Erdogans Partnersuche in Nahost

Ankara will seine Beziehungen gleich zu mehreren Staaten im Nahen Osten verbessern - so etwa zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Israel. Gründe dafür gibt es mehrere. Und bei den Angesprochenen stößt das Ansinnen auf Gegenliebe. Von Kersten Knipp

Essay von Kersten Knipp

Der Gesprächsbedarf ist hoch. Wenige Tage, nachdem Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der Kronprinz von Abu Dhabi, sich am 24. November zu einem Besuch in Ankara aufgehalten hatte, setzten er und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ihre Gespräche fort. Die beiden Staatsmänner hätten über Schritte gesprochen, die Beziehungen ihrer Länder zu verbessern, berichtet die türkische Zeitung "Daily Sabah".

Bereits in der Vorwoche unterzeichneten die beiden Staatschefs mehrere Absichtserklärungen für Investitionen in die Bereiche Energie, Finanzen und Gesundheit. Zugleich wurde Presseberichten zufolge bekannt, die VAE hätten einen zehn Milliarden Dollar (8,83 Milliarden Euro) schweren Fonds eingerichtet, um Investitionen in der wirtschaftlich derzeit angeschlagenen Türkei zu unterstützen.

Außenpolitisch habe sich die Türkei in den letzten Jahren im Nahen Osten stark isoliert, sagt Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Insbesondere nach 2011, dem Jahr des "Arabischen Frühlings", habe sie als eine der zentralen Mächte neben Saudi-Arabien gegolten. Dieser Ruf gründete wesentlich auf ihrer engagierten Unterstützung für religiöse Bewegungen mit sozialrevolutionärer Zielsetzung wie den Muslimbrüdern in Ägypten. "Dann aber kam es zu einer autoritären Renaissance, in deren Verlauf viele der von der Türkei unterstützten revolutionären, oft islamistischen Akteure wieder zurückgedrängt wurden." Das habe Ankara dazu gezwungen, sich auch mit den konservativen Regimen etwa auf der Golfhalbinsel zu verständigen.

Die Türkei und die Emirate brauchen einander

 

Der türkisch-emiratische Dialog falle in eine Zeit genereller Annäherungen im Nahen Osten, schreibt die regierungsnahe "Daily Sabah" in ihrem Kommentar. Zwar sei es unrealistisch zu erwarten, dass die beiden Staaten sämtliche Meinungsverschiedenheiten umgehend ausräumen würden. Doch könnten gemeinsame wirtschaftliche Interessen Verhandlungen über regionale Krisen ermutigen, so die Zeitung. "Es geht in diesem neuen Kapitel um den gleichzeitigen Wettbewerb und die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Regionen wie dem östlichen Mittelmeer, Griechenland, Libyen und dem Horn von Afrika." Diese Entwicklung werde unweigerlich zu einer neuen Art von Beziehungen führen.

Die Skyline von Abu Dhabi; Foto: Getty Images/D.Kitwood
Die Skyline von Abu Dhabi in der Vereinigten Arabischen Emiraten. Die einflussreiche Wirtschaftsmacht am Golf galt in der Türkei lange Zeit als verantwortlich für alle Übel in der Region. Doch das hat sich jetzt geändert. Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der Kronprinz von Abu Dhabi, und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan unterzeichneten mehrere Absichtserklärungen für Investitionen in die Bereiche Energie, Finanzen und Gesundheit. Zugleich wurde Presseberichten zufolge bekannt, die VAE hätten einen zehn Milliarden Dollar (8,83 Milliarden Euro) schweren Fonds für Investitionen eingerichtet. Geld, das die schwer angeschlagene Wirtschaft der Türkei gut brauchen kann.



Die VAE und die Türkei einten zudem die militärischen Ernüchterungen der vergangenen Jahre. "Beide zeigten sich außenpolitisch äußerst selbstbewusst", sagt der Politwissenschaftler Hakki Tas vom Hamburger Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA). "In mehreren Konflikten, von Syrien über den Jemen bis Libyen, standen sie auf entgegengesetzten Seiten. Gelöst werden diese Konflikte absehbar nicht sein. Die durch sie hervorgerufene politische und wirtschaftliche Belastung ist hingegen immer größer geworden." Zudem, so Tas, reagierten die VAE mit ihrer Annäherung an die Türkei auf den Rückzug der USA aus der Region. Ebenso wie Saudi-Arabien wollten die Emirate das entstandene Machtvakuum durch neue Verbündete füllen. Zu den potenziellen Partnern gehöre auch die Türkei.

 

Wieder an die einst engen Beziehungen zu Israel anknüpfen

 



Doch nicht nur zu den VAE will die Türkei neue Beziehungen knüpfen. Auch die zu Israel wolle man verbessern, erklärte der türkische Präsident Ende November. "So wie zwischen uns und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Schritt unternommen wurde, werden wir mit den anderen Staaten ähnliche Schritte unternehmen", sagte Erdogan. Gemünzt war die Aussage insbesondere auf Israel und Ägypten. Im November hatte Erdogan Gespräche auch mit Vertretern Israels geführt. Anschließend hatte die Türkei ein israelisches Ehepaar, Mordy und Natali Oknin, freigelassen. Die beiden hatten einen Amtssitz Erdogans in Istanbul fotografiert und waren daraufhin unter dem Vorwurf, Spionage zu betreiben, für acht Tage festgehalten worden.

