Reformfieber

In Ägypten sollen bei der Präsidentenwahl erstmals mehrere Kandidaten antreten dürfen. Das Parlament stimmte nun dem Antrag von Präsident Mubarak zu. Ein Kommentar von Ghassan Moukahal

In Ägypten sollen bei der Präsidentenwahl im September erstmals mehrere Kandidaten antreten dürfen. Das Parlament stimmte nun dem Antrag von Staatspräsident Mubarak zu. Ghassan Moukahal analysiert die Hintergründe.

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Demonstration vor der Universität in Kairo: kritische Stimmen im Inneren und Druck von außen führten zu einer Verfassungsänderung in Ägypten

​​Vor einigen Monaten wurde im Cover-Artikel der "Newsweek" argumentiert, dass jede bedeutsame Reform im Nahen Osten in Ägypten ihren Ausgang nehmen müsse, und nicht im Irak oder irgendeinem anderen Land. Das ist kein neues Argument. Ägyptens kulturelles und politisches Gewicht innerhalb der Region reicht Jahrhunderte zurück.

Während der letzten Monate rief Präsident George W. Bush Ägypten und Saudi-Arabien mehrfach dazu auf, ernsthafte Reformen auf den Weg zu bringen, und die meisten Experten stimmen darin überein, dass die gegenwärtig zu beobachtenden Reformbemühungen dieser beiden wie auch anderer Länder im Mittleren und Nahen Osten eine Reaktion auf eben diese Forderungen der USA sind.

Das heißt keineswegs, dass es nicht auch Druck von innen gegeben hätte, Ägypten und die Region zu reformieren. Appelle für Demokratie, Gewaltenteilung, Pluralität und den Respekt der Menschenrechte waren immer wieder zu hören.

Doch ungeachtet dessen, ob die Motive für die Reformen innerer oder äußerer Natur sind, handelt es sich dabei um eine zentrale Problematik, und Präsident Mubaraks Statement darf durchaus als Ausrufung einer zweiten Republik angesehen werden.

Druck aus dem Ausland

Die Wahl des ägyptischen Präsidenten durch freie Stimmabgabe gehörte dabei nie zu den wirklich populären Forderungen, sondern war eher ein Anliegen einer Minderheit von Intellektuellen und Oppositionellen. Was für die ägyptische Öffentlichkeit wirklich zählt, sind Fragen wie die Arbeitslosigkeit, bessere Lebensbedingungen und Abschaffung von Korruption und Bürokratie.

Doch die Tatsache, dass die Regierung in der Frage der allgemeinen Wahlen einlenkte, spricht für ihre Sorge, dass die Opposition anwachsen und Unterstützung auch bei denjenigen Gruppen finden könnte, die weniger leicht zu befriedigende Forderungen stellen.

Präsident Mubarak zeigt sich schon seit einiger Zeit besorgt über den wachsenden ausländischen Druck, der auf die Länder des Mittleren und Nahen Ostens ausgeübt wird. Kürzlich riet er dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, der UN-Resolution 1559 nachzukommen. Damaskus, so Mubarak, sei nicht in der Lage, internationalem Druck standzuhalten.

Araber kämpften selten für Reformen und Demokratie

Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass die Modernisierungsbemühungen in der Region bis in die Zeit zurückreichen, als Napoleon Bonaparte vor zweihundert Jahren in Ägypten landete. Dabei ging der Großteil der Reformen immer auf den Einfluss von außen zurück und war nur selten eine Reaktion auf inneren Reformdruck.

Die Araber kämpften leidenschaftlich gegen die Besatzung durch fremde Mächte und Ungerechtigkeit. Sie stolperten von einer Revolution in die nächste und kämpften dabei immer gegen Feinde von außen. Niemals ging es bei diesen Aufständen um politische Veränderungen, Reformen der eigenen Verfassung oder Demokratie.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts waren Machtverschiebungen immer mit gewaltsamen Putschen verbunden und brachten zumeist autoritäre Regierungen ans Ruder. Deshalb ist es nicht überraschend, sondern sogar wünschenswert, dass die Reformen, die die Region braucht, als Ergebnis internationaler Entwicklungen und ausländischem Druck zustande kommen.

Mubaraks Ansinnen, die Verfassung zu ändern, um direkte und geheime Präsidentschaftswahlen zu garantieren, ist die mutigste Reform, die es seit Jahren in der Region gab.

Verbesserung der Beziehungen zu den USA

Seit Jahrzehnten wurde das Land von Präsidenten regiert, die auf undemokratische Weise an die Macht gekommen sind. Mubarak selbst regiert seit 1981 und sieht sich auch bei den Wahlen im kommenden September keinem ernsthaften Herausforderer gegenüber.

