Kaltschnäuziges Taktieren

Der Ruf nach den USA als Vermittler in Nahost wird lauter. Doch erst einmal wolle man abwarten, da eine Einmischung zu diesem Zeitpunkt "nicht hilfreich" sei, heißt es aus Washington. Eine Hinhalte-Taktik, die viele weitere Todesopfer in Kauf nimmt, meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

Mit jedem Tag, an dem die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Libanon weitergehen, wird der Ruf nach den USA lauter. Doch aus Washington gibt es zögerliche Signale: Erst einmal wolle man abwarten, da eine Einmischung zu diesem Zeitpunkt "nicht hilfreich" sei, heißt es dort. Eine kaltschnäuzige Hinhalte-Taktik, die viele weitere Todesopfer stillschweigend in Kauf nimmt - meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

US-Präsident Bush; Foto: AP
Gibt der israelischen Regierung noch eine Woche Zeit zur Fortsetzung des Kriegs, bevor er vermitteln will: US-Präsident George W. Busch

​​Nach einer Woche massivster Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Ziele im Libanon sollen nun US-Marines eingesetzt werden.

Aber nicht - wie 1957 und 1982 - mit dem Auftrag, Ruhe und Ordnung im Zedern-Staat Libanon wiederherzustellen, sondern um US-Bürger zu evakuieren. Ruhe und Ordnung müssen warten. Das hat Präsident George W. Bush mehr als deutlich gemacht.

Er ist nicht bereit, Sofortmaßnahmen zur Beendigung des Krieges zu unterstützen, er will seine Außenministerin erst in einigen Tagen auf den Weg schicken. Und in Washington heißt es, das müsse wohl noch "etwa eine Woche" auf sich warten lassen.

Noch solch eine Woche wie die letzte? Mit Hunderten ziviler Todesopfer, Hunderttausenden von Flüchtlingen und Milliarden-Schäden für die libanesische Infrastruktur?

Kaltschnäuzig ist, wer darüber einfach so hinwegsehen würde. Der US-Präsident hat offenbar eine so eingeschränkte Sichtweise. Anscheinend hat die Regierung in Jerusalem ihm eingeflüstert, dass sie noch diese eine Woche brauche, um Hisbollah entscheidend und auf Dauer zu schwächen, und das Weiße Haus gibt Jerusalem grünes Licht. Egal, wie hoch der Preis ist.

Nun ist es sicher zutreffend, dass ein rascher Waffenstillstand - wenn er denn überhaupt zu Stande käme - das Grundproblem nicht lösen würde: Hisbollah bliebe ein Macht-Faktor im Südlibanon, die Zentralregierung in Beirut könnte seine Truppen nicht dorthin entsenden, und über kurz oder lang wären die nächsten Auseinandersetzungen über die Grenze hinweg zu erwarten. Und alles würde wieder von neuem beginnen.

Wird die Lage in einer Woche aber anders sein? Wird Hisbollah dann geschlagen sein? In Washington kann man das sicher nicht mit Gewissheit vorhersagen. Denn auch in Jerusalem und Tel Aviv variieren die Prognosen von Politikern und Militärs zwischen "einigen Tagen" und "einigen Monaten".

Jeder Tag aber, jede Stunde wird neue Opfer fordern und das Elend vergrößern. Und es ist absurd und menschenverachtend, auf solchem Leid und Elend Unschuldiger eine neue Ordnung im Libanon begründen zu wollen.

Der Libanon hat in seiner Geschichte schon manche düstere Periode durchgestanden. Und oft waren es die Libanesen selbst, die dafür verantwortlich waren.

Immer wieder ist das Land aber auch Spielball fremder Mächte geworden. Im gegenwärtigen Fall kommt beides zusammen, denn Hisbollah ist eine libanesische Kraft, die gleichwohl auch als verlängerter Arm Syriens und des Iran agiert.

Und Israel kann sich auf die - bisher - uneingeschränkte Unterstützung Washingtons verlassen. Was können da die hektischen Bemühungen der Europäer oder der Vereinten Nationen um eine Beendigung des Konflikts ausrichten?

All diese Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt, solange Washington seine abwartende Haltung nicht aufgibt. Präsident Bush scheint es dabei auch gleichgültig zu sein, dass die USA sich mit dieser Haltung noch mehr Feinde weltweit einhandeln und sich noch weiter disqualifizieren von der so gerne reklamierten Rolle der Ordnungsmacht oder - volkstümlicher gesagt - des "Welt-Sheriff".

Das einzige, was man Bush in diesem Zusammenhang ohne zu zögern bescheinigen kann: Er hat wieder einmal bewiesen, dass er immer bereit ist zu unpopulären Beschlüssen.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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