Streit um Mitsprache bei Lehrinhalten

Islamische Vereine und Verbände wollen seit Jahren an öffentlichen Schulen Religionsunterricht erteilen oder zumindest über das mitbestimmen, was in den Schulen gelehrt werden soll. Bisher ist dies jedoch in vielen deutschen Bundesländern nicht möglich. Von Vedat Acikgöz

Islamische Vereine und Verbände wollen seit Jahren an öffentlichen Schulen Religionsunterricht erteilen oder zumindest über das mitbestimmen, was in den Schulen gelehrt werden soll. Bisher ist dies jedoch in vielen deutschen Bundesländern nicht möglich. Über die Hintergründe berichtet Vedat Acikgöz.

Foto: dpa
Kinder der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde nehmen in der Moschee in Berlin-Reinickendorf am Islam-Unterricht teil.

​​Der Islamrat und der Zentralrat der Muslime kämpfen seit Jahren vor Gericht darum, an nordrhein-westfälischen Schulen Islam-Unterricht zu erteilen - bisher ohne Erfolg. Denn weil islamische Vereine und Verbände in Deutschland nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt sind, haben sie auch nicht das Recht, Islam-Unterricht an öffentlichen Schulen zu erteilen.

Am 23. Februar nun hoffen der Islamrat und der Zentralrat der Muslime auf die Entscheidung der nächsten Instanz: des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Beobachter stufen die Aussichten auf Erfolg als gering ein.

Denn schon im Dezember 2003 hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster, die Forderung der beiden Spitzenverbände abgelehnt. Begründung: Islamische Dachverbände seien keine anerkannten Religionsgemeinschaften.

Gleiche Rechte für alle Religionen

Somit hätten die klagenden Verbände auch kein Mandat für die Festlegung von inhaltlichen Grundsätzen des Religionsunterrichts. Der Islamrats-Vorsitzende Ali Kizilkaya will das nicht akzeptieren. Schließlich schreibe das Grundgesetz vor, dass Religionsunterricht nur in Zusammenarbeit mit der betreffenden Religionsgemeinschaft erteilt werden könne:

"Dass ein Recht der Muslime den Muslimen vorenthalten wird, darf nicht sein, wobei andere Religionsgemeinschaften in Deutschland dieses Recht beanspruchen können", erklärt Kizilkaya und fügt hinzu: "Außerdem: Derzeit gehen 700.000 bis 800.000 muslimische Kinder in deutsche Schulen - ohne in den Genuss des laut Verfassung in Aussicht gestellten Rechts, am Religionsunterricht teilzunehmen, kommen zu können."

Gerade das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) müsse den politischen Willen zur Einigung zeigen und einen ernsthaften Kontakt zu den Muslimen aufnehmen, so die muslimischen Verbände. Denn in dem Bundesland gehen allein rund 260.000 muslimische Kinder zur Schule.

Fehlender Ansprechpartner

Ihnen will auch NRW-Schulministerin Ute Schäfer das Recht auf Religionsunterricht garantieren. Doch um islamischen Religionsunterricht zu erteilen, brauche man einen geeigneten Ansprechpartner - einen und nicht mehrere. Das Problem sei, dass es sich um verschiedene Verbände handele.

"Unser Ziel wäre es auch, islamischen Religionsunterricht zu erteilen", meint die Schulministerin, "aber solange wir tatsächlich keinen Ansprechpartner haben, wie eine Religionsgemeinschaft, die wir nach dem Grundgesetz brauchen, können wir hier auch von uns aus nicht tätig werden. Wir können nur auf die Einsicht setzen, dass sich die verschiedenen Vereine und Verbände zusammenfinden", so Schäfer.

Tatsächlich sind die muslimischen Vereine und Verbände in Deutschland zerstritten. Viele von ihnen vertreten eine unterschiedliche Auffassung vom Islam und konnten sich deshalb bisher nicht unter einer gemeinsamen Dachorganisation zusammenschließen.

Muslimische Vereine - wie der Islamrat - werden in Deutschland eher als politische Interessenverbände denn als Religionsgemeinschaften gesehen. Bis die muslimischen Verbände untereinander nicht zu einer Lösung gelangen, will die Landesregierung so weitermachen wie bisher.

Islamische Unterweisung als "Alternative"?

Zwar wird an Nordrhein-Westfalens Schulen bisher kein Islam-Unterricht erteilt, der gleichrangig mit dem der anerkannten katholischen und evangelischen Kirche ist. Dennoch gibt es Ansätze: 1998 wurde das Modellprojekt "islamische Unterweisung in deutscher Sprache" als Zusatzfach eingeführt. Schulen können selber entscheiden, ob sie an diesem Projekt teilnehmen.

Bisher haben sich rund 120 öffentliche Schulen mit über 5.000 muslimischen Schülern dazu entschlossen. Der zweite Ansatz ist, dass türkische, arabische und bosnische Kinder eine so genannte islamische Unterweisung als Teil ihres muttersprachlichen Zusatz-Unterrichts erhalten.

