Toleranz im Dienst der emiratischen Politik

In Abu Dhabi wurde im März eine Synagoge eingeweiht, das erste neu erbaute jüdische Gotteshaus in der Region seit hundert Jahren. Es steht in dem interreligiösen Komplex Abrahamic Family House, mit dem sich die Emirate als tolerantes, offenes Land präsentieren wollen.
In Abu Dhabi wurde im März eine Synagoge eingeweiht, das erste neu erbaute jüdische Gotteshaus in der Region seit hundert Jahren. Es steht in dem interreligiösen Komplex Abrahamic Family House, mit dem sich die Emirate als tolerantes, offenes Land präsentieren wollen.

In Abu Dhabi wurde im März eine Synagoge eingeweiht, das erste neu erbaute jüdische Gotteshaus in der Region seit hundert Jahren. Es steht in dem interreligiösen Komplex Abrahamic Family House, mit dem sich die Emirate als tolerantes, offenes Land präsentieren wollen. Claudia Mende hat das Zentrum besucht.

Von Claudia Mende

Das Abrahamic Familiy House leuchtet weiß gegen den wolkenlos blauen Himmel. Der Komplex mit den drei Gotteshäusern in Quaderform liegt direkt vor der Baustelle für das neue, gigantische Guggenheim Museum und nur 500 Meter vom Louvre Abu Dhabi entfernt auf Saadiyat Island.

Das ist der Kulturbezirk von Abu Dhabi, hier ist viel Platz für die ehrgeizigen Kultur-Projekte der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Es ist Ende Mai und über 40 Grad heiß, die feucht-schwüle Hitze hüllt alles ein, niemand läuft freiwillig draußen herum.

Wie Würfel stehen die 30 mal 30 Meter großen Gotteshäuser einander gegenüber, alle gleich, und doch unterschiedlich in ihrer Architektur. Verbunden sind sie durch einen Garten, in dem die Granatapfel- und Zitronenbäume erst noch wachsen müssen. Ein über 100 Jahre alter Olivenbaum wurde aus Italien importiert und eingepflanzt.

Der britisch-ghanaische Star-Architekt David Adjaye hat den interreligiösen Komplex auf Saadiyat Island entworfen. Das Abrahamic Family House ist nicht nur ein Zeichen der Verbundenheit der drei großen monotheistischen Religionen, die sich alle auf den biblischen Stammvater Abraham berufen. Es ist auch ein Beispiel für eine überzeugende moderne Sakralarchitektur. Gemeinsamkeit und Verschiedenheit sind erkennbar umgesetzt.

Besucherugruppe in der Moschee des Abrahamic Family House, Abu Dhabi, Mai 2023; Foto: Claudia Mende
Eine Besuchergruppe in der Ahmed El Tayeb-Moschee des Abrahamic Family House: "Ja, es gab Vorurteile in den sozialen Medien“, erzählt der ägyptische Imam Mahmoud Nagah Ahmed Farag Khalaf. "Extremisten haben verbreitet, dass im Abrahamic Family House drei Religionen zu einer einzigen vermischt werden sollten. Anhänger verschiedener Religionen würden zusammen beten und die Gotteshäuser betreiben.“ Das sei total falsch, betont er mehrfach nachdrücklich. "Ich sage immer allen Kritikern: Kommt doch vorbei und schaut euch selber an, was wir hier machen. Wir sind eine ganz normale Moscheegemeinde“.

Gegen Hass und Extremismus

2019 trafen sich in Abu Dhabi Papst Franziskus und der höchste Repräsentant des sunnitischen Islam, Ahmad El Tayeb von der Al Azhar Moschee in Kairo. Sie unterzeichneten ein Dokument, in dem sie sich für Religionsfreiheit und gegen Gewalt und Extremismus im Namen Gottes aussprachen. Damals wurde auch das interreligiöse Abrahamic Family House beschlossen, die Unterschriften der beiden sind auf einem Stein in der Eingangshalle des Zentrums zu sehen.

Die nach Moses ben Maimon (Maimonides) benannte Synagoge ist seit hundert Jahren das erste jüdische Gotteshaus in der arabischen Welt, das neu erbaut wurde. Es sei eine der schönsten Synagogen auf der ganzen Welt, sagt der aus Kanada stammende Rabbiner Yehuda Sarna, der die Synagogengemeinde betreut. Er lebt wie der Imam mit seiner Familie auf dem Gelände des Abrahamic Family House; der katholische Priester ist tagsüber hier, lebt aber in der Stadt.

Die Fassade der Synagoge ist eine steinerne Anspielung auf die Palmen, die für die Hütten (Sukka) beim Laubhüttenfest Sukkot errichtet werden zur Erinnerung an den Auszug der Israeliten aus Ägypten, auch das Innere soll an ein Zelt erinnern.

