"Warum betet ihr nicht in der Moschee?"

In Marokko begegnet man den einheimischen Christen häufig mit Skepsis. Ihre europäischen Glaubensbrüder dagegen genießen volle Religionsfreiheit. Über die kleine Minderheit berichtet Thilo Guschas.

Marrokanische Kirche in al-Mohammadiya; © Mona Naggar
Grundsätzlich ist die marrokanische Gesellschaft den Christen gegenüber tolerant; doch oft herrschen noch Skepsis und Unwissen.

​​"Wenn ich zum Beispiel mit dem Bus fahre, sagen die anderen Passagiere: 'Du kommst doch aus unserem Viertel, wieso gehst du zur Kirche? Warum betest du nicht in der Moschee? Wir haben doch so viele davon.' Wenn ich eine Arbeit suche und einer der Arbeitsvermittler weiß, dass ich Christ bin, dann heißt es gleich: Nein, für dich haben wir keinen Job."

In Marokko gehören Christen, wie dieser junge Mann, zur Minderheit. Weniger als ein Prozent der Einheimischen gehört einer christlichen Kirche an.

Während die europäischen Christen im Land ungestört ihre Religion ausüben können, ist dies für die marokkanischen Christen erheblich schwieriger. Denn sie stehen grundsätzlich unter dem Verdacht, zum Christentum konvertiert zu sein. Dies würde bedeuten, dass sie vom Islam abgefallen sind, was für Muslime streng verboten ist, obwohl die weltliche Gesetzgebung in Marokko es eigentlich zulässt.

Uneindeutiger Status

Jean-Luc Blanc, Pastor der evangelischen Gemeinde in Casablanca, kritisiert diese Doppelmoral:

"Wir wünschen uns, dass die marokkanischen Behörden sich in dieser Frage klarer positionieren. Wir wollen Klarheit haben. Die Scharia, also die religiöse Rechtsordnung, verbietet den Religionswechsel für Muslime, nach dem weltlichen Recht in Marokko müsste es eigentlich legal sein. Wir fragen also, wie ist hier die Haltung des Staates zu den Menschenrechten?"

Jean-Luc Blanc erlebt immer wieder, dass Muslime in diesem Zusammenhang mit dem sogenannten dhimmi-Status argumentieren, um deutlich zu machen, wie tolerant der Islam ist. Dieser Sonderstatus gewährt den Angehörigen der monotheistischen Schriftreligionen, Juden und Christen, eine Schutzstellung.

Diese Doktrin geht auf die Zeit der islamischen Expansion zurück, als arabische Eroberer in schneller Folge Länder eroberten, in denen viele Christen und Juden lebten. Die Ausübung ihrer Religion wurde geduldet, allerdings wurde das Errichten von neuen Gotteshäusern nicht erlaubt. Daneben mussten sie auffällige Kleidung tragen, um sie als Andersgläubige erkennen zu können, und es war eine Kopfsteuer zu entrichten.

Die Bestimmungen dieses dhimmi-Konzepts hatten historisch gesehen die Funktion, der muslimischen Minderheit in den eroberten Ländern die Machtstellung zu sichern.

Historische Toleranz?

Heute ist jedoch die Realität eine andere. Die Maghrebstaaten sind vor über 1200 Jahren islamisiert worden. Für Christen, wie den Theologen Jean-Luc Blanc, ist daher jede Argumentation mit dem dhimmi-Status nur noch eine ideologische Debatte. Denn die angebliche Toleranz führe zum Beispiel dazu, dass in einigen arabischen Ländern Juden und Christen bis heute vor einem islamischen Gericht nicht als Zeugen zugelassen werden.

Er erinnert auch daran, dass in Saudi-Arabien trotz der dhimmi-Regelung sogar christliche Gottesdienste verboten sind. Umso mehr erwartet er von einem verhältnismäßig toleranten Land wie Marokko, dass man die Menschenrechte und damit auch die Religionsfreiheit respektiert.

Hoffnung auf Positionierung des Königshauses

"Für uns ist eine eindeutige Haltung des marokkanischen Staates auch deshalb wichtig, weil wir wissen müssen, wie wir uns den Marokkanern gegenüber verhalten sollen, die am Christentum interessiert sind.

Derzeit weisen wir sie zwar nicht direkt ab, aber wir verhalten uns distanziert, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen", so Jean-Luc Blanc weiter.

Die ausländischen Christen in Marokko hoffen nun, dass vor allem das Königshaus, das sich um ein liberales Auftreten bemüht, eine positive Veränderung bewirken könnte. Einer der engsten Berater von König Muhammad VI. ist zum Beispiel ein Jude. Jean-Luc Blanc sieht darin eine vielversprechend Geste, zumal auch die Bevölkerung in Marokko grundsätzlich tolerant eingestellt sei.

Angst vor amerikanischen Missionaren

Doch die Stimmung könne schnell umkippen. Denn anderseits gibt es auch Befürchtungen, dass die Islamisten durch die zunehmenden Missionskampagnen aus den USA in Marokko neue Anhänger bekommen könnten. Jean-Luc Blanc sieht in dieser massiven christlichen Evangelisationspropaganda eine Gefahr, die letzlich von den Christen hausgemacht sei.

"Weil die großen Kirchen diejenigen, die sich für das Christentum interessieren, sozusagen abweisen müssen, wenden diese sich dann an andere christliche Religionsgemeinschaften, christliche Sekten wie die Mormonen zum Beispiel. Ich habe zwar keine exakten Zahlen, aber nach dem 11. September 2001 und dem Beginn des Irak-Krieges sind sehr viele amerikanische Missionare nach Marokko gekommen, um die Muslime zum Christentum zu bekehren", so Jean-Luc Blanc.

Genau dies könnten die Islamisten in Marokko ausnutzen, um generell gegen alle Christen im Land vorzugehen.

"Die Situation ist schwierig geworden", so Jean-Luc Blanc, "zumal diese vielen christlichen Sekten hier im Land neue evangelische Gemeinschaften gründen und sogar Hausbesuche machen. Sie haben besonderen Erfolg bei den Afrikanern, die sich hier ohne Papiere aufhalten.

Das wird bisher alles noch von den Behörden toleriert. Das heisst, während wir, die etablierten, großen Kirchen die Gesetze des Landes respektieren, können die kleinen Gemeinschaften aktiv werden. Die Frage ist nur, wie lange das gut geht. Wie lange wird eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung das mitmachen? Denn wir haben jetzt schon mehr christliche Missionare im Land als marokkanische Christen", so die Befürchtungen von Jean-Luc Blanc.

Thilo Guschas

© Deutsche Welle 2007

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