Wut über das Desinteresse der Weltgemeinschaft

Gerard Prunier ist wütend. Sein Buch über den Krieg in Darfur macht dies deutlich. Darin beklagt er das Desinteresse der internationalen Gemeinschaft, sich mit dem Konflikt in Darfur ernsthaft auseinander zu setzen. Annette Weber hat es gelesen.

Flüchtlingslager in Süd-Darfur; Foto: AP
Überfülltes Flüchtlingslager in Süd-Darfur in der Nähe der Stadt Nyala

​​Gerard Prunier ist ein profunder Kenner der Region am Horn von Afrika. Lange Jahre hatte er sich mit dem Sudan, mit Ruanda und mit Äthiopien befasst.

Vor allem durch seine Tätigkeit als Wissenschaftler beim Centre National des Recherches Scientifiques (CNRS) in Paris und als Direktor des "Französischen Zentrums für Äthiopische Studien" in Addis Abeba erforscht er eine Region nicht nur, sondern er ist in dieser Region. Er kennt Land und Akteure.

In seinem Buch über den Krieg in Darfur holt Prunier weit aus und zeichnet die Vernachlässigung Darfurs in gebührender historischer Tiefe nach.

Der "Wilde Westen"

"Darfur: Der 'uneindeutige' Genozid" bietet eine äußerst notwendige Zusammenfassung der sudanesischen Politik und ihrer Funktion in Beziehung zum Konflikt in Darfur.

Gerard Prunier; Foto: McGill Centre for Human Rights and Legal Pluralism

​​Gerard Prunier ist seit 1984 Wissenschaftler am Centre National des Recherches Scientifiques in Paris und seit 2001 Direktor des Centre Francais d`Etudes Ethiopiennes in Addis Abeba.
Dabei verbleibt die Geschichte nicht in der abstrakten historischen Aufarbeitung einer Beziehung zwischen politischem Zentrum und Peripherie. Prunier beschreibt die Politisierung dieses Verhältnisses, das sich durch Jahrzehnte – schon vor der Unabhängigkeit – entwickelt hat.

Er erläutert die fragmentierte Architektur des sudanesischen Staatsgebildes, besonders die der weit abgelegenen, nie verstandenen und ungeliebt gebliebenen Weiten Darfurs: des "Wilden Westens".

Dass der Konflikt viel zu spät erkannt und behandelt wurde, ist in der gemeinsamen religiösen Identität der ansonsten heterogenen Bevölkerung Darfurs zu sehen.

Der Konflikt in Darfur ist seit 2003 zu einem offenen Krieg geworden, in dem Frauen vergewaltigt, die Bevölkerung vertrieben oder ermordet wird. Dafür sind viele Faktoren verantwortlich, von denen einige von Prunier ausführlich beschrieben werden.

Auf dem Rücken der Bevölkerung

Bedingt durch die Dürren und den Anstieg der Anzahl der Viehherden verweigerten die sesshaften Fur, die Zaghawa und die Masalit den nomadischen Herdenbesitzer Passierrechte über ihre Felder.

Auch die Machtübernahme von Idris Déby im Tschad (selbst ein Zaghawa) hatte Einfluss auf die Machtverhältnisse in Darfur. Ebenso wie die Unterstützung der arabischen Gruppierungen sowie der Zaghawas von Idris Deby durch den libyschen Staatschef Muammar Ghaddafi gegen das tschadische Regime von Hissène Habré.

Flüchtlingslager im Tschad; Foto: dpa
Sudanesische Flüchtlinge in einem Lager im Tschad

​​Prunier gibt einen wütenden Überblick über den Umgang der Machthaber in Khartum und in den Nachbarländern - vor allem in Libyen – mit Darfur. Denn die politischen und militärischen Implikationen des Kalten Krieges wurden von den Nachbarn vor allem auf dem Rücken der Bevölkerung Darfurs ausgetragen.

Aber auch der Südsudanesischen Rebellenorganisation (SPLA) wirft Prunier vor, sich Darfurs vor allem aus Eigeninteresse angenommen zu haben.

Unter SPLA-Kommandeur Daud Bolad (im früheren Leben ein enger Freund und Verbündeter des islamistisch-militärischen Regimes in Khartum) versuchte der Führer der SPLA, John Garang, 1991 einen schlecht vorbereiteten militärischen Einmarsch nach Süddarfur durchzuführen, der kläglich scheiterte.

Als Konsequenz ergab sich daraus nicht nur eine Fragmentierung der Gruppierungen in der Region (Fur, die mit Bolad kämpften) gegen Murahaleen-Milizen, die von der Regierung eingesetzt wurden.

Vor allem die Südsudanesische Befreiungsbewegung war daraufhin in Darfur diskreditiert. Und auch jetzt, wo sie Teil der Regierung ist, setzt sie sich nicht für die Belange der Marginalisierten in Darfur ein.

Vielleicht ist es sein historischer Blick, der ihn die Gegenwart mit einer schon fast zynischen Distanz kommentieren lässt. Den Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen, die von 2004 bis 2005 unter Leitung der Afrikanischen Union in der nigerianischen Hauptstadt Abuja geführt wurden, bringt Prunier nur Verachtung entgegen. Allerdings lässt er in seinem Buch jegliche Alternative vermissen.

