Der Kampf ums kurdische Öl

Der Streit um die Öleinnahmen steht im Mittelpunkt der Spannungen zwischen der Zentralregierung und den Kurden. Während Bagdad den Kurden das Recht abspricht, ohne vorherige Zustimmung Produktionsverträge abzuschließen, bestehen diese auf ihr verfassungsgemäßes Recht. Von Stasa Salacanin

Von Stasa Salacanin

In der kurdischen Region befindet sich ein Drittel der gesamten Ölreserven des Irak, nämlich 45 von insgesamt 150 Milliarden Barrel. Die Erdölindustrie des Irak – dem zweitgrößten Produzenten der OPEC mit einer Produktion von 4,5 Millionen Barrel pro Tag – hat sich in den letzten drei Jahren radikal verändert. Die Beziehungen zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der Zentralregierung in Bagdad sind seit dem Unabhängigkeitsreferendum angespannt, was die ohnehin komplexen ethnischen und religiösen Konflikte im Irak weiter verschärft.

Dies gilt besonders, nachdem den irakischen Streitkräften das Referendum als Vorwand für eine militärische Offensive gegen die im irakischen Kurdistan stationierten Truppen der kurdischen Peschmerga diente, um die ölreiche Stadt Kirkuk und andere umstrittene Gebiete unter ihre Vorherrschaft zu bringen.

"Öl und Gas gehören dem gesamten irakischen Volk"

Die kurdischen Ansprüche auf Öl beruhen auf der Auslegung von Artikel 112.1 der irakischen Verfassung. Dieser legt fest, dass die Bundesregierung, die ölproduzierenden Gouvernements und die Regionalregierungen die derzeit vorhandenen Ölfelder gemeinsam verwalten sollen. Dagegen stützen sich die irakischen Behörden auf Artikel 111, in dem es heißt: "Öl und Gas gehören dem gesamten irakischen Volk in allen Regionen und Gouvernements".

Dr. Katy Collin, Research Fellow am US-Thinktank "Brookings Institution", räumt ein, dass zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung einige gesetzliche Regelungen hätten überarbeitet werden müssen und dass es Angelegenheiten gäbe, die noch nicht geregelt seien.

Bisher haben die Bemühungen zur Lösung dieser Probleme jedoch keinen Fortschritt gebracht. Zu den Streitpunkten gehören die Ölrechte sowie Fragen zu Artikel 140 – also zur "Normalisierung" der umstrittenen Gebiete und zu den Referenden über den Beitritt dieser Gebiete zur autonomen kurdischen Region.

Die gleiche Problematik gilt für die Verteilung des irakischen Haushalts. Am 3. März stimmte das irakische Parlament dafür, den jährlichen Anteil der Region Kurdistan am Staatshaushalt von bisher 17 Prozent auf rund 12 Prozent drastisch zu kürzen, was für weiteren Konfliktstoff sorgt. Laut irakischer Verfassung stehen der Region Kurdistan 17 Prozent der Öleinnahmen des Irak zu.

Erdölfeld im kurdischen Tawke; Foto: picture-alliance/dpa
Scharzes Gold unter kurdischem Boden: In der kurdischen Region befindet sich ein Drittel der gesamten Ölreserven des Irak, nämlich 45 von insgesamt 150 Milliarden Barrel. Die Erdölindustrie des Irak – dem zweitgrößten Produzenten der OPEC mit einer Produktion von 4,5 Millionen Barrel pro Tag – hat sich in den letzten drei Jahren radikal verändert. Die Beziehungen zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der Zentralregierung in Bagdad sind seit dem Unabhängigkeitsreferendum angespannt, schreibt Stasa Salacanin.

Kurdische Energieunternehmen auf schwarzen Listen

Nach der faktischen Unabhängigkeit des Irak zum Ende des Ersten Golfkriegs 1991 begann die kurdische Regionalregierung mit der Erschließung und Ausbeutung ihrer Öl- und Gasvorkommen. Den Anfang machten die Ölquellen auf dem sogenannten Taq-Taq-Feld.

Doch erst mit dem Sturz von Saddam Hussein engagierten sich die ausländischen Investoren stärker in der Region. Die Kurden schafften es, große Ölgesellschaften wie Chevron, ExxonMobil und Total SA mit lukrativen Angeboten für sich zu gewinnen und dabei die Drohungen der irakischen Regierung ins Leere laufen zu lassen.

Nachdem die kurdische Regionalregierung im Jahr 2007 ein eigenes Mineralölrecht - einschließlich des Öl- und Gasgesetzes - verabschiedet hatte, setzte das irakische Erdölministerium allerdings einige kurdische Energieunternehmen auf die schwarze Liste – ebenso wie ausländische Unternehmen, die mit der KRG Produktionsbeteiligungsverträge eingegangen waren. Hierzu zählten beispielsweise SK Energy und OMV. Weitere Unternehmen folgten, darunter der Ölriese Chevron.

