Zwischen Chaos und Verwüstung - Libyen nach der Katastrophe

In den Überschwemmungsgebieten in Libyen herrscht noch immer Chaos. Die Behörden bemühen sich, mit Sicherheitszonen etwas Ordnung in die Verwüstung zu bringen. Auch Journalisten stehen vor Herausforderungen.



Bengasi. Auch mehr als eine Woche nach der verheerenden Flutkatastrophe in Libyen ist die Lage im Osten des Landes sehr unübersichtlich. Während die Rettungs- und Bergungsarbeiten laufen, ergreifen die Behörden neue Maßnahmen, um die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Das Gesundheitsministerium der Regierung im Osten teilte am Dienstag der Nachrichtenseite «Al-Marsad» zufolge mit, dass die stark betroffene Hafenstadt Darna in drei Zonen eingeteilt wurde.



Das Risiko von Krankheitsausbrüchen wuchs unterdessen weiter. Die am stärksten betroffene Gegend in Darna wurde am Dienstag für unbewohnbar erklärt. Sie dürfe nur noch von Rettungsteams betreten werden, hieß es. Auch die «fragile Zone» - eine weitere Gegend, die

stark von Wasser durchflutet wurde - stelle eine Gefahr für die Bewohner dar. Die dritte und letzte Zone wurde von dem Ministerium als sicher und bewohnbar erklärt.



Gleichzeitig berichteten Journalisten und Aktivisten am Dienstag, sie seien aufgefordert worden, die Katastrophengebiete zu verlassen. Eine Journalistin des saudischen Fernsehsenders Al-Hadath sagte, bis Dienstagmittag müssten alle Journalisten Darna verlassen. Als Grund hätten die Behörden im Osten eine mögliche Behinderung der Rettungsarbeiten und die Gefahr einstürzender Gebäude genannt. Teils wird vermutet, dass Berichte über eine Demonstration vom Vorabend der Auslöser gewesen sein könnten.

Der Innenminister der Regierung im Osten, Issam Abu Sariba, sagte gegenüber «Al-Hadath» aber, dass Journalisten wie gewohnt in der Stadt arbeiteten. Mit dem Voranschreiten der Aufräumarbeiten stieg auch die Wut unter den Bürgern: Hunderte aufgebrachte Menschen forderten vor einer Moschee im Zentrum der verwüsteten Hafenstadt am Montagabend, dass die Verantwortlichen der Katastrophe zur Rechenschaft gezogen werden, wie Aufnahmen des libyschen TV-Senders Al-Masar zeigten.



Laut Augenzeugen versuchten Demonstranten, das Haus des inzwischen suspendierten Bürgermeisters Abdel-Monim al-Ghaiti in Brand zu setzen. In Folge des Sturms «Daniel» waren zwei Dämme in Darna gebrochen. Ganze Viertel der 100 000 Einwohner zählenden Stadt wurden durch die Wassermassen weggespült. Den Behörden wird vorgeworfen, die Dämme nicht ordnungsgemäß instandgehalten und somit zur Katastrophe beigetragen zu haben. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.



Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden rund 4000 Todesopfer identifiziert. Die Regierung im Osten bezifferte die Zahl der offiziell registrierten Toten mit 3338. Zehntausende Menschen wurden durch die Katastrophe obdachlos.



Durch die schweren Überschwemmungen sind zudem die Wasserquellen in der Katastrophenregion stark mit Abwässern verunreinigt. Tausende Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mehr. Die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) warnte eindringlich vor einer sich «rasch ausweitenden Gesundheitskrise», vor allem in Darna. Dutzende Kinder seien bereits wegen verschmutzten Wassers erkrankt, hieß es.



Auch die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt. Insbesondere verunreinigtes Wasser und mangelnde sanitäre Einrichtungen erhöhten das Risiko von Krankheitsausbrüchen, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Erklärung von UNSMIL, der UN-Mission in Libyen.



Teams der Vereinten Nationen arbeiteten daran, eine «zweite verheerende Krise in der Region» und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Die EU sagte Libyen weitere 5,2 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zu. Auch die USA stellen weitere 11 Millionen Dollar (10 Mio Euro) bereit.



Libyen ist faktisch zweigeteilt. Das Bürgerkriegsland hat im Westen eine Regierung, die international anerkannt ist. Im Osten, wo der Sturm «Daniel» besonders großen Schaden angerichtet hat, herrscht eine andere Regierung, die international nicht anerkannt ist. Die faktische Teilung erschwert die Rettungseinsätze. (dpa)