Radikal fremd und doch vertraut

Die rund 30 bis 40 Gläubigen, die hier zum Schabbat zusammenkommen, seien in der Regel Expats, die in den Emiraten arbeiten, sagt Sarna. Insgesamt schätzt er die Zahl der Juden auf rund 2000 in Dubai (wo es aber keine Synagoge gibt) und ca. 300 in Abu Dhabi. Unter ihnen seien auch einzelne Familien arabischer Juden zum Beispiel aus dem Jemen.

Blick auf die Synagoge im Abrahamic Family House, Abu Dhabi; Foto: AFH
Die nach Moses ben Maimon (Maimonides) benannte Synagoge ist seit hundert Jahren das erste jüdische Gotteshaus in der arabischen Welt, das neu erbaut wurde. Für den aus Kanada stammenden Rabbiner Yehuda Sarna, der die jüdische Gemeinde betreut, ist sie eine der schönsten Synagogen auf der ganzen Welt. "Die Synagoge ist in kürzester Zeit ein bedeutendes Zentrum für das globale Judentum geworden“, sagt er. Juden kämen aus Europa, den USA, Israel und aus anderen arabischen Ländern, die noch jüdische Gemeinschaften haben wie etwa Marokko und Tunesien, um die Synagoge im Abrahamic Family House zu besuchen..



Darüber hinaus würden schon jetzt jüdische Besucher aus der ganzen Welt kommen. "Die Synagoge ist in kürzester Zeit ein bedeutendes Zentrum für das globale Judentum geworden.“ Juden kämen aus Europa, den USA, Israel und aus anderen arabischen Ländern, die noch jüdische Gemeinschaften haben wie etwa Marokko und Tunesien.

Die Emirate präsentieren sich mit dem interreligiösen Zentrum als einen Ort des Dialogs zwischen den Kulturen und Religionen. Tatsächlich attestiert der jährlich veröffentlichte Report on International Religious Freedom der US-amerikanischen Regierung 2022 dem Land eine ausgeprägte gesellschaftliche Toleranz gegenüber religiöse Minderheiten, vor allem Juden und Christen. Auch ein Hindu-Tempel für die über drei Millionen Migranten aus Indien sollte nach jahrelangen Bauarbeiten 2023 eingeweiht werden.

Toleranz als Soft Power

Aber die so offensichtlich betonte Toleranz soll auch die Ziele emiratischer Politik unterstreichen. Im September 2020 hatten die VAE im Zuge der sog. Abraham Accords zusammen mit Bahrain den Staat Israel anerkannt. Geheime Kontakte und Kooperationen vor allem in Wirtschaftsfragen hatte es zuvor bereits jahrelang gegeben. Dieser Politikwechsel muss auch nach innen kommuniziert werden, dazu passt das Abrahamic Family House mit seiner interreligiösen Botschaft.

Auch gegen radikale Strömungen im Islam will sich das von Scheich Mohammed bin Zayed al Nahyan autoritär regierte Land positionieren. Seit den arabischen Aufständen von 2011 haben die Emirate vehement die Muslimbrüder und den politischen Islam bekämpft.

Dabei gab es auf islamischer Seite zunächst durchaus Vorbehalte gegen das interreligiöse Zentrum.

"Ja, es gab Vorurteile in den sozialen Medien“, erzählt der ägyptische Imam Mahmoud Nagah Ahmed Farag Khalaf. "Extremisten haben verbreitet, dass im Abrahamic Family House drei Religionen zu einer einzigen vermischt werden sollten. Anhänger verschiedener Religionen würden zusammen beten und die Gotteshäuser betreiben.“ Das sei total falsch, betont er mehrfach nachdrücklich. "Ich sage immer allen Kritikern: Kommt doch vorbei und schaut euch selber an, was wir hier machen. Wir sind eine ganz normale Moscheegemeinde."

Papst Franziskus und Großimam Ahmed El Tayeb von der Al Azhar in Kairo; Foto: Vatican News Media/PA/Imago Images
2019 trafen sich in Abu Dhabi Papst Franziskus und der höchste Repräsentant des sunnitischen Islam, Ahmad al-Tayeb von der Al Azhar Moschee in Kairo. Sie unterzeichneten ein Dokument, in dem sie sich für Religionsfreiheit und gegen Gewalt und Extremismus im Namen Gottes aussprachen. Damals wurde auch das interreligiöse Abrahamic Family House beschlossen, die Unterschriften der beiden sind auf einem Stein in der Eingangshalle des Zentrums zu sehen.

Interreligiöser Dialog ohne Meinungsfreiheit?