Später zogen sich einige dieser Unternehmen aus der Region zurück, da ihnen weitere Operationen zu riskant erschienen. Die klamme kurdische Regionalregierung blieb zudem einigen ausländischen Partnern die vertraglich zugesagten Auszahlungen schuldig.

Beim russischen Energieriesen Rosneft hingegen war das nicht der Fall. Im vergangenen Februar intensivierte Rosneft seine Beziehungen zu Kurdistan und schloss ein Erdöllieferabkommen ab. Sieben Monate später bekräftigten beide Parteien ihre Zusammenarbeit mit dem geplanten Bau der Gaspipeline Kurdistan-Türkei. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, lieh Rosneft der KRG mehrere hundert Millionen Dollar, die durch künftige Ölverkäufe abgesichert wurden.

Russisches Engagement im Irak als Teil einer Gesamtstrategie

Das verstärkte russische Engagement im Irak scheint Teil einer umfassenderen Strategie des Kremls zu sein, sich als einer der entscheidenden Akteure im Nahen Osten zu etablieren. Seit Unterzeichnung der Abkommen ohne Rücksprache mit Bagdad fragen sich viele, welche Energieinvestitionen Russland künftig plant, sei es eine Erdgaspipeline in Irakisch-Kurdistan oder die Erschließung von Gasfeldern in fünf Blöcken zusammen mit der Gastransportinfrastruktur in der Region. Offen bleibt auch, was den Kreditgebern der KRG passiert – Russland eingeschlossen.

Erdölförderung in Baidschi; Foto: picture-alliance/AP
Ambitioniertes Erdöl-Projekt der irakischen Regierung: Die Führung in Bagdad hatte im letzten Dezember einen Auftrag für den Bau einer neuen Erdöl-Pipeline in die Türkei ausgeschrieben. Mit der geplanten 350 Kilometer langen Pipeline soll Erdöl aus der nördlichen Provinz Kirkuk exportiert werden. Regierungstruppen hatten im Herbst mit einer Militäroffensive gegen kurdische Kämpfer die Kontrolle über die ölreiche Provinz zurückgewonnen. Die neue Pipeline mit einer geplanten Kapazität von mehr als einer Million Barrel pro Tag soll dem Verlauf einer in den 1980er Jahren gebauten Leitung folgen.

Da die ausländischen Investoren im Irak mit heiklen innenpolitischen Auseinandersetzungen konfrontiert sind, die in Zukunft eskalieren könnten, müssen sie ein sehr ausgewogenes Konzept verfolgen. Große westliche Ölgesellschaften sind nach wie vor sowohl in der KRG als auch auf den von der Zentralregierung kontrollierten Ölfeldern tätig.

Guney Yildiz, Visiting Fellow am paneuropäischen Thinktank "European Council on Foreign Relations", weist darauf hin, dass es für Unternehmen unter den gegenwärtigen politischen Umständen riskant sein dürfte, die Zentralregierung zu brüskieren, indem sie sich auf die Seite der KRG schlagen. Dagegen hat die russische Rosneft den Vorteil, Geschäfte ohne allzu große Rücksicht auf die Innenpolitik im Irak anbahnen zu können.

Obwohl die Geschäfte von Rosneft mit der KRG mitten im Disput zwischen Kurdistan und der Zentralregierung abgeschlossen wurden und trotz der Tatsache, dass Bagdad dabei außen vor blieb, scheint es den russischen und irakischen Behörden gelungen zu sein, erste Meinungsverschiedenheiten aus den Weg zu räumen.

Neue gewaltsame Auseinandersetzungen unwahrscheinlich

Werden der Streit um kurdische Öleinnahmen und die Auseinandersetzungen über den Umfang der Autonomie der KRG neue gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen irakischen Kurden und irakischen Streitkräften auslösen? Vermutlich nicht. Denn die Machtverschiebungen seit dem Herbst letzten Jahres bringen die irakischen Kurden trotz ihrer Schlüsselrolle im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in eine stark geschwächte strategische Position.

Die Krise nach dem Referendum trifft die KRG politisch und wirtschaftlich hart. Für Yildiz könnte der Streit um die kurdischen Öleinnahmen vor allem in der KRG-Region selbst zu Instabilitäten führen.

Die Misswirtschaft der Regierung und die Probleme mit der KRG verschafften dem IS den nötigen Raum, sich zu reorganisieren – auch in Kirkuk. Die Einnahmen der kurdischen Regionalregierung sind seit dem Verlust von Kirkuk um etwa die Hälfte gesunken. Dadurch werden die finanziellen Spielräume der Region weiter geschmälert. Einer Region, die seit Anfang 2014 ohnehin unter den Haushaltskürzungen der irakischen Regierung und den jüngsten Haushaltsumschichtungen leidet.

Stasa Salacanin

© Qantara.de 2018

Aus dem Englischen von Peter Lammers