Umfassender Frieden in weiter Ferne

Ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten kann nur durch Verhandlungen erreicht werden. Angesichts steigender Opferzahlen unter der libanesischen Zivilbevölkerung aber dürften die moderaten Kräfte auf der arabischen Seite immer mehr an Rückhalt verlieren, meint Rainer Sollich.

Ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten kann nur durch Verhandlungen erreicht werden. Angesichts steigender Opferzahlen unter der libanesischen Zivilbevölkerung aber dürften die moderaten Kräfte auf der arabischen Seite immer mehr an Rückhalt verlieren, meint Rainer Sollich in seinem Kommentar.

Erwartungsgemäß hat die internationale Nahost-Konferenz in Rom nicht viel zur Beilegung des Konflikts beitragen können.

Neben der wichtigen Zusage für humanitäre Hilfen sprachen sich die Teilnehmer lediglich für eine schnellstmögliche Waffenruhe und für die Stationierung einer internationalen Truppe unter UN-Mandat aus - damit ist das Wesentliche auch schon zusammengefasst.

Beides ist zwar wünschenswert, aber unrealistisch - jedenfalls im Moment. Die Konflikt-Parteien haben sich auch gar nicht weiter davon beeindrucken lassen, sondern ihre Kämpfe unbeirrt fortgeführt. Es haben - so tragisch dies ist - auch beide Seiten ein Interesse daran:

Die Hisbollah will sich mit Rückendeckung Syriens und Irans als Speerspitze des anti-israelischen "Widerstands" positionieren, Israel strebt nach größtmöglicher Sicherheit und will deshalb - auch um den Preis steigender Opferzahlen unter der Zivil-Bevölkerung - die Hisbollah aus dem Südlibanon vertreiben.

Dabei darf eines nicht vergessen werden: Bis zu einem gewissen Grad ist durchaus Verständnis angebracht für Israels Feldzug gegen die Hisbollah im Libanon.

Kein Land der Welt kann es hinnehmen, immer wieder vom Nachbar-Territorium aus mit Raketen beschossen zu werden - Angriffe, die keineswegs erst im Zuge der jetzigen Eskalation begonnen haben, wohl aber in den vergangenen zwei Wochen stark intensiviert wurden.

Die eigene Bevölkerung zu beschützen gehört zu den elementaren Aufgaben einer jeden Regierung und Armee. Erst recht in einem Staat wie Israel, der seit seiner Gründung einer permanenten Bedrohung durch umliegende Länder ausgesetzt ist und immer wieder Kriege zur eigenen Existenzabsicherung führen musste.

Trotzdem muss Israel sich angesichts der täglich steigenden Opfer-Zahlen unter der libanesischen Zivil-Bevölkerung vorwerfen lassen, die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus den Augen zu verlieren.

Selbstverteidigung ist legitim. Aber wenn ganze Wohnviertel in Schutt und Asche gelegt werden, wenn hunderte Menschen sterben und hunderttausende in Panik flüchten, dann wird dadurch auch immer neuer Hass produziert.

Moderate arabische Kräfte, die an einem Ausgleich oder zumindest an einem Modus Vivendi mit Israel interessiert sind, dürften angesichts von immer mehr Leid und um sich greifender Empörung noch weiter an Rückhalt verlieren.

Israel mag militärisch stark genug sein, um große Teile der Hisbollah auszuschalten oder zumindest dauerhaft aus dem südlichen Libanon zu vertreiben.

Aber es muss auch gefragt werden, um welchen Preis. Militärische Pufferzonen - wie künftig vielleicht unter internationaler Bewachung im Südlibanon - und einseitig gezogene Sperrzäune - wie bereits jetzt im Westjordanland - bieten angesichts immer weiter reichender Waffen-Systeme bei Milizen und Terrorgruppen nur eine begrenzte Sicherheit.

Eine nachhaltige Sicherheits-Politik muss auch versuchen, feindlich gesonnenen Gruppen den ideologischen Nährboden und die Unterstützung der Menschen zu entziehen. Mit der jetzigen Libanon-Offensive erreicht Israel aber genau das Gegenteil.

Dauerhafter Frieden und ein hohes Maß an Sicherheit für den gesamten Nahen Osten können letztlich nur auf dem Verhandlungswege erzielt werden - und müssen auch unbequeme, aber keineswegs irrational agierende Regime wie das in Syrien mit einbeziehen.

Die arabischen Regierungen müssten unzweideutig Israels Existenz-Recht anerkennen und damit Kräfte stoppen, die dies durch Gewalt sabotieren. Aber sie müssten auch selbst von einem solchen Zugeständnis profitieren können.

Deshalb muss Israel perspektivisch gesehen im eigenen Sicherheitsinteresse daran gelegen sein, die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates in seiner Nachbarschaft zu ermöglichen und sich im wesentlichen auf die Grenzen von vor 1967 zurückziehen, so schwer dies innenpolitisch durchzusetzen wäre.

Ernsthafte Verhandlungen für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten dürften wohl erst lange Zeit nach Beendigung der jetzigen Eskalation wieder möglich sein - und nur unter immens erschwerten Bedingungen für beide Seiten.

Denn wenn die arabischen Länder sich wieder einmal gedemütigt fühlen, dann wird es Israel auch künftig wenig nützen, aus einer Position der Stärke heraus agieren oder auch verhandeln zu können - ebenso wenig wie Terror und Gewalt jemals dauerhaft arabischen Interessen zum Durchbruch verholfen hätten.

Ohne einen fairen Interessen-Ausgleich für alle Länder und Völker der Region wird Frieden in Nahost
niemals möglich sein.

Rainer Sollich

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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