Getrübte Hoffnungen auf demokratischen Wandel

Obwohl erstmals unabhängige Kandidaten zugelassen wurden, zweifeln viele Ägypter an Sinn und Veränderungspotenzial dieser Wahl. Zu sehr scheinen sie den Glauben an politische Partizipation im Laufe der letzten Jahrzehnte verloren zu haben.

Obwohl erstmals unabhängige Kandidaten in Ägypten zugelassen wurden, zweifelt ein Großteil der Bevölkerung an Sinn und Veränderungspotenzial dieser Wahl. Zu sehr scheint sie den Glauben an politische Partizipationsmöglichkeiten im autoritären Mubarak-Staat der letzten Jahrzehnte verloren zu haben. Veit Medick berichtet aus Kairo

Demonstranten in Kairo, Foto: AP
"Genug ist genug!" - Proteste gegen eine fünfte Amtszeit Mubaraks in Kairo

​​Als Ägyptens amtierender Präsident Hosni Mubarak im Februar dieses Jahres eine Verfassungsänderung ankündigte, die zukünftig neben dem Amtsinhaber auch weitere parteigebundene und unabhängige Kandidaten zur Präsidentschaftswahl zulassen sollte, wurde dies vielerorts als Sensation gewertet.

Nicht nur innerhalb Ägyptens provozierte diese überraschende Bekanntgabe Verwunderung und Hoffnung. Auch internationale Akteure interpretierten diesen Schritt als Meilenstein in Richtung freier, demokratischer Wahlen. In Ägypten hat sich die erste Aufregung inzwischen gelegt.

Verfassungsänderung als politische Überlebensstrategie

Schnell wurde vermutet, dass es sich bei der Verfassungsänderung um einen geschickten Überlebenstrick Mubaraks handelte, um das Land weitere sechs Jahre zu regieren und seine Amtszeit somit auf 30 Jahre auszuweiten. Zudem wurde der Schritt vornehmlich internationalem Druck zugerechnet.

Zeitgleich zur Ankündigung der politischen Öffnung erfuhren innenpolitische Protestbewegungen im Rahmen von Demonstrationen eine Repressionswelle von ungekannter Härte, die sich bis zu Beginn der Wahlen hinzog.

Während die einen nun an der Ehrlichkeit und an der tatsächlichen Reformfähigkeit der Regierung Mubarak erheblichen Zweifel haben, so deuten andere die Verfassungsänderung als nicht zu unterschätzenden Schritt der politischen Liberalisierung.

Zehn Parteien haben Kandidaten aufgestellt, darunter auch der junge Ayman Nur, einer der prominentesten Intellektuellen Ägyptens. Nur wenige Parteien haben trotz der antizipierten Aussichtslosigkeit und Manipulation zum Boykott aufgerufen. Seit dem 17. August läuft die offizielle Kampagnenphase der Bewerber.

Omnipräsenz Mubaraks

Zwar wird anhand des Straßenbilds überdeutlich, wem der Löwenanteil an öffentlicher Aufmerksamkeit zukommt: Plakatwände und Fahnen mit den Konterfeis und Wahlslogans des amtierenden Präsidenten Mubarak zieren nahezu jede Straßenecke.

Dennoch spricht einiges für eine zumindest ansatzweise veränderte politische Atmosphäre: Kandidaten haben ihre eigenen Zeitungen, tagtäglich fahren sie das Land ab, lassen sich interviewen und treten im Fernsehen auf. Internetauftritte, die speziell für die Wahl geschaffen wurden sind keine Seltenheit.

Seit Samstag steht fest, dass die Vereinigung der ägyptischen Richter gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen die Wahl beobachten wird. Als Beobachter gewinnt man den Eindruck, es habe sich einiges getan in der politischen Landschaft Ägyptens.

Der Ingenieur Shady Botros sieht das anders. Er ist Anhänger der Bewegung "Kifaya" ("Genug"), die zu Beginn des Jahres als heterogene Protest- und Reformorganisation hauptsächlich von linken Journalisten und Intellektuellen aber auch von Mitgliedern der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet wurde und inzwischen rund 3000 Mitglieder zählt.

