Der Vormarsch des Englischen

Die neuesten Entscheidungen der algerischen Regierung zugunsten des Englischen im Bildungssystem stellen nur eine weitere Etappe im langjährigen Streit zweier ideologischer Lager im Land dar. Von Abu Bakr Khaled Saad Allah

Von Abu Bakr Khaled Saad Allah

Im Juni 2022 machte der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune internationale Schlagzeilen mit seiner Ankündigung, Englisch werde Unterrichtsfach an den Grundschulen Algeriens. Im Mai dieses Jahres ging er noch einen Schritt weiter und kündigte für die weiterführenden Schulen ein Lernprogramm zur Förderung des Englischen an, um die "Beschäftigungskrise“, wie er es nennt, zu bewältigen. 

Nach dieser Ankündigung des Präsidenten wies der Generalsekretär des Ministeriums für Hochschulbildung die Direktoren der Universitäten an, sich für das Studienjahr 2023/2024 auf die Einführung von Englisch als Sprache der Lehre vorzubereiten. 

Man muss zurückblicken in die Zeit vor der Unabhängigkeit Algeriens, um zu verstehen, welche Tragweite diese Entscheidungen haben. Vor 1962 war Bildung nur für eine kleine Gruppe aus der algerischen Elite zugänglich und fand meist in französischer Sprache statt. Darüber hinaus gab es eine Handvoll unabhängiger Schulen, die Unterricht auf Arabisch anboten, um die Muttersprache des Landes in der Bildung zu etablieren. 

Nach der Unabhängigkeit war das Bildungssystem Algeriens durchgängig zweisprachig, was zu einer Polarisierung der öffentlichen Meinung führte: Während die einen den Unterricht in französischer Sprache befürworteten, ihn als "Kriegsbeute“ bezeichneten, plädierten andere für Arabisch als Nährboden der nationalen Identität. Dieser Konflikt um den Stellenwert der beiden Sprachen dauert bis heute an, wird politisch ausgetragen und angetrieben von den jeweiligen Standpunkten der führenden Politiker des Landes.

Sprachenlernen in Algerien; Foto: DW/R.Ichalalen
Eine Lösung für den Sprachenstreit? "Dem Arabischen sollte der Stellenwert eingeräumt werden, der ihm als nationaler Sprache und Amtssprache gebührt. Dem Englischen muss auf den verschiedenen Bildungsebenen eine größere Bedeutung zukommen, ohne dabei der französischen Sprache zu schaden, mit der Algerien historisch verbunden ist", schreibt Abu Bakr Khaled Saad Allah. 



Mitte der 1970er Jahre beschlossen die Regierenden, sich von den bestehenden französischen Lehrplänen zu lösen. Sie führten ein Gemeinschaftsschulsystem ein, das für die Primar- und Sekundarstufe Arabisch als Unterrichtssprache vorsah. Anfang der 1990er Jahre wurde dies auf die höhere Bildung ausgedehnt, doch die Befürworter des Französischen setzten sich erfolgreich dafür ein, dass die naturwissenschaftlichen Fakultäten an den Universitäten von dieser Arabisierungswelle nicht betroffen waren. 

Ängste und ideologische Gräben 

In der Zwischenzeit blieb ein weiterer Konflikt über die Einführung des Englischunterrichts in der Grundschule ungelöst. Während Französisch bereits ab dem dritten Schuljahr unterrichtet wurde, gab es Englisch erst wahlweise als dritte Sprache ab der Mittelstufe. Die Befürworter des Französischen weigerten sich, Englischunterricht in der Grundschule zuzulassen.



Anfang der 1990er Jahre spitzte sich die Auseinandersetzung zu, als der damalige Bildungsminister, ein Befürworter der Arabisierung, den Grundschülern die Möglichkeit gab, zwischen Französisch und Englisch zu wählen. Die daraufhin entbrannte Debatte war ein gefundenes Fressen für die algerischen Medien, doch einige Jahre später wurde diese Möglichkeit eingestellt und Englisch verschwand wieder aus der Grundschulbildung. 

Der Streit ist Ausdruck der ideologischen Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern – den Anhängern des Französischen auf der einen und den Anhängern des Englischen auf der anderen Seite – und der Angst, ihren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu verlieren.

