Unterdrückung der Uiguren in China
Schwieriger Balanceakt für Erdoğan

Mehr als eine Million Uiguren hat die chinesische Regierung in der Provinz Xinjiang in Umerziehungslager gesteckt, um sie zur Aufgabe ihrer Sprache und Religion zu zwingen. Nach langem Schweigen hat Ankara die Verfolgung des Turkvolks kritisiert. Die Reaktion Pekings ließ nicht lange auf sich warten. Von Ulrich von Schwerin

Seitdem vergangenes Jahr öffentlich geworden ist, wie die chinesische Regierung die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang systematisch zu assimilieren versucht, steckt Recep Tayyip Erdoğan in einem Dilemma: Auf der einen Seite gelten die Uiguren vielen Türken aufgrund ihrer Sprache, Kultur und Religion als türkisches Brudervolk.

Seitens seiner nationalistischen Basis steht der türkische Präsident daher unter Druck, die Verfolgung der Uiguren zu kritisieren. Auf der anderen Seite jedoch unterhält die Türkei enge Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik, auf die Erdoğan in der Wirtschaftskrise weniger verzichten kann denn je.

Während sich Erdoğan sonst gern als Verteidiger der Muslime präsentiert und regelmäßig die Verfolgung der Palästinenser oder der Rohingya kritisiert, verlor er monatelang kein Wort zu dem, was Aktivisten als "kulturellen Genozid" an den Uiguren sehen. Wie Saudi-Arabien und andere muslimische Staaten vermied er jede Kritik an seinem Wirtschaftspartner. Umso unerwarteter war es, als die Türkei am 9. Februar eine scharfe Erklärung abgab, in der sie Peking vorwarf, die ethnische, religiöse und kulturelle Identität der Uiguren auslöschen zu wollen.

"Eine große Schande für die Menschheit"

"Es ist nicht länger ein Geheimnis, dass mehr als eine Million uigurische Türken willkürliche Verhaftungen erleiden und in Internierungslagern und Gefängnissen Folter und politischer Gehirnwäsche ausgesetzt sind", erklärte das türkische Außenministerium. Die "systematische Assimilierung" der Uiguren sei "eine große Schande für die Menschheit". Zwei Wochen später forderte Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu China im UN-Menschenrechtsrat zudem auf, die kulturelle Identität der Uiguren und anderer Muslime zu schützen und die Religionsfreiheit zu wahren.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu (l.) und Chinas Außenminister Wang Yi  nach einer gemeinsamen Pressekonferenz am 3. August 2017 in Peking; Foto: picture alliance/abaca/Turkish Foreign Ministry /A. Gumus
Ökonomische Interessen vor Menschenrechten: "Die Türkei sieht China zunehmend als alternative Finanzquelle zu den westlichen Staaten, und erhofft sich mehr chinesische Investitionen im Transport-, Energie- und Bergbausektor", sagt Selçuk Çolakoğlu, Direktor des "Turkish Center for Asia Pacific Studies". Präsident Recep Tayyip Erdoğan stehe vor dem Dilemma, den Erwartungen seiner Basis gerecht zu werden, ohne die Wirtschaftsbeziehungen mit China zu gefährden.

Für den türkischen Politikexperten Selçuk Çolakoğlu muss dieser Kurswechsel vor dem Hintergrund der Kommunalwahlen in der Türkei Ende März gesehen werden. "Seit Jahresbeginn hat es in der Türkei eine Zunahme von Protesten der nationalistischen Unterstützer der oppositionellen Iyi-Partei und der Saadet-Partei gegeben", sagt der Direktor des Turkish Center for Asia Pasific Studies. "Erdoğan ist zu dem Schluss gekommen, dass seine AKP Stimmen zu verlieren riskiert, wenn die Regierung an ihrem Schweigen zur Unterdrückung der Uiguren festhält."

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