Frau mit ihrem Kind in Darfur, Westsudan

Der sudanesische Autor Baraka Sakin erzählt in seinem vielschichtigen Roman anhand der Figur eines charismatischen Propheten vom Konflikt in Darfur. Sein Roman ist eine bewegende Geschichte über Krieg und Liebe, Rache und Hoffnung. Von Volker Kaminski

Von Volker Kaminski

In krassem Gegensatz zur friedliebenden Botschaft des Propheten, der von Liebe und Menschlichkeit erfüllt ist, steht seine eigene Situation: 666 Soldaten sowie eine Reihe von Zimmermännern sind ausgesandt, um ihn und seine wenigen Anhänger zu ergreifen und zu kreuzigen. Damit beginnt der Roman, um sich im Folgenden den Opfern und verschiedenen verfeindeten Gruppierungen zu widmen und uns auf eine Reise in die jüngste Vergangenheit des Sudan mitzunehmen, die von Krieg, Zerstörung und dem Elend zahlloser Menschen erzählt.

Man nimmt Anteil am Schicksal einer Bevölkerung, die in einem brutalen Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Rebellen massenhaft getötet wird und kaum Überlebenschancen hat. Es gibt aber auch einzelne starke Menschen, die sich tapfer und radikal zur Wehr setzen wie etwa Abdarrahman, eine Kriegswaise, die sich selbst einen männlichen Vornamen gegeben hat.

Sie wandelt sich im Lauf des Romans vom Opfer zur Rebellin, heiratet einen Soldaten, der zwangsrekrutiert wurde, und verlangt von ihm die Tötung von mindestens zehn Djandjawid, skrupellosen Killerkommandos, die sie vergewaltigt haben. Dann nimmt sie die Sache aber selbst in die Hand, versorgt sich mit Waffen und übt auf eigene Faust Rache.

Cover von "Der Messias von Darfur" von Abdelaziz Baraka Sakin, erschienen bei Edition Orient; Quelle: Verlag
Der Roman handelt zu großen Teilen von Ereignissen aus dem Konflikt in Darfur im Westsudan, der sich bereits seit Jahrzehnten hinzieht. Neben dem Leiden der Menschen gibt es aber auch viele Passagen, die von Vertrauen und Freundschaft handeln, von menschlichem Handeln inmitten von Rohheit und Verderben. Abdelaziz Baraka Sakin hat ein beeindruckendes, bewegendes und spannendes Buch in einem reflektierten, ironischen Erzählton geschrieben, das Günther Orth perfekt ins Deutsche übertragen hat.

Rohheit und Verderben neben Freundschaft und Menschlichkeit

Der Prophet, der ja eigentlich Frieden predigt, wäre hier ganz an ihrer Seite, denn sein persönliches Motto, das auch das Motto des Romans ist, lautet: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Djandjawid in das Reich Gottes gelangt.“ Jene schrecklichen Djandjawid (dt. etwa Teufel zu Pferd) sind Nomaden in Darfur im Westen des Sudan, die von der Regierung in Khartum als Milizen eingesetzt werden und sich durch besondere Grausamkeit auszeichnen. Der Roman beruht in weiten Teilen auf realen Ereignissen, etwa den Zwangsrekrutierungen und Massakern an der Bevölkerung. Auch die Tatsache, dass die männlichen Hauptfiguren die Seite wechseln und nach einer Flucht zu den Rebellen überlaufen, beruht auf verbreiteten Tatsachen in dem sich hinziehenden Konflikt in Darfur.

Es sind teilweise barbarische Ereignisse, die sich in den Dörfern abspielen. Menschen geraten in die Sklaverei, Frauen werden wahllos vergewaltigt, und wir nehmen starken Anteil an den beherzten Akten des Widerstands gegen die mordenden und raubenden Banden in den Wirren des Kriegs. Neben diesen bedrückenden Episoden gibt es aber auch viele Passagen, die von Vertrauen und Freundschaft handeln, von menschlich Handelnden inmitten von Rohheit und Verderben.

Abdelaziz Baraka Sakin ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren des Sudan. Er mischt gekonnt Fakten mit Fiktion, so dass sich auf 150 Seiten ein breites Panorama einer Region am Rande der Sahara eröffnet, die von einem jahrzehntelangen Konflikt betroffen ist, der von der Regierung befeuert wird, und in dem das Leid der Opfer unermesslich ist.

Darfur bleibt eine Region voller Spannungen

Im Nachwort gibt Enrico Ille vom Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig Auskunft über die besondere Historie des Sudan, die im Roman vorkommenden Orte und die zurückliegenden Jahrzehnte, in denen sich die Konfliktparteien gebildet haben, die sich bis heute feindlich gegenüberstehen: "Darfur bleibt weiterhin eine Region voller Spannungen und Konflikte.“

Auch die Romanfigur des Propheten hat historische Wurzeln und ist kein bloßer Einfall des Autors. 1921 erklärte sich (in derselben Region wie im Roman) ein gewisser Abdullahi Suheini zum Propheten Jesus und startete mit einer großen Truppe einen Angriff gegen die Regierung, um die britischen Kolonialherren zu vertreiben.

Und wie endet die Geschichte vom Propheten im Roman? Es ist ein märchenhafter Schluss, der Prophet und seine Truppe samt aller Soldaten und des Hauptmanns, die sich überraschenderweise zu ihm bekehrt haben, fliegen gen Himmel und tragen als Flügel ihre Kreuze auf dem Rücken. Dies mag eskapistisch erscheinen, ist aber vielleicht die einzige Möglichkeit, das Elend in der Gegenwart hinter sich zu lassen und etwas Trost zu finden.

So kann man es auch als eine Strategie der moralischen Befreiung ansehen, dass der Autor bei diesem so ernsten und bedrückenden Thema immer wieder Ironie und Satire einsetzt und dadurch Distanz gewinnt. Ein beeindruckendes, bewegendes und spannendes Buch von einem souveränen Autor in der Übersetzung von Günther Orth, der den reflektierten, ironischen Erzählton perfekt ins Deutsche übertragen hat.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2022

 

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