Botros ist überzeugt: "Die politische Situation wird nach der Wahl katastrophaler aussehen als vorher." Für ihn wie für viele andere Ägypter ist die Verfassungsänderung nichts anderes als ein gut zu instrumentalisierendes Anpassungsmanöver an internationale Forderungen nach politischer Öffnung – ein zweischneidiges Schwert im wahrsten Sinne des Wortes.

Druck von außen – Repression nach innen

Die nach außen propagierte Reformbereitschaft und die daraus resultierende abnehmende internationale Beobachtung hätten der Regierung nach innen ein gewisses Maß an Repressionsmöglichkeit geboten, die sich in der teilweise brutalen Behandlung von Demonstranten zeige.

Botros hat die große Befürchtung, dass auch die Wahlen - trotz erwarteter Manipulation - als klare Legitimation instrumentalisiert und als Deckmantel für die Politik der kommenden sechs Jahre benutzt werden.

Für ihn steht fest, dass die folgende Legislaturperiode von der Fortsetzung der Politik des Einschüchterns und der Unterdrückung jeglicher Freiheit bestimmt sein wird:

"In einem Land, in dem nahezu alles – von der Wahl zum Universitätspräsidenten bis zur Gründung einer Partei – von der Zustimmung der Regierung abhängt, ist der Glaube an die Wirksamkeit und an den Sinn der politischen Mitgestaltung verkümmert. Dies wird die Regierung ausnutzen."

Diese Einschätzung stößt jedoch in anderen Teilen der Bevölkerung auf Widerspruch. "Auch ein Baum wächst aus einem Samen" sagt Moataz El Fegiery. Der 24jährige ist seit drei Jahren für das politische Programm einer der renommiertesten arabischen Nichtregierungsorganisationen, dem "Cairo Insitute for Democracy and Human Rights", verantwortlich.

Kurzfristiger Veränderungsprozess ausgeschlossen

Man bemerkt schnell, dass auch ihm nicht gerade Euphorie ins Gesicht geschrieben steht - zu sehr hat ihn die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die Repression und die Alternativlosigkeit innerhalb des ägyptischen politischen Systems geprägt.

Wie viele seiner Generation ist er davon überzeugt, dass das Ergebnis der kommenden Wahl bereits feststeht und keinesfalls kurzfristig einen Veränderungsprozess einläuten wird.

Dennoch betont er die Notwendigkeit, diesen ersten Reformschritt als Ausgangspunkt einer größeren politischen Transformation zu interpretieren:

"Diese Wahl bietet für viele Parteien - wenn auch begrenzt - die Möglichkeit, ihre politischen Vorstellungen zu präsentieren und somit auf ihre Alternativen aufmerksam zu machen." Für El Fegiery ist sie daher Ausgangspunkt für den Kampf um eine neue Atmosphäre der freien Meinungsäußerung als Grundlage eines neuen gesellschaftlichen Bewusstseins.

Die Rolle der Muslimbrüder

Sich an diesen Strohhalm zu klammern, wird in Ägypten von großer Bedeutung sein, scheint es doch für die meisten Ägypter inmitten einer miserablen Wirtschaftslage und immens hoher Arbeitslosigkeit nur zwei Lösungen zu geben: Mubarak oder die Religion.

Obwohl die ägyptische Muslimbruderschaft als politische Partei verboten ist und somit keinen Kandidaten ins Rennen schicken kann, genießt sie in weiten Teilen der Bevölkerung ein sehr großes Ansehen.

Seit Jahrzehnten versucht sie, das Vakuum, das der Staat besonders in sozialen Bereichen und Bildungseinrichtungen hinterlässt, auszunutzen und sich durch Ersatzangebote unter religiösen Vorzeichen die Unterstützung ihrer Anhänger zu sichern.

