Spitzel im Coffee-Shop der Uni

Obwohl Syriens jugendlichen Dissidenten enge Grenzen gesetzt sind, sind sie politisch aktiv. Jan Marron berichtet aus Damaskus über ihre Aktivitäten und die Versuche des Regimes, die jungen Oppositionellen mundtot zu machen.

Straßenszene in Damaskus; Foto: AP
Der wirtschaftliche Aufschwung lässt auf sich warten, die syrische Opposition wird noch immer unterdrückt - Straßenszene in Damaskus

​​Keiner von ihnen denkt daran, sich in Schweigen zu hüllen – weder die Studenten Georges*, Suheir oder Hassan noch die Agrarwirtschaftlerin Aida oder die Menschenrechtsanwältin Fatima – und dass, trotz hohen Risikos:

Gegen die Anwältin wurde bereits vor Jahren ein Ausreiseverbot verhängt, mehrfach holte der Geheimdienst sie vor ihrer Haustür ab, um sie zu vernehmen.

Einschüchterung als probates Mittel

Noch schlimmer traf es Georges: Wegen angeblicher Anstiftung zum zivilen Ungehorsam saß er monatelang im Gefängnis. Nach seiner Entlassung wurde ihm die Ausreise und damit die Fortsetzung seines Auslandsstudiums untersagt.

Auch an syrischen Universitäten darf er sich nicht einschreiben. Die Zukunftsperspektiven des 21-Jährigen sehen somit düster aus. Abschreckung ist das Ziel solcher Repressionen.

Diese erscheinen umso gewichtiger angesichts der vielfältigen Aktivitäten junger Dissidenten, die Verhaftungen und Prozessverläufe dokumentieren, in Lesezirkeln über Menschenrechte oder die Rechte der Frau diskutieren.

Dabei gehören Debatten – zum Beispiel über die adäquatere Bestrafung im Fall von Ehrenmorden – eigentlich zum "guten Ton" in Syrien, zumal auch Präsidentengattin Asma al-Assad ihre Stimme dagegen erhebt – allerdings nur für das wohl inszenierte Protokoll, nach dessen Abschluss wieder sorgsam die Glasglocke über Reformwürdiges gestülpt wird.

Wer hat Angst vor der syrischen Jugend?

"Nichts fürchten sie mehr als das, was an den Universitäten passiert", erzählt Aida, und Hassan ergänzt: "Schon morgens verteilen sich die Spitzel im Coffee-Shop der Uni."

Und nicht nur dort. Wie allgegenwärtig die staatlich geförderte gegenseitige Bespitzelung ist, demonstriert der Fall des Lehrers Ghassan Ismail in Tartous. Nachdem er mit seiner Klasse eine politische Diskussion geführt hatte, wurde er von einem Schüler denunziert und verhaftet. Hassans Newsletter führt solche Missstände auf.

Baschar al Assad; Foto: AP
"Unter Hafis al-Assad verschwanden Unzählige jahrelang im Gefängnis, unter Baschar ist das anders", meint Fatima

​​Von Veränderung träumen sie längst nicht mehr. Nur Fatima zeigt sich hartnäckig und zuversichtlich: "Unter Hafis al-Assad verschwanden Unzählige jahrelang im Gefängnis, unter Baschar ist das anders."

Glaubt man Hassans Worten, gewinnt man einen anderen Eindruck: Allein wegen der Aufführung eines nicht genehmen Theaterstückes könne man schon von der Universität ausgeschlossen werden. Dieses müsse nicht mal regimekritisch sein. Auch Eigeninitiative sei dem Regime suspekt und könne den Geheimdienst "auf den Plan rufen".

Zudem seien inhaltliche Fragen bezüglich des Lehrstoffes unerwünscht, Auswendiglernen dagegen vom Lehrkörper gewollt. Selbst bei minderjährigen Schülern setze man die Mitgliedschaft in der Baath-Partei voraus. Und wer dann immer noch mangelhaft "gedrillt" sei, den erwarte ja noch der Wehrdienst.

Ohne äußeren politischen Druck, so die einhellige Überzeugung der jungen Oppositionellen, werde es bei vermeintlichen Reformen im Stile der seit kurzem lancierten "Landeszeitung" bleiben, die offiziell als "erste unabhängige Zeitung" beworben wird.

Im politischen Abseits

Anders als die "alte Dissidentengarde" – zumindest in ihren frühen Tagen – verfügen diese 20 bis 30-Jährigen über kein politisches Programm. Nichtsdestotrotz sind sie noch gefährdeter als die etablierten Oppositionellen. "Die jungen Leute können am leichtesten in den Gefängnissen verschwinden", erklärt Georges.

Michel Kilo; Foto: Larissa Bender
Seit Mai 2006 in Haft: der syrische Oppositionelle Michel Kilo

​​Während der Fall des seit Mai inhaftierten Michel Kilo von Hilfsorganisationen wie "amnesty international" bis "Reporter ohne Grenzen" beäugt werde, sei die Verhaftung von acht jungen Oppositionellen zwischen Januar und März dieses Jahres fast unbemerkt vonstatten gegangen.

Personalien und Begründungen für die Inhaftierungen wurden erst kürzlich bekannt gegeben. Angeblich seien die Aktivitäten der inhaftierten Männer von der Regierung "nicht autorisiert" gewesen.

Fehlende Solidarität

Eine Fürsprache der alten Oppositionsgarde erfolgte weder in diesem noch in anderen Fällen. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb die Jugend mit ihr hadert: Genau wie das Regime verlangen die alten Führungskader der Opposition blinden Gehorsam von ihrer Gefolgschaft.

"Die Vorsitzenden der jeweiligen Parteien sitzen seit zehn Jahren auf ihren Posten", winkt Georges ab. "Ob Marxismus oder Panarabismus - bestimmte Texte gelten als heilige Kühe", meint Aida, während Suheir schließlich der Kragen platzt: "Ich bin keine Panaraberin, sondern Syrerin. Seit 50 Jahren wird uns eingetrichtert, dass wir auf den Kriegsfall mit Israel vorbereitet sein müssen, und was ist dabei Großartiges herausgekommen?"

Gedanken, die sie nicht mit den Älteren debattieren können. "Aus lauter Eitelkeit lassen sie uns ja nicht einmal Berichte oder Deklarationen in unserem eigenen Namen an die Medien schicken", meint Hassan.

Anstelle der auf dem Papier gepredigten demokratischen Gerechtigkeit bekäme die jüngere Generation vor allem Einzelkämpfertum vorgelebt. Auch mit den Medien seines Landes geht Hassan hart ins Gericht:

"Syriens Journalisten schreiben - auch wenn sie für ausländische Medien arbeiten - was der Geheimdienst diktiert. Sollten sie tatsächlich einmal über junge Oppositionelle berichten, picken sie gezielt die heraus, die sich am wenigsten artikulieren können."

Jan Marron

© Qantara.de 2007

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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