Nachdem Israel und die Türkei lange Zeit enge Beziehungen zueinander hatten, verschlechterten sich diese im Jahr 2010, als die israelische Marine ein türkisches Hilfsschiff, die Mavi Marmara, stoppte, das den damals blockierten Gaza-Streifen ansteuerte. Dabei wurden zehn Aktivisten des Schiffs getötet. Beide Länder riefen daraufhin ihre jeweiligen diplomatischen Gesandten zurück.

Libyer mit Sympathien für die Türkei protestieren in Tripolis gegen die Libyen-Politik von Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattak el-Sisi, Juni 2020; Foto: picture-alliance/AA/H.Turkia
Der Türkei verbundene Libyer protestieren in Tripolis gegen die Politik von Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah el-Sisi. Der Konflikt zwischen Ägypten und der Türkei ist eng mit dem libyschen Bürgerkrieg verbunden, wo beide Länder auf entgegengesetzten Seiten stehen. Das Libyen-Engagement beider Staaten wiederum ist mit dem Streit um die Förderung von Erdgas im östlichen Mittelmeer verwoben. Tatsächlich hat die Türkei ihre Präsenz in Libyen immer wieder zu nutzen versucht, um sich im Gasstreit in eine bessere Position zu bringen, etwa durch den Vorschlag, bilaterale Hoheitszonen im Mittelmeer zu vereinbaren. Diese Vorschläge scheiterten aber. "Nun aber scheint die Türkei auf Ägypten zugehen zu wollen", so Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. "Bislang vermochten sich beide Seiten mit Blick auf Libyen nicht zu einigen. Das aber könnte sich nun womöglich ändern."

Ungeachtet der politischen Eiszeit sei der wirtschaftliche Austausch zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, sagt Kristian Brakel. Der Türkei gehe es zum einen darum, die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu verringern. Zudem sehe man Israel in Ankara als einen Kernstaat im Konflikt um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. In diesem Streit sieht sich die Türkei den gemeinsamen Interessen Griechenlands, Zyperns, Ägyptens und eben Israels gegenüber.

Zudem sei sich die Türkei der Notwendigkeit bewusst, zuerst die Beziehungen zu Israel zu reparieren, um darüber die Beziehungen zu den USA zu verbessern, sagt Hakki Tas. "Während in westlichen Medien bereits Szenarien für die Zeit nach Erdogan kursieren, scheint Erdogan in den diplomatischen Beziehungen zu den USA und der EU wie auch zu den Regionalmächten in Nahost auf Entspannung setzen zu wollen."

 

Trotz Differenzen in der Libyenfrage: Erdogan geht auf Kairo zu

 



Außerdem bemüht sich die Türkei auch um verbesserte Beziehungen zu Ägypten. Bereits im Mai dieses Jahres hatte sich eine hochrangige türkische Delegation zu Gesprächen in Kairo aufgehalten. Seitdem befinden sich beide Seiten im kontinuierlichen Dialog miteinander.

Beide Staaten hatten über Jahre sehr abgekühlte Beziehungen. Begonnen hatte die Verstimmung im Jahr 2013, als der damalige Präsident Mohammed Mursi, ein Muslimbruder, vom ägyptischen Militär gestürzt worden war. Mursi war von Erdogan unterstützt worden. Erdogans eigene Partei, die AKP, steht den Muslimbrüdern politisch in Teilen nahe.

Aus Sicht Ankaras geht es vor allem aber um die Auseinandersetzung um die Gasvorkommen im Mittelmeer. "Dieser Konflikt ist ja eng mit dem Engagement Ankaras in Libyen verknüpft, wo die Türkei und Ägypten auf entgegengesetzten Seiten stehen", sagt Kristian Brakel. Tatsächlich hat die Türkei ihre Präsenz in Libyen immer wieder zu nutzen versucht, um sich im Gasstreit in eine bessere Position zu bringen, etwa durch den Vorschlag, bilaterale Hoheitszonen im Mittelmeer zu vereinbaren. Diese Vorschläge scheiterten aber. "Nun aber scheint die Türkei auf Ägypten zugehen zu wollen", so Brakel. "Bislang vermochten sich beide Seiten mit Blick auf Libyen nicht zu einigen. Das aber könnte sich nun womöglich ändern."

Zudem sei Ägypten politisch derzeit stark von Saudi-Arabien abhängig, sagt Hakki Tas. "Auch dürfte Ägypten angesichts seiner schwachen Wirtschaft eine Öffnung in Richtung Türkei sehr gelegen sein." Nun wollen beide Länder ihre gegenseitigen Botschaften wieder eröffnen. Das, sagt Hakki Tas, ist ein symbolisches Signal für die Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Doch eine vollständige Normalisierung sollte man noch nicht erwarten.



Kersten Knipp

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