Vom unmöglichen Tanz der Araber

"Mein Herz tanzt" ist eine nuancierte Filmerzählung über soziale Ausgrenzung und den Fallstricken kultureller Assimilierung. Dabei hat sich der israelische Regisseur Eran Riklis – anders als in seinen vorherigen Werken – jeglicher Folklorisierung von Palästinensern enthalten und eine unprätentiöse Inszenierung geliefert. Von Viola Shafik

Von Viola Shafik

Man schreibt das Jahr 1982, die Zeit der israelischen Invasion des Libanon. Iyad, ein hochbegabter Junge wächst in Nord-Israel, im arabischen Tira auf. Sein Kontakt zur israelischen Gesellschaft beschränkt sich auf Nachrichten aus Radio und Fernsehen, das strenge Regiment des opportunistischen Schulleiters, jüdische Austauschschüler und die Polizei, die seinen Vater nach einer aufgelösten Demonstration festnimmt. Doch sein Leben ändert sich schlagartig, als er einen Platz an einer Eliteschule in Jerusalem bekommt. Essgewohnheiten, Kleidung, Musikgeschmack, die unfreundlichen Ausweiskontrollen und öffentlichen Anfeindungen und vor allem die Sprache: alles ist fremd und anders.

Einen Lichtblick immerhin bilden die Solidarität der hübschen und quirligen Ashkenazin (europäisch-stämmige Jüdin) Naomi, in die er sich verliebt, und die Freundschaft des gleichaltrigen Yonatan, der mit seiner alleinerziehenden Mutter Edna zusammenlebt. Yonatan leidet an fortschreitender Muskelschwäche und sitzt deswegen im Rollstuhl. Im Rahmen eines sozialen Projektes soll Iyad ihn beim Lernen unterstützen.

Teil der Familie

Der sarkastische Humor des körperlich Behinderten, der sich unter anderem über die ethnische und kulturelle Zugehörigkeit des Arabers als erbliche Krankheit lustig macht, bringt das Eis schnell zum Schmelzen. Überhaupt, spielt der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden eine wichtige Rolle in der Untergrabung gängiger Vorurteile. Bald hat Iyad einen festen Platz in der kleinen Familie.

Doch die dramatische Wende in Iyads erster Liebe lässt nicht lange auf sich warten. Als Naomi ihren Eltern davon berichtet, verbieten sie ihr den Schulbesuch. Iyad beschließt zum Unwillen seines Vaters, selbst dem Unterricht fern zu bleiben. Doch sein Opfer erweist sich als unnötig. Um ihrer Karriere willen wendet sich Naomi bald von ihm ab.

Finanziell nun ganz auf sich gestellt, kann Iyad allein mit dem Ausweis des mittlerweile bettlägerigen Yonatans einen lukrativeren Teilzeitjob ergattern. Edna billigt den Umstand, zumal Iyad auch im Namen ihres Sohnes die Abschlussprüfungen bravourös besteht. Die letzte Überraschung hält der Film schließlich nach Yonatans Tod bereit. Er wird mit Iyads arabischem Ausweis zu Grabe getragen. Dieses Finale, das die Identität des Arabers als jüdischer Israeli besiegelt, hat nichts von einem freudigen Sieg. Es zeigt einen traurigen, geschlagenen jungen Mann, der einsam mit der Mutter des Verstorbenen hinter dessen Sarg hermarschiert.

Ein Vergleich zur Figur von Prospero aus Shakespeares Sturm drängt sich auf. Von der Familie verstoßen, findet er Zuflucht auf einer einsamen Insel. Es werden ihm magische Kräfte nachgesagt. Doch Prosperos tatsächlicher Zauber liegt in seiner Sprache, in seiner Redekunst, durch sie kann er auf Andere einwirken.

Sprache als Schlüssel zu anderen Kulturen

Am Ende entsagt er aber der "Magie" und vernichtet seine eigenen Bücher. In "Schwarze Haut, weiße Masken" zog Frantz Fanon diese Erzählung dazu heran, um das Verhältnis des Kolonisierten, in diesem Falle der schwarzen Kreolen auf den karibischen Antillen, zur Sprache ihres französischen Kolonialherrn zu verdeutlichen. "Eine Sprache sprechen, heißt eine Welt, eine Kultur auf sich nehmen. Ein Antillaner, der weiß sein möchte, wird desto weißer sein, je mehr er sich das kulturelle Werkzeug, welches die Sprache darstellt, aneignet", schrieb Fanon.

Genau dies ist auch Iyads Werdegang. In Jerusalem muss er wegen seinem schlechten Hebräisch Spott über sich ergehen lassen und akzeptieren, dass Alle seinen Namen falsch aussprechen; Ayid, statt Iyad. Doch irgendwann ist er besser in der fremden Sprache bewandert als seine jüdischen Mitschüler.