Diese Unterweisung solle jedoch - anders als traditioneller Religionsunterricht - nicht zum Glauben hinführen, sondern informieren, betont Ralph Fleischhauer, Sprecher des NRW-Schulministeriums. Der Lehrplan für den islamkundlichen Unterricht stammt aus den 1980er Jahren.

"In diesem Kontext ist ein Lehrplan entwickelt worden, unter Hinzuziehung von Islamwissenschaftlern und Landesinstitut für Schule in Soest", erklärt Fleischhauer. "Das existiert nun mal. Wir haben diesen Lehrplan genommen und haben ihn einfach ins Deutsche transferiert und als Grundlage für dieses Projekt gemacht."

Denn das Material wurde nicht in deutscher Sprache erarbeitet, sondern eben in der anderen Muttersprache der Kinder - beispielsweise auf Türkisch oder Arabisch.

Dass sie selbst bei der Festlegung der Inhalte ausgeschlossen geblieben sind, wird von den islamischen Vereinen und Verbänden kritisiert. Für den Islamrats-Vorsitzender Ali Kizilkaya kann nicht sein, dass der religions-neutrale Staat entscheidet, was muslimische Kinder zu lernen haben und wie die Religion vermittelt werden soll:

"Die Wissenschaftler sind nicht die Autoritäten der Religion. Das ist ja auch nicht im christlichen Religionsunterricht so, dass beliebige Wissenschaftler zu Rate gezogen werden und dann katholischer oder evangelischer Religionsunterricht erteilt wird. Nein, das wird mit den Kirchen gemeinsam gemacht - und das soll genauso im Falle mit den muslimischen Religionsgemeinschaften sein", meint der Islamrats-Vorsitzende.

Konsens nicht in Sicht

Ein Konsens zwischen islamischen Verbänden und der Landesregierung scheint nicht in Sicht. Doch ein erster Annäherungsversuch wurde von der Landesregierung unternommen: Man habe den Verbänden angeboten, an einem Beirat - als beratendes Gremium - für die Islamische Unterweisung teilzunehmen, betont Fleischhauer.

Diese hätten das Angebot auch angenommen, mit dem Ziel, die islamische Unterweisung in deutscher Sprache weiterzuentwickeln.

"Uns ist durchaus daran gelegen, dass dieses Angebot auf Akzeptanz stößt", so der Sprecher des NRW-Schulministeriums. "Denn was nützt ein Angebot, über das möglicherweise muslimische Dachorganisationen ihren Mitgliedern, ihren Anhängern sagen: ‚Dieser Unterricht ist nichts, geht nicht dorthin’? Wir wollen ja, dass möglichst viele Jugendliche diesen Unterricht bekommen, in dem ein Bild des Islams vermittelt wird, das eben Teil der friedfertigen Gesellschaft ist. Und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind", so Fleischhauer.

Das aber reicht den muslimischen Verbänden nicht. In diesen Beiräten hätten sie nur beratende Funktion, über die Lehrinhalte könne man nicht mitentscheiden, kritisiert Kizilkaya. Er fordert dieselben Rechte, wie es die Kirchen in Deutschland bei der Unterrichtsgestaltung bereits haben.

Die Lehrpläne für den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht werden von jedem Bundesland unter Mitarbeit von Lehrern, die das Fach unterrichten, entwickelt. Wie das funktioniert, erklärt Fleischhauer:

"Die Kirchen haben dann so eine Art Veto-Recht. Das heißt, der Lehrplan wird vorgelegt und man einigt sich dann irgendwie, was bisher mit den Kirchen auch kein Problem gewesen ist. Ähnliches würde das auch mit einer islamischen Glaubensgemeinschaft passieren", so der Sprecher des NRW-Schulministeriums.

Dann würden zwar die Lehrpläne auch unter staatlicher Verantwortung entwickelt, aber die islamische Gemeinschaft hätte dann eine Art Veto-Recht - sie könnte also zustimmen oder ablehnen, glaubt Fleischhauer.

Gegengewicht zum radikalen Islamismus

Das würde aber erst möglich sein, wenn das Bundesverwaltungsgericht am 23. Februar der Klage der beiden Spitzenverbände Recht gäbe und sie als Religionsgemeinschaft anerkennen würde. Dann könne man auch in der Schule mit dem Islam-Unterricht ein Gegengewicht zu fundamentalistischen Strömungen setzen, hofft Fleischhauer:

"Denn es gibt natürlich darüber hinaus auch fundamentalistische Verbände, Kreise, Moschee-Vereine - ohne sie jetzt einzeln diffamieren zu wollen, denn nicht bei allen ist das so. Aber wir wollen hier ein Gegengewicht setzen", argumentiert Fleischhauer.

Schließlich sei die Schule ein öffentlich kontrollierbarer Raum. Dem Schulministerium läge viel daran, dass es staatlich entwickelte Lehrpläne und staatlich verantwortete Lehrpläne gebe.

"Wenn es Religionsgemeinschaften gibt, dann werden die Pläne mit ihnen abgestimmt", sagt Fleischhauer, "und so holen wir einen Unterricht über den Islam in die Schule und vermitteln damit öffentlich ein Bild des Islams, in Übereinstimmung mit den islamischen Religionsgemeinschaften - wenn es sie denn gibt."

Vedat Acikgöz

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005