Seine überraschende Ankündigung kam nur wenige Tage nach einer Rede von Präsident Bush, der Mubarak aufforderte, sich an die Spitze der Reformer in der Region zu stellen. Die US-amerikanische Regierung war mit den zuvor eingeleiteten Reformmaßnahmen ebenso unzufrieden wie mit den in den vergangenen zwei Jahren im Land abgehaltenen Reformkonferenzen.

Bei der Inangriffnahme dieses Richtungswechsels in seiner Politik wog Mubarak Vor- und Nachteile gegeneinander ab.
Er wusste, dass der Schritt die Beziehungen zu den USA verbessern würde, und das in einem kritischen Moment voller Spannungen sowohl in der Region wie auf internationaler Ebene. Damit ist ihm etwas gelungen, was bei der Reformkonferenz in Alexandria nicht erreicht wurde.

Er wusste auch, dass dieser Schritt der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen würde. Diese kämpft seit Monaten unaufhörlich für Reformen. Und obwohl die breite Öffentlichkeit in Ägypten noch gar nicht richtig politisiert ist, fürchtete die Regierung, dass die wachsende Kühnheit der Opposition früher oder später den Nerv einer Nation treffen könnte, die ja tatsächlich über einiges zu klagen hat.

Der Mut der Opposition war durchaus auch deshalb gewachsen, weil sie spürte, dass regionale wie internationale Entwicklungen zu ihren Gunsten arbeiteten.

Gegenkandidaten ohne Chance

Mubarak und seine Berater sind zuversichtlich, dass es keinem Gegenkandidaten gelingen könnte, ihm sein Amt streitig zu machen. Einer der Gründe für diese Zuversicht ist, dass das politische System des Landes sowohl einzelne Politiker wie auch ganze Parteien daran hindert, mächtig genug zu werden, um die Regierung ernsthaft in Verlegenheit zu bringen.

Die Regierung kontrolliert einen Großteil der Medien. Und selbst innerhalb der regierenden Partei ist kein Politiker prominent genug, um den Präsidenten herauszufordern. Es wäre naiv anzunehmen, dass Mubaraks Scheinkonkurrenten Nawal El-Saadawi und Saadeddin Ibrahim mehr als einen Bruchteil der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen könnten.

Die meisten der möglichen Kandidaten würden sich nur aufstellen lassen, um ein Zeichen zu setzen, nicht aber, weil sie eine wirkliche Chance hätten. Und dass in den nächsten Monaten ein Politiker noch so sehr an Format gewinnt, um sich solchen Hoffnungen hingeben zu können, darf sehr bezweifelt werden. Die Opposition hat bereits geklagt, dass Mubaraks Schritt unzureichend ist.

Ägypten den USA nicht immer freundlich gesinnt

Dass der künftige Präsident durch geheime Wahlen ins Amt gelangen wird, nimmt der Armee jede Möglichkeit, Einfluss auf die Wahl zu nehmen. Von nun an wird es prominenten Politikern ebenso wie erfolgreichen Geschäftsleuten möglich sein, für das höchste Staatsamt zu kandidieren.

Dazu zählt auch Gamal Mubarak, der ältere der beiden Söhne des Amtsinhabers. Niemand könnte ihm dieses Recht in fairen und freien Wahlen nehmen. Schließlich aber wird der Schritt auch Kräften wie der Muslimbrüderschaft und den Kopten entgegenkommen, die sich seit langem von der politischen Willensbildung im Lande ausgegrenzt fühlen.

Die Ankündigung Mubaraks muss allerdings kein Ende des amerikanischen Drucks auf das Regime bedeuten, denn dieser zielte nie auf seine Person, sondern auf den ägyptischen Staat. Ägypten behielt seinen Einfluss in der Region, obwohl es einen Friedensvertrag mit Israel abgeschlossen hat, und das Land nahm in der Vergangenheit nicht immer einen Israel- und USA-freundlichen Standpunkt ein.

Was nun die ägyptische Opposition betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie in den nächsten Tagen neue Forderungen stellen wird, um ihrer Kampagne neue Dynamik zu verleihen. Sie wird Mubaraks Schritt als Beweis ihrer eigenen Macht feiern und die zukünftigen US-amerikanischen Reformbemühungen wachen Auges verfolgen.

Washington seinerseits scheint entschlossen, den Einfluss auf die politische Szene Ägyptens zu festigen und auch weiterhin die politische Landkarte der Region nach amerikanischen Wünschen zu gestalten.

Ghassan Moukahal

Der Autor arbeitet als Journalist im Libanon.

© Al-Ahram Weekly, 2005

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol

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