Wieder im Gespräch: Goethe und der Koran

"Gottes ist der Orient! Gottes ist der Occident!", war Goethe überzeugt. Ein Abend in der Katholischen Akademie in Bayern spürte den Verbindungen zwischen muslimischer und christlicher Dichtung nach.

Wie kein anderer deutscher Dichter hat sich Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) mit Orient und Islam beschäftigt. Das reicht vom frühen "Mahomet-Fragment" (1772/73) bis zum späten Gedicht-Zyklus "West-östlicher Divan" (1819). Lange wurde diese Seite seines Schaffens von der Wissenschaft ignoriert. Erst in den vergangenen Jahren änderte sich das. Der Tübinger Theologe und Literaturwissenschaftler Karl-Josef Kuschel hat dieser Tage sein neues Buch "Goethe und der Koran" vorgelegt. Anlass für die Katholische Akademie in Bayern mit ihm darüber zu sprechen.



Heraus kam ein klassisches Gelehrtengespräch mit zwei Kennern der Materie. Denn neben Kuschel war am Dienstagabend in München der Philosoph und Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi zu Gast, der an der Universität in Münster lehrt und selbst den Koran übersetzt hat.



Goethe kannte die Heilige Schrift des Islam, er hat sie exzerpiert und kommentiert. Seine Schreibübungen im Arabischen sind überliefert. Bereits in seinen Zwanzigern, in den Jahren des Sturm und Drang, beschäftigte er sich damit. Es ist die Zeit des vierten Türkenkrieges und des Antiislamismus. Für den Schöngeist hat der Koran etwas Faszinierendes und Abstoßendes zugleich: ein Buch eben, "das uns immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt", hält er einmal fest.

Goethe und der Orient: Was den Dichter in die geistige Ferne trieb



Viel später bekommt Goethe noch einmal einen ganz anderen Zugang. Als er mit fast 70 Jahren die Gedichte des Persers Hafis mit dem Titel "Diwan" in die Hand bekommt, ziehen ihn diese Texte aus einer Lebenskrise. Goethe erlebe das Heitere und Sinnliche durch die Einübung in die Gottesergebenheit, erläutert Kuschel. So werde Hafis für Goethe zum Dialogpartner. 1819 verfasst der Dichterfürst schließlich seinen berühmten "West-östlichen Divan".



Bei Goethe verschwistern sich auf einmal der Christ und der Muslim: "Gottes ist der Orient!/Gottes ist der Occident!/Nord- und südliches Gelände/Ruht im Frieden seiner Hände." Einmal mehr vertieft sich der Dichter in die Botschaften des Koran, bis hin zu dem Satz "Im Islam leben und sterben wir alle". Die Dankbarkeit für die Schöpfung, die der Koran den Menschen ans Herz legen möchte, und dass der Mensch Verantwortung für diese hat, ist eine Goethe nahegehende Spiritualität. Er glaubt dadurch, eine tiefe, innere Freiheit zu erfahren.



In seinem Gedicht "Freysinn" versucht er seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen: "Lasst mich auf meinem Sattel gelten!/ Bleibt in euren Hütten, euren Zelten!/Und ich reite froh in alle Ferne,/Über meiner Mütze nur die Sterne./ Er hat euch die Gestirne gesetzt/Als Leiter zu Land und See;/Damit ihr euch dran ergötzt,/Stets blickend in die Höh." Bei aller Schwärmerei, Goethe sei dennoch kein Koranforscher gewesen und habe auch kein Arabisch gekonnt, sind sich Karimi und Kuschel einig. Er bleibe der Poet, der nur das Schöne aus dem Koran ziehe, das Grausame aber außen vorlasse.



Dazu muss man wissen, dass gerade einmal acht Prozent der Texte im Koran sich mit der Hölle befassen und all dem, was mit Vernichtung zu tun hat, gibt Karimi zu bedenken. In mehr als 90 Prozent werde die Schönheit der Schöpfung betont. "Das Wesentliche am Koran ist der Weg über die Ethik zur Liebe der Welt", erläutert der Experte. Der Koran bleibe etwas Erhabenes. Er sei kein Text für die Anwendung im Alltag - wie kämpferische Muslime der Öffentlichkeit immer wieder weismachen wollten. Kuschel wiederum sieht seine Analysen weniger als einen weiteren Beitrag zur Goethe-Forschung, sondern vielmehr als einen zum interreligiösen Dialog. (KNA)

 

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