Trotz des Verbots, eigene Bewerber aufzustellen, hat die Organisation angekündigt, die Wahlen nicht zu boykottieren, auch wenn sie auf eine Unterstützung eines bestimmten Kandidaten verzichtet.

Dieser Schritt scheint von großer Bedeutung zu sein, da er den Anhängern nahe legt, nach politischen Alternativen, die zumindest Teile ihrer politischen und gesellschaftlichen Überzeugung abdecken, Ausschau zu halten.

Gerade die unterprivilegierte Bevölkerungsschicht in Ägypten ist es, die in den politischen Gestaltungsprozess miteinbezogen werden muss, da ansonsten ihre Zuwendung zur Religion mit all ihren Folgen den Werdegang der ägyptischen Gesellschaft bestimmt.

Politische Aufklärung und zivilgesellschaftliches Engagement

Hierin sieht auch El-Fegiery die Hauptaufgabe der Zivilgesellschaft: "Unser Ziel ist es, demokratische Reformen, die noch immer Appelle der gesellschaftlichen Elite sind, zu Forderungen der breiten Bevölkerung zu machen."

Gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen wurde im Rahmen der Präsidentschaftswahl ein Programm initiiert, das dazu bestimmt ist, das Interesse der gesamten Wählerschaft zu wecken.

Seit mehreren Wochen arbeiten hauptamtliche Mitarbeiter und freiwillige Helfer daran, die Presseberichterstattung über die jeweiligen Kampagnen zu beobachten und auszuwerten.

Ahmed Samih, Direktor der Organisation "Andalus", ist von der Bedeutung dieses Projekts überzeugt: "Es ist an der Zeit, die ägyptische Bevölkerung über die extrem regierungsfreundliche Berichterstattung aufzuklären und sie anhand unserer Arbeit auf das Ungleichgewicht aufmerksam zu machen."

17 Zeitungen und fünf Fernsehkanäle werden untersucht, 15 Freiwillige arbeiten allein für sein Institut von morgens um neun bis nachts um eins an dieser Aufgabe. Durch regelmäßige Veröffentlichung von Zwischenberichten und Zeitungsartikeln sowie Pressekonferenzen werden dabei die Untersuchungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Selbst wenn das Projekt auf die aktuelle Wahl noch keine direkten Auswirkungen haben sollte, so ist sich Samih sicher, dass der Druck auf eine neutralere Berichterstattung der Medien vor der Parlamentswahl im November erhöht wird und innerhalb der Gesellschaft Tendenzen unterstützt werden, die dem Sinn für freie Meinungsäußerung zu neuem Leben verhelfen können.

Chancen für einen politischen Wandel?

Inmitten der Präsidentschaftswahl scheint zwar in weiten Teilen der Bevölkerung noch immer die Skepsis an der Reformbereitschaft der Regierung Mubarak und am Sinn und Zweck der politischen Beteiligung zu überwiegen.

Angesichts von Unregelmäßigkeiten bei bisherigen Wahlen und Referenden, dem aktuellen Verbot einer internationalen Wahlbeobachtung und einer sehr zweifelhaften staatlichen Wahlkommission ist diese Skepsis als eine durchaus logische Konsequenz zu werten.

Dennoch deuten nicht nur Beispiele zivilgesellschaftlicher Akteure auf mögliche Transformationspotenziale hin. Selbst wenn viele mit den tausenden von politischen Botschaften nur wenig anfangen können und Enthusiasmus - aufgrund von greifbaren Alternativen - nicht in Sicht ist, so ist allein die Tatsache, dass die Bevölkerung diesen Botschaften ausgesetzt ist, ein wichtiges Moment der Veränderung.

Die bisherige Dynamik, die in den letzten Jahrzehnten von der Abstinenz von Versuchen, Menschen in die Politik zu involvieren, charakterisiert wurde, wird mit der diesjährigen Präsidentschaftswahl entscheidend durchbrochen.

Veit Medick

© Qantara.de 2005

Der Autor ist freier Publizist und lebt in Berlin.

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