Sprachenlernen in Algerien; Foto: DW/R.Ichalalen
Frankreichs Einfluss: Auch wenn es Sache des Bildungsministeriums ist zu entscheiden, ob in den Grundschulen Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wird, berührt das Thema auch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Algeriens zu Frankreich. Tendenziell verbessern sich die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern immer dann, wenn Algerien die französische Sprache in Schulen, Universitäten und der öffentlichen Verwaltung fördert. Sie verschlechtern sich meist dann, wenn politische Entscheidungen zugunsten von Englisch oder Arabisch fallen.  



Wenn sich Englisch als Bildungssprache allmählich durchsetzen würde, ginge das zulasten der Frankophonie in der algerischen Gesellschaft insgesamt, zumal sich die Jugend tendenziell eher für Englisch als Französisch entscheidet.



Die Hinwendung zum Englischen würde auch den Befürwortern der Arabisierung zugutekommen, die seit Langem eine Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt beklagen. Es bestehe keine Chancengleichheit bei der Jobsuche in Verwaltungen und Unternehmen, da hier Französisch die Arbeitssprache ist. 

Der französische Einfluss 

Auch wenn es Sache des Bildungsministeriums ist zu entscheiden, ob in den Grundschulen Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wird, berührt das Thema auch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Algeriens zu Frankreich.



Tendenziell verbessern sich die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern immer dann, wenn Algerien die französische Sprache in Schulen, Universitäten und der öffentlichen Verwaltung fördert. Sie verschlechtern sich meist dann, wenn politische Entscheidungen zugunsten von Englisch oder Arabisch fallen. 

Im Jahr 2019 versuchte der Minister für Hochschulbildung, die Öffentlichkeit dafür zu gewinnen, an den Universitäten Französisch durch Englisch als Sprache von Forschung und Lehre zu ersetzen. Obwohl er auf die Bedeutung des Englischen als internationaler Wissenschaftssprache hinwies und auf die Notwendigkeit, ausländische Studierende ins Land zu holen, wurde sein Vorstoß abgelehnt, und er trat zurück, ohne sein Ziel erreicht zu haben. 

Algerien Institut für Englisch der Universität Algier; Foto: DW/Y. Boudhane
Ideologische Gräben: Wenn sich Englisch als Bildungssprache allmählich durchsetzen würde, ginge das zulasten der Frankophonie in der gesamten algerischen Gesellschaft, zumal sich die Jugend tendenziell eher für Englisch als Französisch entscheidet. Die Hinwendung zum Englischen würde auch den Befürwortern der Arabisierung zugutekommen, die seit Langem eine Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt beklagen. Es bestehe keine Chancengleichheit bei der Jobsuche in Verwaltungen und Unternehmen, da hier Französisch die Arbeitssprache ist.  



Dennoch blieb die Frage der Einführung von Englischunterricht in der Primarstufe auf dem Tisch und wurde im Juni 2022 wieder aktuell. Trotz des Zeitdrucks, der durch Tebbounes Entscheidung entstanden ist, scheint die Regierung diesmal fest entschlossen zu sein, ihre Entscheidung umzusetzen. Dabei hilft ihr die Tatsache, dass Eltern von Grundschülern, die sich noch an den Misserfolg des Experiments aus den 1990er Jahren erinnern können, eher hinter dieser Entscheidung zu stehen scheinen. 

Der knappe Zeitplan für die Umsetzung des Beschlusses könnte jedoch den Erfolg dieser Bemühungen gefährden und es den Befürwortern des Französischen erneut ermöglichen, die Umstellung zu verhindern. Was in diesem Krieg um die Sprachen ebenfalls noch zu klären bleibt, ist der Status der arabischen Sprache in der Hochschulbildung. Weder die Studenten noch die Entscheidungsträger scheinen derzeit willens, diesen Status zu klären. 

Zusammenfassend lässt sich angesichts der Geschichte und der Zukunft des Landes eine Lösung für das Sprachendilemma aufzeigen: Dem Arabischen sollte der Stellenwert eingeräumt werden, der ihm als nationaler Sprache und Amtssprache gebührt. Dem Englischen muss auf den verschiedenen Bildungsebenen eine größere Bedeutung zukommen, ohne dabei der französischen Sprache zu schaden, mit der Algerien historisch verbunden ist. 

Abu Bakr Khaled Saad Allah  

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Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt