Dem Leben in Gaza entkommt man nicht

Reham al-Kahlout ist 19 Jahre alt und hat sich einen unmöglichen Job ausgesucht: Sie unterhält Menschen an einem Ort, an dem es nicht viel zu lachen gibt. Sie wird dafür sogar von der eigenen Familie kritisiert. Von Peter Münch aus Gaza-Stadt

Von Peter Münch

Als Verkehrspolizistin steht Reham al-Kahlout auf einer staubigen Kreuzung: die Fingernägel signalrot lackiert, die Uniform figurbetont, das lange Haar weht im Wüstenwind. Sie will die Autos durchwinken, doch vor ihr bildet sich ein langer Stau. "Fahrt doch, fahrt doch", ruft Reham al-Kahlout. Doch einer der Kerle, die ihre Köpfe aus dem Autofenster recken, um sich diesen Anblick nicht entgehen zu lassen, erwidert: "Nein, nein, wir sind gerne hier." So geht Comedy im palästinensischen Gazastreifen.

Viel zu lachen gibt es dort sonst nicht, jede Abwechslung sollte eigentlich willkommen sein. Doch selbst dieser harmlose Videoclip hat Reham al-Kahlout im sittenstrengen Reich der Hamas eine Menge wütende Kritik eingebracht: "Das ist doch keine Kunst, das ist eine Schande", schrieben einige auf ihrer Facebook-Seite. Eine anständige Frau, das war der Tenor, tut so etwas nicht.

Im Gazastreifen muss man als Comedian nicht nur lustig sein

Reham al-Kahlout ist 19 Jahre alt, sie ist Comedian. Sie lacht gern und viel, "das ist mein Charakter", sagt sie. Doch im Gazastreifen muss man als Comedian nicht nur lustig sein, sondern auch mutig. Deshalb ist sie die einzige Frau in diesem Genre weit und breit, natürlich auch die einzige, die an diesem Sommermorgen auf der Café-Terrasse sitzt ohne Kopftuch, dafür mit Jeans und Turnschuhen. Als sie reinkommt, staunt der Kellner und die Gäste tuscheln. Kein leichter Auftritt. "Manchmal werde ich auf der Straße erkannt", sagt Reham al-Kahlout. Dann lacht sie.

Sie ist Teil einer jungen palästinensischen Comedy-Truppe namens "Bas ya zalama". Ihre Videoclips werden von einem lokalen Fernsehsender verbreitet und übers Internet. Die Jungs aus der Gruppe, so erzählt sie, werden überall zu Selfies genötigt, sie werden bewundert und verehrt, nur Reham al-Kahlout wird beschimpft.

"Früher, bevor ich dazukam, haben Männer auch die Frauenrollen gespielt. Das fanden alle okay", sagt sie. "Nur wenn ich eine Frauenrolle spiele, gibt es Ärger. Das ist doch verrückt." Doch so sind die Konventionen, und Reham al-Kahlout kämpft dagegen an, mit nichts als dem Humor als Waffe. "Comedy ist der beste Weg, die Leute zu Veränderungen zu bringen", glaubt sie. "Sie lachen ja, weil es ihre Wirklichkeit ist, über die wir uns lustig machen, weil es ihr Verhaltenzeigt und ihre Dummheit."

Der Familienrat veröffentlichte eine Erklärung - gegen sie

Einen Nerv getroffen hat sie dabei selbst in der eigenen Familie. Der weit verzweigte Kahlout-Clan hat einen guten Namen in Gaza, auch in den Reihen der Hamas. Sehr konservativ ist die Großfamilie, und als Reham plötzlich im Fernsehen auftauchte, da veröffentlichte der Familienrat eine Erklärung, die sie auswendig aufsagen kann: "Wir mögen nicht, was sie macht, und wir akzeptieren nicht, dass sie ohne Verschleierung aus dem Haus geht", hieß es darin. "Das war ein gewaltiger Druck", sagt Reham al-Kahlout.

Comedy-Star Reham al-Kahlout; Foto: Peter Münch
Reham al-Kahlout ist 19 Jahre alt, sie ist Comedian. Sie lacht gern und viel, "das ist mein Charakter", sagt sie. Doch im Gazastreifen muss man als Comedian nicht nur lustig sein, sondern auch mutig.

Sie selbst hat auf diesen Druck erst einmal mit Rückzug reagiert. Wochenlang ging sie nicht aus dem Haus - bis sie sich sagte: "Ich werde mich doch nicht selber umbringen, nur um anderen zu gefallen." Die Mutter stand sowieso auf ihrer Seite, der Vater war erst wütend, dann hat er sich gefügt. "Durch Kritik lasse ich mich nicht mehr aufhalten", sagt sie, "aber wenn meine Eltern mich nicht unterstützen würden, könnte ich das nicht machen."

Der Traum von der Comedy

So hält sie ihren Traum am Leben von der Comedy. Vorbilder hat sie keine, die sind alle zu weit weg - geografisch und von den Bedingungen, unter denen sie lebt und über die sie lacht. Gern würde sie eine Schauspielschule besuchen, doch so etwas gibt es nicht im Gazastreifen. Und noch lieber würde sie nach Ägypten gehen: "Da wird die Kunst geschätzt." Doch die Grenzen sind dicht. Dem Leben in Gaza entkommt man nicht.

Also studiert sie Jura, das ist immerhin Familientradition. "Ich werde das wohl irgendwann abschließen", sagt sie, "aber ich werde nie als Anwältin arbeiten." Und noch etwas anderes gibt es, von dem sie sagt, dass sie das niemals machen wird: heiraten in Gaza. Es ist noch nicht lange her, da war das tatsächlich ein Thema. Ein entfernter Verwandter der Mutter hatte, so wie das üblichist, bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten. "Die Bedingung war, dass ich mich besser anziehen und die Comedy aufgeben sollte", erzählt sie. "Das kommt überhaupt nicht in Frage."

Das Thema immerhin taugt für ein paar Comedy-Clips über böse Schwiegermütter oder die jungen Männer, die auf Brautschau gehen. "Wenn sie sich verloben, dann sind sie nett und freundlich", sagt sie, "und nach der Hochzeit verwandeln sie sich in Monster." Darüber können sie dann in Gaza lachen.

Oder auch nicht.

Peter Münch

© Süddeutsche Zeitung 2017