Für die Moschee hat Architekt Adjaye die für die islamische Architektur prägende Mashrabiya-Struktur gewählt, traditionell ist dieses verschnörkelte Gitterwerk aus Holz, hier ist es aus Kalkstein. Durch die Außenwände fällt seitlich das Sonnenlicht in die Moschee. Vier Säulen tragen das Innere des Gebäudes, über dem sich neun Kuppeln wölben.

Sie sollen die Höhlen symbolisieren, in denen der Prophet Mohammed die Offenbarung des Koran erhielt. Es ist eine minimalistische Architektur, die viele Besucher überzeugt. "Diese Architektur ist schlicht überwältigend“, sagt eine Besucherin aus den USA begeistert.

Jede Gemeinschaft feiert ihre eigenen Feste und Rituale. Gemeinsame Gebete stehen nicht zur Debatte. Worin besteht dann die interreligiöse Begegnung, außer dass man das Gelände teilt und die Vertreter der drei Religionen sich beim gemeinsamen Essen oder dem Spaziergang im Garten treffen? Wie soll ein offener Dialog in einem autoritären Überwachungsstaat geführt werden, in dem die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist?

Der Islamexperte und Jesuit Felix Körner sagte dazu anlässlich der Eröffnung des Zentrums gegenüber dem Kölner Domradio, ein Problem bei diesen Projekten sei natürlich, "dass das sehr von oben kommt, also von Führungspersönlichkeiten staatlicher und religiöser Seite“. Deswegen würde er sagen, "das ist jetzt erst mal viel Wunsch und wenig Erfolg“.

Ein neuer Raum, eine neue Idee

"Wir betreten Neuland“, meint dazu Rabbi Sarna. "Was wir hier machen, ist ein neuer Raum, eine neue Idee“. Erst einmal müsse man eine lebendige jüdische, christliche und islamische Gemeinde aufbauen. Dialogkonferenzen zu Glaubensthemen seien geplant. Doch vor allem müsse das gemeinsame Vertrauen wachsen.

Nicht nur auf muslimischer, auch auf jüdischer Seite sind sich viele Besucher unsicher, wie das Zentrum einzuordnen sei, meint der Rabbiner. "Wenn sie mich fragen, dann sage immer, es ist die Kombination aus radikaler Vertrautheit und radikaler Fremdheit, die irritiert“: die Vertrautheit einer Synagoge und das Fremde eines arabischen Umfelds, das Juden als feindlich annehmen.

Der Rabbiner hat selbst eine Zeitlang mit seinen Gefühlen kämpfen müssen, als er in 2013 zum ersten Mal, mit seiner Kippa als Jude erkennbar, in die Emirate kam. "Ich hatte schon in den USA viel interreligiöse Dialogarbeit gemacht, auch mit Muslimen, aber mir war nicht klar, wie viel an tiefsitzenden Stereotypen über die arabische Welt ich selbst in mir hatte.“

 

 

Bei jedem Besuch in den Emiraten kämpfte er mit diesen Stereotypen, bis hin zu Angstattacken. "Als ich einmal im Supermarkt war, überkam mich plötzlich die Angst: Ich bin als Jude allein in einem arabischen Land. Ich könnte umgebracht werden.“ Doch mit der Zeit habe diese Angst nachgelassen und stellte sich als unbegründet heraus. Als er dann 2022 den Job als Rabbiner des neu eröffneten Abrahamic Family Center bekam, war das für ihn eine überwältigende Erfahrung.

Feigenblatt für autoritäre Politik?

Der indische Franziskanerpater Michael Fernandes ist froh, dass es noch ein weiteres Gotteshaus für die mittlerweile über zwei Millionen Christen in den Emiraten gibt; die zwei anderen Kirchen allein in Abu Dhabi platzen bei den Gottesdiensten aus allen Nähten. Für die Kirche im interreligiösen Komplex arbeitet Architekt Adjaye mit einer Holzstruktur im Innenraum, die das Kreuz in den Mittelpunkt stellt.

"Ich wünsche mir, dass Gruppen von Christen aus aller Welt kommen und sehen, wie wir hier gemeinsam Koexistenz leben“, sagt Fernandes. Er sieht das Abrahamic Family House als ein Modell für die interreligiöse Begegnung auch an anderen Orten.

Kritische Worte über die Gastgeber hört man nicht bei den Religionsvertretern. Ob man sie als Feigenblatt benutzt, um Offenheit vorzutäuschen? Es ist unmöglich, über solche Fragen zu sprechen, denn beim Besuch des Abrahamic Family House sind zwei PR-Menschen des Zentrums jede Minute dabei. In den Emiraten gehört eben auch der interreligiöse Dialog zur Staatsräson.

Claudia Mende

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