Regionale Dimensionen

Regionale Dimensionen, wie sie jetzt eine immer entscheidendere Rolle im Konflikt in Darfur spielen, werden bei Prunier auf ihre Ursprünge zurückverfolgt. Prunier stellt dar, dass der Konflikt im Tschad nicht nur ein Spillover-Effekt aus dem Darfurkrieg ist, sondern dass er seine Wurzeln in der politischen Interessenpolitik der Region der letzten Jahrzehnte hat.

Er bringt dabei die kulturelle Konstruktion der Rasse als Leitbegriff in die Diskussion ein und beschreibt, wie ein Krieg, der die Verhältnisse im Sudan umdrehen könnte - von der Mehrheit der Muslime (ca. 75 Prozent) zu einer Mehrheit der afrikanischstämmigen Bevölkerung (ca. 65 Prozent) - das Ende des islamistisch-militärischen Regimes in Khartum bedeuten könnte, und warum sich das Regime dagegen wehrt.

Truppen der Afrikanischen Union in West-Darfur
Truppen der Afrikanischen Union in West-Darfur

​​Die Wut, die dieses Buch treibt, ist allerdings weniger in der Geschichte Darfurs begründet, sondern sie entwickelt sich als Reaktion auf das Desinteresse der Welt, sich mit dem Konflikt und der daraus erwachsenden humanitären Katastrophe in Darfur auseinander zu setzen.

Für Prunier ist eine Sicherheitsratsresolution so nichtssagend und leer wie die andere, eine Friedensverhandlung so viel Augenwischerei wie die viel zu kleine, schwache Mission der Afrikanischen Union.

Er wirft der internationalen Gemeinschaft vor, dass gerade der Krieg, die Vertreibung und die Vernichtung, die in Darfur an der Tagesordnung sind, die Region verändern und den Umgang der internationalen Gemeinschaft mit Kriegsverbrechen und Straflosigkeit auf die Probe stellen müssten.

Bitter konstatiert er, dass die internationale Gemeinschaft durch ihr Desinteresse und ihre Uneindeutigkeit klar versagt.

Keine Lösung in Sicht

Dass ein Teil Sudans zu einem failed state inmitten eines autoritären Staates wird, dessen Elite sich täglich am Öl bereichert und dessen Politik in Teilen der arabischen Welt Anklang und in den aufkeimenden Supermächten China und Indien politisch desinteressierte Mitspieler findet, dies alles ist schwer verdaulich.

Annette Weber; Foto: SWP

​​Annette Weber ist Mitglied der "Forschungs-gruppe Naher Osten und Afrika" der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu ihrem Schwerpunkt gehören Somalia und Sudan-Darfur sowie Konflikt-zusammenhänge und regionale Stabilität am Horn von Afrika

Dass dies auch bedeuten wird, dass es in absehbarer Zeit keine Lösung geben wird, ist im Umgang der internationalen Gemeinschaft mit den Kriegen in Afrika jedoch nicht ungewöhnlich.

Bei all seiner Kritik aber lässt Prunier seine eigene Einschätzung offen. Ob er eine Lösung hat, bleibt genauso im Dunkeln wie seine Beurteilung, ob in Darfur nun ein Genozid stattfindet oder nicht.

So präzise er den Konflikt in Darfur historisch aufarbeitet, so grob verdammt er die bislang unternommenen Ansätze zu seiner Lösung. Ob politisch oder militärisch, Prunier hält sie alle für eine Ausweichtaktik der internationalen Gemeinschaft, der Afrikanischen Union und anderer Beteiligter.

Um für den Konflikt in Darfur eine Perspektive anzubieten, hätte man sich eine weniger zynische, lösungsorientiertere Position von Prunier erhofft.

Annette Weber

© Qantara.de 2007

​​Gérard Prunier: Darfur. Der "uneindeutige" Genozid. Aus dem Englischen von Gennaro Ghiradelli. 275 Seiten. 25 Euro. Hamburger Edition, 2007

Qantara.de

Internationaler Strafgerichtshof zu Darfur
Gerichtsstatut mit Tücken
Seit 2005 ermittelt der Internationale Strafgerichtshof gegen die Haupttäter und die Hintermänner der schlimmsten Massaker in Darfur. Über den Stand der Ermittlungen sprach Klaus Dahmann mit dem französischen Völkerrechtler Hadi Shalluf.

Tragödie in Darfur
Wir messen mit zweierlei Maß!
Warum wird das Geschehen in Darfur - im Gegensatz zu den Konflikten im Nahen Osten - weder von den arabischen Medien noch von den Politikern genügend wahrgenommen? Mutaz Al-Fugairi und Ridwan Ziyada versuchen Antworten zu finden.

Konflikt in Darfur
Krieg ohne Grenzen
Im west-sudanesischen Darfur eskaliert die Gewalt ebenso wie im Osten Tschads, gleich jenseits der Grenze. Obwohl beide Konflikte ihre eigenen Ursachen aufweisen, verstärken sie sich gegenseitig. Marc Engelhardt informiert.