In einer entscheidenden Szene, von seiner Hebräisch-Lehrerin nach dem Inhalt von Amos Oz' "Mein Michael" befragt, zählt Iyad all jene israelischen Schriftsteller auf, die in ihren Schriften den arabischen Mann mit Schmutz oder bedrohlicher Sexualität in Verbindung bringen. Im O-Ton fragt er mit Augenmerk auf seine Freundin Naomi, die ihn anfangs vor den Mitschülern verleugnet: "Kann eine Jüdin tiefer sinken, als sich mit einem Araber einzulassen?"

Kinoplakat "Mein Herz tanzt" von Eran Riklis
Dass sich Riklis – anders als in seinen vorherigen Werken "Lemon Tree" (Zitronenbaum) und "Zaytoun" (Oliven) – jeglicher Folklorisierung von Palästinensern enthält, ist sicher auch der facettenreichen literarischen Vorlage des Films, dem semi-autobiografischen Roman "Tanzende Araber" des arabischen Israeli Sayed Kashua zu verdanken, der auch das Filmdrehbuch schrieb.

An anderer Stelle trägt der Film auch der Mehrdeutigkeit und Instrumentalisierung von sprachlichen Begriffen Rechnung. Da stellt sich beispielsweise die Frage, welchen Beruf Iyads Vater ausübt. Ist er nun Terrorist, wie Iyad seinem jüdischen Gastschüler weismacht, ein Widerstandskämpfer, wie der Vater selbst behauptet, oder doch nur Pflücker, wie es der Schuldirektor entschieden verkündet?

Tanzen auf zwei Hochzeiten

Ein wirkliches Manko in dieser Hinsicht ist die Tatsache, dass in der deutsch-synchronisierten Version die sprachliche Vielfalt des Originals, das heißt die spontane Mischung aus Arabisch und Hebräisch, die ja auch von Realitätsnähe und Respekt zeugt, verloren geht. Juden wie Araber sprechen Deutsch, mit dem wesentlichen Unterschied allerdings, dass man den Arabern durchweg exotisch anmutende Formulierungen in den Mund legt, wie "Habibi" (mein Lieber), "Salam aleikum" (Guten Tag!) oder "Gepriesen sei Allah!" (Gott sei Dank!), auf Vergleichbares im hebräischen Dialogteil aber verzichtet. Auf sprachlicher Ebene werden die arabischen Protagonisten damit zum fremden Anderen abgestempelt.

Auch der deutsche Titel "Mein Herz tanzt" lässt den metaphorischen Tiefgang des Originals missen. Mit "Tanzende Araber", so der ursprüngliche Name des Films, ist nämlich das „Tanzen auf zwei Hochzeiten“ gemeint – ein Begriff, den es im israelischen Sprachgebrauch ebenso gibt wie im Deutschen. Gewählt wurde dieser aber auch in Reminiszenz an den Freudentanz, den arabische Israelis 1990 während der Bedrohung Israels durch Saddam Husseins Langstreckenraketen auf den Dächern ihrer Häuser vollführten.

Im Film gibt dies Anlass zu einer absurden Szene. Während die Einen in den Kellern vor dem Beschuss Schutz suchen, stürmen die Anderen trotz aller Gefahr freudvoll auf die Dächer. Kaum besser wohl lässt sich die ambivalente Haltung israelischer Palästinenser visualisieren, und umso schwieriger erscheint die Aufgabe ihrer nationalen Selbstfindung. Denn, wollen wir Benedict Andersons Vorstellung von der Nation als symbolische "imaginierte Gemeinschaft" folgen, muss zu deren Erhalt– oft auf gewaltsamem Wege –die sprachliche, religiöse und ethnische Vielfalt innerhalb bestimmter, meist willkürlich festgelegter Staatsgrenzen, auf einen einzigen Nenner gebracht werden. Für die Araber Israels heißt dies konkret: Ihre arabische Sprache, Kultur und Geschichte wird von dem seit 1948 ins Leben gerufenen israelischen Staat als schwer integrierbarer Fremdkörper erfahren.

Unser Protagonist Iyad löst dieses Dilemma durch vollständige Assimilierung, das heißt durch die Vernichtung bzw. Ausgrenzung seiner ursprünglichen Identität, nicht unähnlich dem Autor Sayed Kashua. Der 1975 Geborene wurde in Israel durch Kolumnen und Romane, darunter "Zweite Person Singular" (aus dem ebenfalls Motive in den Film einflossen), sowie die Sitcom "Avoda Aravit" (Arabische Arbeit) bekannt. Seine Schriften verfasste er zum Unbill mancher seiner arabischen Mitbürger auf Hebräisch.

Allen Anpassungsversuchen zum Trotz musste er schließlich doch das Handtuch werfen. Nach dem Gaza-Krieg 2014, den er kritisch ins Visier nahm, wurden die Anfeindungen seitens der Israelis gegen ihn und seine Familie so groß, dass er einem Bericht des "Guardian" zufolge entschied, in die USA auszuwandern. Er selbst und seine Kinder sollen/wollen dort das Alte vergessen und eine andere, neue Sprache erlernen.

Viola Shafik

© Qantara.de 2015